Nicht der Militärkaplan des Westens

Papst Franziskus hat sich nicht nur für die Benachteiligten der Welt eingesetzt – er hat auch den Dialog zwischen Sozialisten und Christen befördert

  • Walter Baier
  • Lesedauer: 3 Min.
Walter Baier (2.v.r.) beim Treffen des Papstes mit einer Delegation von Dialop im Januar 2024
Walter Baier (2.v.r.) beim Treffen des Papstes mit einer Delegation von Dialop im Januar 2024

»Ich muss schon allzu lange wohnen bei Leuten, die den Frieden hassen«, heißt ein Kapitel von Franziskus‘ Autobiografie (»Hoffe«, 2025). Der Krieg, schreibt er, türme nur Ungerechtigkeit auf Ungerechtigkeit. »Und auch heute schaffen Wettrüsten, die Ausweitung der eigenen Herrschaftsbereiche und die aggressive gewaltbereite Politik keinerlei Stabilität. Nie.«

Zum hundertsten Jahrestages des Beginns des Ersten Weltkrieges hatte Franziskus den aktuellen Weltzustand als einen Weltkrieg auf Raten bezeichnet. Auch das ist Vatikan: Nur wenig später war diese pointierte Aussage durch eine harmlosere Formulierung auf der offiziellen Webseite ersetzt worden, was Franziskus nicht hinderte, sie bei nächster Gelegenheit und immer wieder zu wiederholen.

Seine Bemühung, den Krieg in der Ukraine durch Diplomatie zu beenden, stieß in westlichen Staatskanzleien auf Kritik. Aber der Papst, erklärte er einer italienischen Zeitung, sei nicht der Militärkaplan des Westens.

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Franziskus geißelte die Doppelmoral: »Kriege, Attentate, Verfolgungen aus rassistischen oder religiösen Motiven und so viele Gewalttaten gegen die Menschenwürde werden auf verschiedene Weise geahndet, je nachdem, ob sie für bestimmte, im Wesentlichen wirtschaftliche Interessen mehr oder weniger günstig sind. Etwas ist wahr, solange es einem Mächtigen genehm ist, und ist es dann nicht mehr, wenn es seinen Nutzen für ihn verliert.«

Als die Welt Anfang, der 1960er-Jahren am Rande eines Atomkrieges stand, hatte sich Papst Johannes XXII mit der Enzyklika Pacem in terris »an alle Menschen guten Willens« gewandt. Denselben dramatischen Schritt setzte angesichts der sozialen und ökologischen Krise Franziskus mit seinen Enzykliken, Laudato si (»Über die Sorge für das gemeinsame Haus«) und Fratelli tutti (»Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft«).

»Wenn die Natur nur als Quelle von Profit und Gewinn gesehen wird, hat das schwerwiegende Folgen für die Gesellschaft. Die Logik, die dem Stärksten den Vorrang gibt, hat zu immenser Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Gewalt geführt, von der die Mehrheit der Menschheit betroffen ist, weil die Ressourcen dann in den Besitz derjenigen übergehen, die zuerst da sind oder die am mächtigsten sind – the winner takes all«.

Alles in der Welt sei mit allem verbunden, so der Leitgedanke der beiden Enzykliken, und so bestehe eine enge Beziehung zwischen der globalen Armut und der Anfälligkeit des Planeten. Franziskus‘ ganzheitliche Ökologie bezieht die soziale Perspektive ein, welche die Rechte derer berücksichtigt, die übergangen werden. Den Privatbesitz der allgemeinen Bestimmung der Güter und dem allgemeinen Anrecht auf ihren Gebrauch unterzuordnen, sei somit das »Grundprinzip der ganzen sozialethischen Ordnung«.

Ob solcher Aussagen als »Kommunist« denunziert, konterte Franziskus, dass die Kritiker*innen wohl nicht verstünden, dass die Armen im Zentrum des Evangeliums stehen.

Es war der Papst selbst, der 2014 Alexis Tsipras, Franz Kronreif und mich in einer Privataudienz ermutigte, einen marxistisch-christlichen Dialog über eine transversale soziale Ethik zu eröffnen. Damit war der Anstoß zur Gründung der europäischen Dialop-Plattform zum Dialog zwischen Sozialisten und Christen gegeben.

Zehn Jahre später besuchten wir ihn wieder mit einer Abordnung von Dialop. Der trotz seiner Krankheiten gut gelaunte Papst unterstrich einmal mehr die Notwendigkeit eines bisherige Schemata durchbrechenden Dialogs. Vor allem müsse es dabei um die wenig Begüterten gehen, die Armen, die Arbeitslosen, die Obdachlosen, die Migrant*innen, die Ausgebeuteten und alle diejenigen, die die Wegwerfgesellschaft als Abfall behandelt.

Papst Franziskus gab sich nicht den Anschein der Unfehlbarkeit. Auch ihm setzte die real existierende Kirche Grenzen. Mag der nächste Papst Traditionalist, Reformer oder ein Kompromisskandidat sein, vieles von dem, was Franziskus sagte und tat, weist über diese Grenzen hinaus – in Richtung der Utopie einer Kirche, die die Armen ins Zentrum stellt und mit allen Menschen guten Willens zusammenarbeitet, um die gemeinsame Welt zu schützen. Es wird Bestand haben.

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