Zu Besuch im Polo-Bro-Zoo

Die Stadt München ist das Utopia der neuen Regierung. Lang­weilig und in einer schäbigen Art und Weise mit Deutsch­land zufrieden

Wenn für den Finance-Bro Sommer wird, legt er die Finance-Bro Steppweste ab und zum Vorschein kommt das: Ein Polo in Pastell.
Wenn für den Finance-Bro Sommer wird, legt er die Finance-Bro Steppweste ab und zum Vorschein kommt das: Ein Polo in Pastell.

In gewisser Weise passt die Stadt München, in der ich mich derzeit für einige Tage aufhalte, zum neuen Regierungskabinett: Beide sind erwartbar langweilig. Beide werden mich viel Geld kosten. Und beide sind von stinkreichen fragwürdigen Figuren bevölkert, die sich politisch am äußersten rechten Rand bewegen.

Auch sind Braun und Blau in Bayern nicht nur politische Traditions-, sondern auch von vielen wohlhabenden Münchnerinnen und Münchnern geschätzte Modefarben: Die Damen (tendenziell blond, Pferdeschwanzfrisur, Designerhandtasche) bevorzugen rentnerbeige Blusen und elegant geschnittene Jil-Sander-Kostüme in sattem SA-Braun, die Herren (solariumsgebräunt, Designerbrille mit feuerwehrroter oder transparenter Fassung) tragen kapitänsblaue italienische Anzüge und fahren sinnlos im Cabrio in der Innenstadt herum, als wollten sie sagen: »Schaut’s her, ich bin Graf Rotz und mach mir keine Gedanken über gar nichts, weil ich euch elendige Sauschädel zuscheißen kann mit meinem Geld.«

Die gute Kolumne

Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute

Was einen Zugereisten hier auch immer wieder staunen lässt, ist der bestürzend uniforme Look der identisch aussehenden männlichen Heranwachsenden, denen das Smartphone an der Hand festgewachsen ist und die allesamt demselben unheimlichen Poloshirt-Kult zu frönen scheinen: Sie tragen nicht nur alle weiße Tennissocken, Sonnenbrillen und teure Poloshirts in den Farben Alpinaweiß, Altrosa, Himmelblau und Kanariengelb, sondern auch alle dieselbe schnittige Haartracht, eine Mischform aus Spät-80er-Jahre-Popperscheitel und akkurater Hitlerjungenfrisur. Sie scheinen in einer eigenartigen, von unserer Realität vollkommen abgeschotteten Parallelwelt zu existieren, in der jede Form von Gegenkultur oder Dissidenz unbekannt ist.

Am Wirtshausnebentisch redet die Männerrunde über unbotmäßige Mieter, Steuerspartricks und die neuesten Gewinnspannen in der Immobilienbranche. Schon am Vormittag zuzelt der Münchner nicht nur Weißwürste und Weißbiere in sich hinein, sondern auch ausgesuchte Rosé-Weine und farbenfrohe Cocktails, denen er schwer erträgliche Namen gegeben hat (»Pornstar Martini«, »Skinny Bitch«). (Entscheidet man sich als einigermaßen mittelloser, aber hungriger Berliner für den »günstigen Mittagstisch« beim von Freunden empfohlenen Innenstadt-Italiener, ist man mit läppischen 24 Euro für einen mikroskopisch kleinen Teller Scampi-Pasta und ein Glas Rosato noch sehr gut weggekommen. Das ist jedoch kein Drama, ich hatte mir ja ohnehin vorgenommen, etwas abzunehmen.)

Sie tragen nicht nur alle weiße Tennissocken, Sonnenbrillen und teure Poloshirts in den Farben Alpinaweiß und Kanariengelb, sondern auch alle dieselbe schnittige Haartracht, eine Mischform aus Spät-80er-Jahre-Popperscheitel und akkurater Hitlerjungenfrisur.

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Aber keine Sorge: Das alles ist nicht weiter beunruhigend, zumindest nicht, wenn man den durchschnittlichen autochthonen Münchner fragt, sondern die normale Münchner Mischung aus viel Tagesfreizeit (das Geld arbeitet auf der Bank), viel Freude an der Präsentation des eigenen Wohlstands und viel ebenso bräsigem wie hundertprozentigem Einverstandensein mit Deutschland im Allgemeinen und Bayern im Besonderen.

Stromert man nebenbei durch eines der zahlreichen Villenviertel – wenn man in Neukölln oder im Wedding lebt, sieht eigentlich nahezu jedes Münchner Viertel wie eine Gated Community oder eine Millionärsenklave aus –, in denen ein strenges Reglement herrscht, was die Abstufung der verschiedenen Reichtumsgrade angeht (die armen Reichen wohnen näher an der von Autoabgasen belasteten Straße, die reichen Reichen fernab vom lauten Verkehr), fällt rasch auf, dass es weit und breit weder eine Pommesbude gibt noch eine Dunkin’ Donuts-Filiale. Was es stattdessen gibt: Steuerberater, Immobilienmakler, Anwaltskanzleien, Innenausstatter, Notare, Schönheitssalons, Privatkliniken jeder Art und Preisklasse, Feinkostgeschäfte, Weinhandlungen. Wenn dringend andere Anschaffungen getätigt werden müssen (Maßkleidung, Seidenunterwäsche), fährt die Gattin eben mal schnell mit dem Zweit-BMW in »die Stadt«, dauert ja nur zwei Minuten. Das meiste lässt man sowieso liefern (frische Antipasti, Champagner, Koks).

Was einen als Berliner, der es gewohnt ist, von Verkaufspersonal behandelt zu werden wie eine Küchenschabe, allerdings immer wieder vor Dankbarkeit auf die Knie sinken lässt, ist die bezaubernde Freundlichkeit der Münchner: Etwa der für die Garderobe zuständige Mitarbeiter des Lenbachhauses, der mir minutenlang eine genaue Beschreibung der verschiedenen Stockwerke des Kunstmuseums (und der dort zu sehenden Werke) gibt, bevor er mir anbietet, mich persönlich zum Fahrstuhl zu begleiten. Eine Höflichkeit, die mir in 35 Jahren in Berlin nie untergekommen ist. Nicht zu vergessen die Supermarktangestellte mit spanischem Akzent, die mich auf die Frage, ob es auch gekühltes Bier gebe, wie ein Kind durch den gesamten Discounter führt und mit einem Finger auf einen von mir übersehenen Getränkekühlschrank zeigt, vor dem ich zu stehen komme: »Bitte sehr, der Herr.« Und mit einem Augenzwinkern: »Beim nächsten Mal wird dann ein Bier für mich fällig.«

Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob es, um einer besseren Zukunft willen, in München nicht langsam an der Zeit wäre für eine Rückbesinnung auf die revolutionären Traditionen der Stadt (Räterepublik, Münchner Boheme, Schwabinger Krawalle). Sicher ist jedenfalls: Einen »Erich-Mühsam-Platz« gibt es in der Stadt heute, allerdings kein einziges Haus mit dieser Wohnadresse (»Erich-Mühsam-Platz 1«). Das schien man unbedingt vermeiden zu wollen.

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