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Wie NS-Profiteure den deutschen Fußball prägten

Die Nachkriegsordnung im westdeutschen Fußball wurde von Funktionären bestimmt, die bereits im Nationalsozialismus wirkten. Die Aufarbeitung lahmt.

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 6 Min.
Nach dem Meisterschaftsfinale 1961 in Hannover: DFB-Präsident Peco Bauwens (2.v.r.) mit Max Morlock (Nürnberg, r.) und der Meisterschale
Nach dem Meisterschaftsfinale 1961 in Hannover: DFB-Präsident Peco Bauwens (2.v.r.) mit Max Morlock (Nürnberg, r.) und der Meisterschale

Im Sportpark Müngersdorf, im Westen von Köln, führt Thorben Müller historische Führungen durch. Der Mitarbeiter des lokalen NS-Dokumentationszentrums hält dort mit Interessierten auch an der Peco-Bauwens-Allee. Der Kölner Bauwens, geboren 1886, war in den 1920er und 1930er Jahren ein erfolgreicher Schiedsrichter. Nach dem Zweiten Weltkrieg amtierte Bauwens für zwölf Jahre als Präsident des wiedergegründeten Deutschen Fußball-Bundes. Trotz seiner Rolle im Nationalsozialismus.

Der angehende Historiker Müller legt dar, dass Bauwens als Bauunternehmer im Nationalsozialismus selbst Zwangsarbeiter eingesetzt hatte. Einige von ihnen sollen in einem Deportationslager in der Nähe des Kölner Stadions inhaftiert gewesen sein.

Am Mittwoch jährte sich die bedingungslose Kapitulation der Nationalsozialisten zum 80. Mal. Der Fußball spielt in der Wissensvermittlung dazu inzwischen eine wachsende Rolle. Auf historischen Rundgängen wie auf jenem in Köln geht es auch um Kontinuitäten, also um Persönlichkeiten, die vor 1945 einflussreich waren und auch danach. Und es geht um die Verdrängung der Geschichte, die Jahrzehnte gedauert hat – manchmal bis heute.

Nach dem Krieg war das lange kein Thema. 1954 wurde Deutschland Weltmeister. DFB-Chef Bauwens hielt im Löwenbräukeller in München eine Rede, wo einst auch Hitler gesprochen hatte. Bauwens schwärmte nun von »gesunden Deutschen«, die »treu zu ihrem Land« stünden, und von einem »Führerprinzip im guten Sinne des Wortes«. Ein Redakteur des Bayerischen Rundfunks, der die Rede von Bauwens übertrug, fühlte sich an das Vokabular aus dem Nationalsozialismus erinnert. Der Sender blendete sich aus.

Zweifelhafter Ehrenpräsident

Der damalige Bundespräsident Theodor Heuss kritisierte Bauwens für seine Rede, doch eine breite öffentliche Debatte gab es nicht. Bauwens erhielt später das Bundesverdienstkreuz und wurde zum Ehrenpräsidenten des DFB gewählt.

Peco Bauwens ist ein Beispiel von vielen. Während der »Entnazifizierung« ab 1945 wollten die Siegermächte den nationalsozialistischen Einfluss in der deutschen Gesellschaft zurückdrängen: in Politik und Justiz, in Kultur und Medien. Bis Ende 1949 wurden in den drei westlichen Besatzungszonen mehr als 2,5 Millionen Deutsche in Spruchkammerverfahren eingestuft. Rund 54 Prozent galten als »Mitläufer«. Gegen 35 Prozent wurde das Verfahren eingestellt. Und nur 1,4 Prozent der Angeklagten wurden als »Hauptschuldige« und »Belastete« eingestuft.

Hunderttausende ehemalige Mitglieder von NSDAP und SS konnten in der Bundesrepublik Karriere machen. Im Bundestag bekleideten frühere Nationalsozialisten bis 1965 ein Viertel aller Abgeordnetenmandate. Im Bundeskriminalamt waren in den 50er Jahren zeitweise mehr als zwei Drittel der Führungskräfte ehemalige Mitglieder der SS. War der Fußball im Vergleich dazu mehr belastet oder eher weniger?

