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Femizide in Deutschland: Unterlassene Hilfeleistung des Staates
Anton Benz über das Lagebild »Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023« des BKA
Fast drei versuchte Femizide jeden Tag verzeichnete das Bundeskriminalamt im Jahr 2023. Und fast jeden Tag wurde eine Frau ermordet, nur weil sie eine Frau ist. Auch wenn es für die entsprechende Forschung an den Grundlagen mangelt – etwa an einer einheitlichen Definition von Femiziden –, ist eine Ursache bekannt: Femizide stehen oft im Zusammenhang mit partnerschaftlichen Beziehungen und sind Ausdruck fortwirkender patriarchaler Strukturen. Nach wie vor betrachten Männer Frauen als ihren Besitz; müssen sie befürchten, »ihre« Partnerin zu verlieren, ist die perfide Konsequenz die Auslöschung eines Lebens. Selten mangelt es vor solch einer Tat an Vorzeichen. Nicht nur in Form von Gewalt – in vielen Fällen möchten Männer immer stärker darüber mitbestimmen, was »ihre« Frau anzieht, wen sie trifft und wen nicht.
360 Femizide in einem Jahr, das bedeutet auch: mindestens genau so viele Warnsignale; fast genau so viele Morde, die verhindert hätten werden können. Die Zahlen bestärken den Ruf nach dem Gewalthilfegesetz, das seit Jahren geplant ist, aber bislang dem Spardiktat der FDP zum Opfer gefallen ist. Wenn sich das nun ohne die Liberalen ändert, würden ein gesetzlicher Anspruch auf Schutz in Frauenhäusern (derzeit fehlen etwa 14.000 Plätze) und die Pflicht zur Arbeit mit Tätern wichtige Fortschritte bringen.
Doch selbst mit dem derzeit geplanten Gesetz bliebe die Regierung weit hinter ihren Möglichkeiten – nein, hinter ihrer Pflicht – zum Schutz von Frauen. Denn wirksam wäre es frühestens 2030, und der Bund würde weit weniger Mittel bereitstellen, als Fachverbände empfehlen. Dabei ist es nicht der Schutz von Frauen, der für den Staat teuer zu Buche schlägt. Es ist die Politik des Zögerns und des Sparens – denn sie kostet Leben.
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