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Matthias Krauß: Falsche Fragen gestellt – und falsch gehandelt
Von dem zur AfD gewechselten Matthias Krauß kam noch ein Buch bei einem linken Verlag heraus
Der Titel des neuen Buches von Matthias Krauß ist großartig: »Die falschen Fragen gestellt. Journalist in zwei deutschen Staaten«. Laut Klappentext soll es ein fesselndes Buch sein, das illustriert, »warum die falschen Fragen stets die richtigen sind«, und das erklärt, wie dicht die SED den Journalisten bei ihrer Arbeit im Nacken saß und was erscheinen durfte und was nicht.
Eine Frage beantwortet dieses Buch aber nicht: Warum der freie Journalist Matthias Krauß am 28. Februar 2025 nach 27 Jahren plötzlich und unerwartet mitteilte, er werde ab sofort nichts mehr für »nd« schreiben – und sich am 3. März herausstellte, dass er ab sofort als Berater für die AfD-Landtagsfraktion tätig ist. Würde das vorher verfasste, aber erst kürzlich erschienene Buch diese Frage beantworten, wäre es wohl nicht von der Eulenspiegel-Verlagsgruppe herausgebracht worden, die dem linken Spektrum zuzuordnen ist.
Der Verlag war vom Seitenwechsel seines Autors genauso überrascht wie andere auch. Er zögerte kurz und entschied dann, »Die falschen Fragen gestellt« dennoch wie vorgesehen zu vertreiben. An dem Buch selbst sei ja nichts falsch, hieß es auf nd-Anfrage zur Begründung. Diese Einschätzung lässt sich nach der Lektüre nur bestätigen. Es ist irgendwie seltsam, dass Krauß mit diesem Buch seine treuen Leser noch einmal wie gewohnt anspricht, sie aber mittlerweile bitter enttäuscht hat. Eine neue Fangemeinde am rechten Rand müsste er mit anderer Kost bedienen. Ostalgie ist in diesen Kreisen zwar möglich. Es darf dort aber alles, was in der DDR das Leben lebenswert machte, mit der SED nichts zu tun gehabt haben.
Das aber deckt sich nicht mit den Erfahrungen von Krauß, dessen Buch stark von eigenem Erleben geprägt ist. Mit feiner Ironie berichtet Krauß, wie er als Student über die Dächer abrissreifer Häuser kletterte, um eine geeignete Antenne abzumontieren, mit der er in Leipzig Westfernsehen empfangen könnte wie in seiner Heimatstadt Hennigsdorf. Später stellt ein zur Reparatur gekommener Fernsehmonteur bei Krauß zu Hause verblüfft fest, dieser habe ja an seinem Gerät das DDR-Fernsehen eingestellt. Krauß versichert ihm, dies sei reiner Zufall.
Wer frühere Bücher von Krauß kennt, beispielsweise seinen Erstling »Der Wunderstaat«, wird einiges wiedererkennen. Etwa die titelgebende Episode mit dem kommunistischen Widerstandskämpfer Franz Rentmeister. Über den gedenkt der junge Redakteur der »Märkischen Volksstimme« endlich ein Porträt zu verfassen, das sich nicht in den üblichen Phrasen erschöpft. Als Krauß aber von Rentmeister wissen will, ob in der Illegalität alle Genossen zur Stange gehalten haben und ob Rentmeister politisch auch einmal geirrt habe, wird der KZ-Überlebende misstrauisch und wirft ihn raus mit der Bemerkung: »Du stellst die falschen Fragen!« Erst nach einem zweiten Gesprächstermin wird noch etwas aus dem Porträt.
Er verdanke Rentmeister unendlich viel, erinnert sich Krauß. Er habe seinerzeit sein Lebensmotto gefunden. »Ja, sagte ich mir, stelle immer die falschen Fragen.« Das rate er auch jedem, der ernsthaft journalistisch arbeiten wolle. Krauß träumte als Heranwachsender davon, Schauspieler zu werden. Seinen ersten Auftritt in der »Märkischen Volksstimme« hatte er am 4. Oktober 1977 nicht selbst schreibend. Eine Mitschülerin, die Journalistin werden wollte und es auch wurde, hatte einen Text über ihn verfasst. Diese Mitschülerin wurde viel später die Lebensgefährtin des AfD-Gründers Alexander Gauland, der 1991 als Herausgeber zur in »Märkische Allgemeine« umgetauften ehemaligen SED-Zeitung »Märkische Volksstimme« gekommen war.
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Matthias Krauß entschied sich erst während seines dreijährigen Armeedienstes, auf seinen Studienplatz als Lehrer für Deutsch und Geschichte zu verzichten und sich bei der genannten Zeitung als Volontär zu bewerben – zum Vorstellungsgespräch erschien er in der Uniform eines Offiziersschülers, was Eindruck machte. Schön zu wissen das alles, entwickelte Krauß als Journalist doch eine geradezu legendäre Abneigung gegen Lehrer, die er in seinen Berichten über Krankenstände der Kollegen, über Widerstand gegen Versetzungen und über schlechte Ergebnisse von Schülern bei Vergleichstests zuweilen auslebte.
Zumindest in den 80er Jahren kann die Journalistenausbildung an der Karl-Marx-Universität Leipzig nicht so übel gewesen sein. Das beweist Matthias Krauß mit einer ausgezeichneten alten Reportage über Polen, die in sein Buch Eingang fand. Er hat das Nachbarland 1985 bei einem Studentenaustausch bereist, als das angesichts der Wirren um die unabhängige Gewerkschaft Solidarność für DDR-Bürger fast ausgeschlossen war. Der Text ist aus seiner Zeit zu lesen und zu verstehen. Er zeigt, was in der DDR von einem angehenden Journalisten gelernt, geschrieben und gedacht werden konnte – aber nicht gedruckt. Denn wie Krauß im letzten Satz verrät, ist die Reportage jetzt erstmals veröffentlicht.
Matthias Krauß: Die falschen Fragen gestellt. Journalist in zwei deutschen Staaten. Das Neue Berlin, 189 S., br., 18 €.
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