Keine ernsthaften Konsequenzen

»Wenn wir uns Kultur, Wirtschaft oder Wissenschaft anschauen: überall hat es wenig Entnazifizierung gegeben«, sagt der Sporthistoriker Henry Wahlig. »Aber die schlimmsten zwei, drei, fünf Prozent an Nazis wurden doch ausgetauscht. Im Fußball ist mir jedoch niemand bekannt, der aufgrund seiner Verbrechen mit ernsthaften Konsequenzen leben musste. Der Sport gab sich nach dem Krieg unpolitisch und kam lange damit durch.«

Henry Wahlig verantwortet im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund das Kulturprogramm. Er gibt dort Führungen, und dabei zeigt er seinen Gästen auch den Tschammerpokal, benannt nach dem einstigen Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten. Dieser Wanderpokal, graviert mit einem Hakenkreuz, wurde während des Nationalsozialismus an den deutschen Pokalsieger verliehen.

Nur das Hakenkreuz entfernt

Nach dem Krieg, dann im DFB-Pokal, wurde diese Trophäe bis 1964 weiterhin verliehen. Ohne Hakenkreuz, aber mit DFB-Plakette, erläutert Henry Wahlig: »Die Kollegen im Fußballmuseum haben einmal das Exponat herausgenommen und das DFB-Emblem abgelöst. Und tatsächlich befindet sich darunter bis heute das Hakenkreuz. Das ist ein Sinnbild für die damalige Zeit: Wir spielen weiter wie bisher und arbeiten erst mal gar nichts auf.«

Doch seit Anfang des Jahrtausends wächst das Bewusstsein. Der DFB gab eine historische Studie über den »Fußball unterm Hakenkreuz« in Auftrag. Seit 2005 vergibt der Verband einen Preis an Vereine, die sich für Erinnerungsarbeit starkmachen. Diese Auszeichnung wurde nach Julius Hirsch benannt, einem jüdischen Nationalspieler, der 1943 von den Nazis ermordet wurde. Überdies halten Dutzende Fangruppen das Gedenken an die Opfer hoch. Sie verlegen Stolpersteine, besuchen KZ-Gedenkstätten und recherchieren zu einst verfolgten Spielern und Mitgliedern ihrer Klubs.

Mehr als die Hälfte in der NSDAP

In der Erinnerungsarbeit des Fußballs standen lange die Opfer im Fokus, doch allmählich schauen Vereine und Verbände auch auf NS-Täter und Profiteure aus ihren Reihen. Im Auftrag der DFB-Kulturstiftung erforscht etwa der Historiker Pascal Trees bis Anfang 2026 die Biografien von rund 100 Funktionären, die nach dem Krieg im DFB einflussreich waren. Trees schätzt, dass mehr als die Hälfte der untersuchten Funktionäre in der NSDAP gewesen ist.

»Bei den Funktionären handelte es sich in der Regel um recht bürgerliche Existenzen«, sagt Pascal Trees, Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte in München. Unter den Verbandsleuten waren Juristen, Beamte und Lehrer, die sich mit einer Parteimitgliedschaft womöglich Aufstiegschancen versprachen. Trees: »Aber nur wenige Funktionäre traten schon vor 1933 in die NSDAP ein.«

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Im Vorstand des wiedergegründeten DFB saßen 1950 nicht nur Alt-Nazis. Mit dabei war – zumindest kurzzeitig – auch Martin Stock, ein jüdischer Überlebender des Holocaust. Und Arthur Weber, ein verfolgter Kommunist. Doch in den Spitzenämtern blieben auf Jahre hinaus ehemalige NSDAP-Mitglieder. So wie Hermann Gösmann, DFB-Präsident zwischen 1962 und 1975. Seine politische Vergangenheit? Interessierte damals niemanden.

Blockwart als Vereinspräsident

Der Jurist Hermann Gösmann, geboren 1904, war 1937 in die NSDAP eingetreten, zeitweise war er dort als Blockwart aktiv. Es existieren Fotos, die Gösmann mit Parteiabzeichen zeigen. Zu jener Zeit war er auch Präsident des VfL Osnabrück. Dort, sagt Historiker Trees, habe Gösmann in einer Jubiläumsschrift aus Hitlers »Mein Kampf« zitiert, aus dem Kapitel »Volk und Rasse«.

Die DFB-Präsidenten Peco Bauwens und Hermann Gösmann gehörten – noch vor ihrer Verbandszeit – zu den Profiteuren des Nationalsozialismus. Auf der Homepage des DFB findet man dazu bis heute keine differenzierten Informationen. Doch das dürfte sich nach der Veröffentlichung der Studie von Pascal Trees 2026 ändern. Und auch das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund will die Dauerausstellung umgestalten und ausführlicher über den Nationalsozialismus aufklären. 80 Jahre nach Ende des Krieges ist das spät, aber womöglich nicht zu spät.

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