Wadephul trifft per Haftbefehl gesuchten Netanjahu

Neuer deutscher Außenminister zum Antrittsbesuch in Israel

  • Jörg Blank und Sara Lemel
  • Lesedauer: 4 Min.
Johann Wadephul und Benjamin Netanjahu beim Händeschütteln. Deutschlands Au0enminister will auch die Palästinensichen Gebiete besuchen.
Johann Wadephul und Benjamin Netanjahu beim Händeschütteln. Deutschlands Au0enminister will auch die Palästinensichen Gebiete besuchen.

Der neue deutsche Außenminister Johann Wadephul ruft die israelische Regierung auf, wieder in ernsthafte Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Gazastreifen einzusteigen. Mit Blick auf das seit März verschärfte militärische Vorgehen gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen sagte der CDU-Politiker bei einem Treffen mit seinem israelischen Amtskollegen Gideon Saar in Jerusalem: »Ich bin nicht sicher, ob so alle strategischen Ziele Israels erreicht werden können, ob dies langfristig der Sicherheit Israels dient.«

An Saar gerichtet ergänzte der Minister: »Deswegen appellieren wir für einen Wiedereinstieg in ernsthafte Verhandlungen über einen Waffenstillstand. Einen Waffenstillstand, der auch den Weg für die dauerhafte Versorgung der Menschen in Gaza ebnet.« Dort komme seit 70 Tagen keine humanitäre Hilfe mehr an, die große menschliche Not verschärfe sich jeden Tag.

Im Anschluss traf Wadephul auch den vom Internationalen Strafgerichtshof als Kriegsverbrecher per Haftbefehl gesuchten Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Das Verhältnis der früheren deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zu Netanjahu galt zuletzt als zerrüttet – es soll auch einmal laut geworden sein zwischen beiden.

Wadephul: Kein völkerrechtswidriges Verhalten

Der Besuch Wadephuls steht vor dem Hintergrund der in dieser Woche anstehenden Feiern zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel vor 60 Jahren. Am Nachmittag wollte Wadephul in Ramallah im Westjordanland den palästinensischen Ministerpräsidenten Mohammed Mustafa treffen.

Wadephul zeigte Verständnis für den israelischen Ansatz, dass Hilfslieferungen den Menschen und nicht der islamistischen Terrororganisation Hamas dienen sollten, die diese in der Vergangenheit auch missbraucht habe. Deutschland werde das Vorgehen Israels pragmatisch und flexibel unterstützen.

Von UN-Seite gab es Kritik an den israelischen Versorgungsplänen für den Gazastreifen. Darüber werde er an diesem Dienstag in Berlin mit UN-Generalsekretär António Guterres sprechen, kündigte Wadephul an. »Es geht jetzt wirklich darum, für die Menschen etwas zu erreichen. Und indem die israelische Regierung diesen Schritt jetzt geht, ist auch vollkommen klar, dass man hier ein völkerrechtswidriges Verhalten nicht vorwerfen kann.«

Minister hält Präsenz israelischer Armee in Gaza für vorübergehend

Ungewöhnlich deutlich machte Wadephul deutsche Vorstellungen für eine Friedenslösung zwischen Israel und den Palästinensern im Gazastreifen klar. Gebraucht werde eine politische Lösung für den Wiederaufbau des großflächig zerstörten Gebiets ohne die Hamas, von der keine Bedrohungen für Israel mehr ausgehen dürfe. Der arabische Wiederaufbauplan mit einer starken Rolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) sei dafür ein guter Ausgangspunkt.

Klar sei auch, dass der Gazastreifen Teil der palästinensischen Gebiete bleiben müsse, betonte Wadephul. Er sei sich mit Saar einig gewesen, dass die Palästinenser dort von »niemandem gezwungen werden, dieses Gebiet zu verlassen«. Die Präsenz der israelischen Armee werde von vorübergehender Natur sein – auch darüber habe Einigkeit bestanden. Kritiker befürchten, Israel strebe eine dauerhafte Besetzung oder eine Vertreibung der Palästinenser an. Der rechtsextreme israelische Finanzminister Bezalel Smotrich hatte zuletzt mit einer Zerstörung des Gazastreifens und Vertreibung der Einwohner gedroht.

Wadephul in Yad Vashem

Wadephul machte sich für eine Zweistaatenlösung als »beste Chance für ein Leben in Frieden, Sicherheit und Würde für Israelis wie für Palästinenser« stark. Diese dürfe »weder durch ein Vorantreiben eines völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus, noch durch eine vorzeitige Anerkennung eines Palästinenserstaates« verbaut werden, warnte er. Mit Zweistaatenlösung ist ein unabhängiger palästinensischer Staat gemeint, der friedlich Seite an Seite mit Israel existiert. Netanjahu lehnt eine solche Lösung ab, ebenso wie die Hamas.

In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem legte Wadephul zum Gedenken an die von Nazi-Deutschland ermordeten sechs Millionen Jüdinnen und Juden einen Kranz nieder. Er rief dazu auf, »gemeinsam gegen Antisemitismus aufzustehen und auf der Basis der unteilbaren Menschlichkeit die Zukunft zu gestalten«.

Treffen mit Geisel-Angehörigen

In Begleitung von Saar demonstrierten die Israelis Wadephul eine aktive Batterie des Luftverteidigungssystems Arrow 3 (deutsch: Pfeil). Der Minister erhielt eine Einführung in das System, das künftig auch von Deutschland eingesetzt werden soll. Der »Pfeil« kann Raketen in bis zu über 100 Kilometern Höhe zerstören, also außerhalb der Atmosphäre und im beginnenden Weltraum. Arrow 3 soll in Deutschland an drei verschiedenen Standorten stehen.

Direkt nach der Ankunft am Samstagabend war Wadephul in Tel Aviv mit Angehörigen von Geiseln zusammengekommen, die von der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas im Gazastreifen festgehalten werden. Nach jüngsten Angaben von Netanjahu sind im Gazastreifen 21 Geiseln sicher noch am Leben. Unter den verbliebenen Geiseln soll noch eine hohe einstellige Zahl sein, die auch eine deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Es ist dem Vernehmen nach aber unklar, ob sie noch am Leben sind oder nicht. dpa/nd

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