- Politik
- Tödlicher Brandanschlag
Rechte Tat? Alter Vermerk sorgt für neue Unsicherheit
Im Prozess um den tödlichen Brandanschlag in Solingen 2024 werden neue Fragen aufgeworfen
Seit Anfang des Jahres läuft vor dem Wuppertaler Landgericht der Prozess gegen den 40-jährigen Daniel S. Ende März 2024 soll er einen Brandanschlag auf ein Haus im Solinger Stadtteil Grünewald begangen haben. Bei dem Anschlag starb die vierköpfige, aus der bulgarischen Region Plowdiw stammende Familie Zhilovi.
Der Wuppertaler Prozess sollte eigentlich schon längst beendet sein. Daniel S. ließ von seinem Verteidiger ein Geständnis verlesen. Dass S. wegen des Brandanschlags verurteilt wird, daran gibt es keinen Zweifel. Doch über sein Motiv herrscht Unklarheit. Die einfache Erklärung: Der Angeklagte hatte einmal in dem Haus gewohnt. Mietschulden sorgten für Ärger mit der Vermieterin. Persönliche Rache – ein Motiv, dem Staatsanwaltschaft und Gericht gerne folgten.
Doch die Nebenklageanwält*innen um Seda Başay-Yıldız gaben sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden. In den vergangenen Monaten fragten sie immer wieder nach fehlenden Details in der Gerichtsakte. So wurden etwa die Inhalte einer Festplatte, die sich in der Wohnung des Angeklagten befand, nicht ausgewertet. Erst auf Druck von Başay-Yıldız und den anderen Anwält*innen wurde die Festplatte ausgewertet. Das Ergebnis: 166 rassistische, antisemitische und den Nationalsozialismus verherrlichende Bildchen.
Auch weitere Funde in den Akten deuten darauf hin, dass ein genauerer Blick auf die Motivation des Angeklagten notwendig sein könnte. In der Wohnung seines Vaters fand sich NS-Literatur, in der Garage ein rassistisches Gedicht, und in Chats sprach Daniel S. abfällig über »Kanaken«.
Das alles hat die Urteilsverkündung im Prozess verschoben und weitere Termine nötig gemacht. Am Montag war nach längerer Pause der erste, und dieser brachte die nächste Ungereimtheit ans Licht. Der Vorsitzende Richter erklärte, ein polizeilicher Aktenvermerk sei aufgetaucht, in dem die Tat als »rechts motiviert« bezeichnet wird. Später sei der Vermerk handschriftlich gestrichen worden. Zu den Gerichtsakten gehörte das Dokument, das kurz nach der Tat erstellt wurde, bislang nicht.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
»Für uns ist es ein Skandal, wie dieses Verfahren von den Ermittlungsbehörden bislang geführt wurde und dem Gericht und unseren Mandanten wichtige Informationen und Aktenbestandteile vorenthalten wurden«, erklärten Seda Başay-Yıldız und die anderen Nebenklageanwält*innen nach dem Verhandlungstag am Montag.
Die Anwält*innen fordern die Ermittlungsbehörden auf, dem Landgericht Wuppertal und damit auch den Nebenkläger*innen »endlich alle erhobenen Informationen zu dem rechtspolitisch brisanten Fall durch den Brandanschlag in Solingen mit vier toten Familienmitgliedern und einer Vielzahl von schwer Verletzten mit Migrationshintergrund unverzüglich und vollständig zur Verfügung zu stellen!« Die bisherige »Salamitaktik« führe nur dazu, dass das Verfahren zeit- und kostenintensiv verzögert werde. Außerdem werde so der »verheerende Eindruck« erweckt, dass »eine vollständige Aufklärung der Hintergründe der Tat nicht gewünscht ist«. So wie bisher werde das Verfahren weder den Opfern noch den Angehörigen gerecht und auch nicht allen Solinger*innen, die ein Recht auf wahrheitsgemäße Information hätten.
Inhaltlich ging es am Montag außerdem um die Herkunft der 166 rechten Bildchen. Hier hat die Polizei weiter ermittelt. Sie sollen von einer Handy-Synchronisierung eines Mannes aus dem Raum Köln stammen, dem Angeklagten also nicht zugerechnet werden können. Bei der Polizei hat der bisher Unbekannte schon ausgesagt, vor Gericht soll er im Juli aussagen. Der Prozess wird bis Ende Juli fortgeführt.
Bis zum 2. Juni gibt es eine Pause. Polizist*innen aus Wuppertal und Hagen sollen in der Zeit weiteres Datenmaterial des Angeklagten auswerten. Die Ermittler*innen aus Hagen wurden hinzugezogen, nachdem Seda Başay-Yıldız Anzeigen gegen den Wuppertaler Polizeipräsidenten und die ermittelnden Beamten wegen Vertuschung gestellt hatte.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.