»Freies Internet«: Wir sind alle Wikipedia

Mit dem Erstarken des Autoritarismus ist auch das Menschheitswissen in Gefahr - von einem »freien Internet« ganz zu schweigen

Schon 2012 protestierte Wikipedia gegen zwei US-Gesetzesinitiativen, die Anbieter von Raubkopien im Internet verfolgen wollen.
Schon 2012 protestierte Wikipedia gegen zwei US-Gesetzesinitiativen, die Anbieter von Raubkopien im Internet verfolgen wollen.

Kürzlich wurde ich in einer Partyrunde ausgelacht, als ich verriet, dass ich einen Dauerauftrag zur Unterstützung von Wikipedia unterhalte. Die Reaktion überraschte mich nicht, schließlich kommt es mir selbst etwas komisch vor, dass ich eine Mainstream-NGO unterstütze. Ich weise ja auch Greenpeace-Promoter*innen zurück, gehe an Campact-Infoständen vorbei und unterschreibe keine Online-Petitionen. Darüber hinaus braucht nahezu jedes linke Projekt in meinem direkten Umfeld – von der Zeitschrift über die Seenotrettung bis hin zum Techno-Club – mein Geld ebenso sehr, wenn nicht dringender.

Dennoch hatte mich, dies brachte ich im wunderschönen Garten eben jenes Clubs zu meiner Verteidigung vor, plötzlich ein besonderer Schrecken ergriffen, als sich vor einiger Zeit beim Aufrufen irgendeines Wikipedia-Artikels die übliche Spendenaufforderungsbanderole herabsenkte. Ich erschrak so sehr, dass ich kurzentschlossen eine monatliche Überweisung von fünf Euro einrichtete. Zwar ist dies ein Betrag, den ich mir selbst von meinem mageren Redakteurinnengehalt leisten kann, aber wirklich zu erklären ist mein Verhalten nur durch den Grund meines Schreckens: Was mich in jenem Moment überfiel, war die dunkle Ahnung von einem Internet – und damit irgendwie einer ganzen Welt –, aus der auch die letzte wirklich geteilte, unbeschränkt zugängliche Wissensquelle verschwunden ist. Denn hier nimmt Wikipedia, das ist wohl keine Übertreibung, eine besondere Stellung ein: Die Website, betrieben von der gemeinnützigen Wikimedia Foundation, verkörpert so etwas wie ein »befreites Internet« – ein Internet, wie es sein könnte, würde es nicht vom Prinzip der Profitmaximierung regiert, das heißt, zugrunde gerichtet.

Und nun, liebe Freund*innen, die ihr mich auslachtet, wurde diese meine Angst bekräftigt: Die US-Rechte hat die freie Enzyklopädie ins Visier genommen! Hier nur zwei Beispiele: Der von Trump ernannte Generalstaatsanwalt Ed Martin beschuldigt Wikipedia jüngst »der ›Propaganda‹ und droht mit dem Entzug des Gemeinnützigkeitsstatus« (»Washington Post«), die mächtige Heritage Foundation, verantwortlich für das neoliberal-theokratische »Project 2025«, kündigte »den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware sowie einer Datenbank mit gehackten Benutzernamen und Passwörtern an, um Beitragende der Online-Enzyklopädie zu identifizieren« (»Forward«).

Warum das Ganze? »Wokepedia«, wie der Ober-Honk Elon Musk das Nachschlagewerk nennt, sei »voreingenommen«, würde »vom Ausland manipuliert« – und verbreite antisemitische Inhalte. All dies ist lachhaft, insbesondere kommend vonseiten einer Organisation, deren »Project Ester« Verschwörungserzählungen verbreitet, um Antisemitismus zu »bekämpfen«. Der wirkliche Grund für den rechten Hass auf Wikipedia: Eine wirklich öffentliche, basisdemokratisch zusammengetragene Ansammlung von Wissen, dabei quellenbasiert und mit Wahrheitsanspruch, muss rassistischen Patriarchen ein Dorn im Auge sein. Insofern ist der Erhalt von Wikipedia letztlich keine Frage der Finanzierung, sondern der Politik. Vielleicht sollte ich meine fünf Euro also doch lieber gleich der Antifa spenden …

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