Panzersperre mit Rhabarberkuchen

Aktivisten wollen die Umwandlung des Görlitzer Waggonbaus in einen Rüstungsbetrieb noch verhindern

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.
Bisher waren Doppelstockwagen das Markenzeichen des Görlitzer Waggonbaus. Künftig sollen hier Teile für Kampfpanzer gefertigt werden
Bisher waren Doppelstockwagen das Markenzeichen des Görlitzer Waggonbaus. Künftig sollen hier Teile für Kampfpanzer gefertigt werden

Nicht weit vom Werksgelände des Görlitzer Waggonbaus gibt es eine Kleingartenanlage, von deren Tor aus man auf Werkhallen und den Mitarbeiter-Parkplatz schauen kann. Der Gartenverein trägt den Namen »Friedensblick«, der künftig aber nicht mehr ganz passend ist. Denn in dem Betrieb, den die Kleingärtner vor Augen haben und der 175 Jahre lang Schienenfahrzeuge fertigte, wird bald für den Krieg produziert. Anfang Februar wurde eine »Rahmenvereinbarung über die Übernahme« unterzeichnet, der zufolge der Betrieb vom Schienenfahrzeugbauer Alstom an das deutsch-französische Rüstungsunternehmen KNDS übergeht. Es will in Görlitz künftig Baugruppen für den Kampfpanzer Leopard 2, den Schützenpanzer Puma und den Radpanzer Boxer fertigen.

Jörg Bergstedt und seine Mitstreiter wollen das verhindern. Sie haben auf einer Grünfläche vorm Werkstor Transparente in die Bäume gehängt, auf denen Slogans stehen wie »Zukunft auf Gleisen, nicht auf Ketten«. Auf einem Klapptisch haben sie ein Kuchenbuffet aufgebaut; es gibt Rhabarber mit Streusel, Rührkuchen und einen flachen Kuchen mit Zuckerguss. »Sieht vegan aus«, sagt eine Journalistin, die Bergstedt interviewt. Dieser erwidert: »In unseren Kreisen sind die meisten vegan.«

Die Kreise, denen Bergstedt angehört, sind Aktivisten, die sich bundesweit für unterschiedlichste politische Anliegen engagieren. Im Hambacher Forst protestierten sie gegen dessen Abholzung für die Braunkohle, im Dannröder Forst gegen die Rodung zugunsten einer Autobahn. Schon länger zurück liegt der Widerstand gegen grüne Gentechnik, bei dem es zu Feldbesetzungen kam. Jüngere Aktivitäten richteten sich gegen den VW-Konzern, dem man im Interesse von Klimaschutz und Verkehrswende »das Handwerk legen« wollte. Markenzeichen der »Kreativ-Aktivisten«, wie Bergstedt sie nennt, sind Aktionen, die viel Aufmerksamkeit erregen, Schienenblockaden etwa oder das Abseilen von Autobahnbrücken: »Das Konzept haben wir entwickelt.«

Nicht einmal die IG Metall protestiert

Das Thema, auf das die Aktivisten jetzt den Blick lenken wollen, ist die mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine begründete Aufrüstungsspirale in Deutschland und Europa. Diese diene, wie es in einer von ihnen veröffentlichten Erklärung heißt, der »Kriegsvorbereitung« und werde »massenhaft zum Verlust ziviler Einrichtungen und Infrastruktur« führen. Krankenhäuser und die Bahn würden gezwungen, »beim Säbelrasseln mitzuwirken«; zudem würden »Firmen in Not« aus freien Stücken auf die Produktion von Militärgütern umstellen.

Um das Anliegen in eine breite Öffentlichkeit zu tragen, habe man einen symbolträchtigen Ort für spektakuläre Aktionen gesucht, sagt Bergstedt. Zunächst wurde nach Rostock geschaut, wo nach der Insolvenz der MV-Werften ein großes Militärarsenal der Bundeswehr entsteht. Dann stieß man auf den Waggonbau Görlitz und damit eine der erwähnten »Firmen in Not«.

Mit dem Traditionsbetrieb geht es seit Jahren bergab. 1998 wurde er vom kanadischen Bombardier-Konzern übernommen, damals noch mit rund 2000 Beschäftigten. Weil die Rendite nicht stimmte, stand das Werk Görlitz 2016 kurz vor der Schließung. 2021 stieg Alstom ein, das sich als »neuer Weltmarktführer« für nachhaltige Mobilität empfahl, aber nur Monate später ebenfalls einen massiven Stellenabbau ankündigte und sich nun vier Jahre später ganz zurückzieht. KNDS erscheint als Retter in der Not, auch wenn das Rüstungsunternehmen nur bis 400 der zuletzt 700 Mitarbeiter übernehmen will. In der notorisch strukturschwachen Region Ostsachsen sind das ausgesprochen miese Nachrichten. Selbst die IG Metall heißt den Rüstungskonzern daher willkommen. Immerhin, sagte Bezirksleiter Dirk Schulze, habe so die Schließung des Standorts abgewendet werden können.

»Görlitz ist das auffälligste Symbol der als Zeitenwende verharmlosten Mobilmachung.«

Online-Magazin Untergrundblättle

Die Aktivisten um Bergstedt sehen das anders. Sie lehnen die Konversion des Bahnunternehmens zur Panzerschmiede ab, an deren Beispiel sich mehrere politische Themen exemplarisch verknüpfen ließen: Aufrüstung, Verkehrswende, Klimaschutz. Auf einer Aktionszeitung, die neben dem Kuchen liegt, prangt die Schlagzeile »Tod oder Leben – wofür arbeiten wir?« Illustriert wird das mit grünen Straßenbahnen, die von schwarzen Panzern überdeckt werden. Görlitz sei das »auffälligste Symbol der als Zeitenwende verharmlosten Mobilmachung«, heißt es in der Erklärung, in der auch ein hehres Ziel ausgegeben wird: Man wolle den Umbau zur Panzerschmiede »doch noch verhindern«. Die Aktivisten wollen gewissermaßen eine Panzersperre errichten – und das Kuchenbuffet am Werkstor soll dazu beitragen.

Gebacken wurden die Kuchen, weil der Gruppe klar ist, dass der Waggonbau in Görlitz nicht allein mit einzelnen Aktionen erhalten werden kann, und seien sie noch so spektakulär. Zwar lässt Bergstedt durchblicken, man habe auf dem Werksgelände schon neuralgische Punkte ausgespäht, etwa Gleisanlagen, über die Anlieferungen erfolgen. Auch die an Görlitz vorbeiführende Autobahn A4 habe man im Blick. Über diese wird regelmäßig militärische Ausrüstung nach Osteuropa und in Richtung Ukraine verlegt. Bergstedt kann sich Aufsehen erregende Szenen vorstellen: Aktivisten zum Beispiel, die sich von einer Autobahnbrücke abseilen und so einen Konvoi mit Panzern zum Halten bringen. »Womöglich sind deren Kanonen auf sie gerichtet«, sagt er: »Das wäre ein Bild!«

Kein Kuchen, kein Gespräch

Symbolträchtige Bilder reichen allerdings nicht aus; sie müssen in einer breiteren Öffentlichkeit auf Resonanz stoßen. Bergstedt spricht von einem »Erregungskorridor«, den es zu schaffen gelte. In der Erklärung heißt es, es seien die »Menschen an den Schalthebeln, Fließbändern und Schweißgeräten (...), die den Wahnsinn noch stoppen können, in dem sie nicht mitmachen«. Bevor man entscheide, ob es eine Kampagne und konkrete Aktionen gibt, wolle man daher in Görlitz die Stimmung testen.

Der bei Gießen lebende Aktivist ist deshalb vor einigen Wochen erstmals in die sächsische Stadt gereist und hat »mit allen möglichen Leuten« gesprochen. Rund um den 1. Mai wird das Anliegen nun in die Görlitzer Öffentlichkeit getragen, die bisher indes verhalten auf die Neuausrichtung des Waggonbaus reagierte. Bei Protesten zur Vertragsunterzeichnung im Februar, die Linke, BSW und AfD getrennt voneinander organisiert hatten, blieb die Zahl der Teilnehmer äußerst übersichtlich.

Die Gruppe um Bergstedt verteilte diese Woche zunächst Flyer vorm Werkstor, einen Tag später wurde den Beschäftigten Kaffee und Kuchen angeboten, um zum Dialog zu animieren. Rund um den Schichtwechsel lade man »die Arbeitis ein, mit uns ins Gespräch zu kommen«, hieß es in er Einladung.

Die Resonanz fiel zumindest vorm Werkstor eher ernüchternd aus. Keiner der »Arbeitis« war zum Gespräch bereit, nur wenige ließen sich eine Aktionszeitung in die Hand drücken. Ein Lehrling räumte im Vorübergehen ein, er habe »keine Lust, Panzer zu bauen«, aber wolle seine erst kürzlich begonnene Ausbildung zu Ende bringen. Ein Beschäftigter schnippte eine Zigarettenkippe in die Rabatte und bekundete, es sei ihm »scheißegal, was ich baue«. Ein anderer winkte ab: »Das Ding ist durch. Das hat der Kanzler abgesegnet.« Wohlwollende Reaktionen blieben die Ausnahme. Er habe keine Zeit für ein Gespräch, sagte ein Beschäftigter, »aber es ist schön, dass ihr an das Thema denkt«. Die meisten allerdings eilten wortlos vorbei. Den Rhabarberkuchen mussten die Aktivisten selbst essen.

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