Gedenkstätten unter Druck: Orte der Selbstkritik

In Sachsen, Thüringen und Brandenburg stehen NS-Gedenkstätten unter Druck durch mangelnde Finanzierung, rechte Angriffe und Geschichtsrevisionismus

NS-Gedenkstätten wie in Sachsenhausen im brandenburgischen Oranienburg ermöglichen Erinnerungsarbeit, die für eine demokratische Zukunft unverzichtbar ist.
NS-Gedenkstätten wie in Sachsenhausen im brandenburgischen Oranienburg ermöglichen Erinnerungsarbeit, die für eine demokratische Zukunft unverzichtbar ist.

In Brandenburg waren es 29 Prozent, 31 Prozent in Sachsen und 33 Prozent in Thüringen – bei den Landtagswahlen 2024 erhielt die rechtsextreme AfD besonders viele Wählerstimmen in den ostdeutschen Bundesländern. Eine »atmosphärische Klimaveränderung« sei seither in Brandenburg deutlich spürbar, so Horst Seferens, Sprecher der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Dies zeige sich nicht nur in einer steigenden Zahl von rechten und antisemitischen Vorfällen in den Gedenkstätten zu den Verbrechen des NS, sondern auch an immer mehr Hilfe suchenden Lehrer*innen, deren Schüler*innen rechte Ansichten selbstbewusster und aggressiver zur Schau stellen. »Wir richten uns darauf ein, dass sich das Klima weiter verschärfen wird und die Angriffe auf die Erinnerungskultur zunehmen werden«, sagt Seferens.

Aber wie steht es genau um die Arbeit der NS-Gedenkstätten in den drei Ländern? Welchen Einfluss haben neue Haushalte auf Landes- und Bundesebene in der Gestaltung der Erinnerungsorte? Darüber geben Vertreter der Gedenkstättenstiftungen aus Thüringen, Sachsen und Brandenburg Auskunft und erzählen von Sorgen um die Zukunft, aber auch von hoffnungsvollen Allianzen als Hüter eines zeitgerechten »Nie wieder ist Jetzt!«.

Strukturelle Unterfinanzierung

Die meisten Gedenkstätten, die an die historischen Orte der Haupt- oder Außenlager eines Konzentrationslagers erinnern, werden durch Stiftungen betrieben oder finanziert. In den drei Ländern heißen diese Stiftung Sächsische Gedenkstätten (SSG), Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten (SBG) und Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Thüringen (SGBM). Die Stiftungen werden seit 1990 anteilig aus dem Etat der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gefördert – laut aktuellem Haushaltsentwurf ist keine von ihnen von Kürzungen betroffen, allerdings wurden die Zuwendungen auch nicht erhöht.

Die SSG bekommt im Gegensatz zu den anderen Stiftungen, die zu gleichen Teilen von Bund und Ländern gefördert werden, 75 Prozent vom Freistaat Sachsen. Mit dem aktuellen Haushaltsentwurf drohe die »ernsthafte Gefährdung des bis jetzt Erreichten und unserer Arbeitsfähigkeit«, teilte die SSG am 14. April mit. Denn im sächsischen Haushaltsentwurf für 2025 und 2026 fehlt eine Anpassung an die tarifbedingt erhöhten Personalkosten und die stark angestiegenen Betriebskosten. »Haushälterisch war es bisher noch nie so herausfordernd«, sagt der stellvertretende Geschäftsführer Sven Riesel im Gespräch mit »nd«.

In Brandenburg leide man »seit Jahren unter einer strukturellen Unterfinanzierung«, so der SBG-Sprecher Seferens. Auch er verweist auf gestiegene Energiekosten bei gleichzeitig wachsender Besucherzahl seit der Corona-Pandemie. Mehr Publikum brauche mehr Personal, gestiegene Energiekosten und alternde Gebäude bräuchten mehr Geld.

Ein großer Teil rechtsextremer Angriffe auf Gedenkstätten findet heute im digitalen Raum statt.

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Wenngleich die baulichen Zeugnisse laut Riesel einen »hohen Wert« in der Vermittlungsarbeit haben, wird vor allem die digitale Gedenkstättenarbeit bedeutender. Der Pressereferent der SGBM, Rikola-Gunnar Lüttgenau, erzählt, dass ein großer Teil rechtsextremer Angriffe auf Thüringer Gedenkstätten heute im digitalen Raum stattfinde. Er berichtet von einem jüngst in Auftrag gegebenen forensischen Gutachten zu Lampenschirmen und Taschenmesser-Etuis aus Menschenhaut, die sich die SS aus den Häftlingsleichen fertigen ließ. Obwohl sich das Anfertigen in dem Erinnerungsort faktisch nachweisen lässt, entschied sich die Gedenkstätte, ein kostspieliges Gutachten zu beauftragen. Der Grund: Fake News und Verschwörungserzählungen im Netz, welche die von den Nazis gefertigten Gegenstände aus Menschenhaut leugnen. »Das ist eine neue, originäre Aufgabe von KZ-Gedenkstätten«, so Lüttgenau über die Arbeit im digitalen Raum.

Leitplanke und Bollwerk

Diese Aufgabe können die Gedenkstätten in Thüringen, Sachsen und Brandenburg nur durch Projektgelder stemmen. In Sachsen gibt es keine einzige Gedenkstätte mit einer vollen Stelle im Bereich Bildung, sagt SSG-Geschäftsführer Riesel – geschweige denn eine Social-Media-Redaktion. »In diesen gesellschaftspolitischen Debatten, wo wir mit unserer Expertise zu geschichtlichen Kontexten und demokratischer Wertevermittlung viel beitragen könnten, nehmen gerade andere den Platz ein, die extremistisch eingestellt sind. Uns rennt die Zeit weg«, so Riesel. Lüttgenau spricht auch von einer »digitalen Leitplanke«: Das Wissen aus NS-Gedenkstätten im Netz bereitzustellen, kann demokratisch eingestellten Bürger*innen helfen, um es in Diskussionen einfließen zu lassen. Außerdem ginge es darum, Geschichtsrevisionismus sichtbar zu machen. »Wir sind in gewisser Weise die Hüter des Ortes«, sagt Lüttgenau.

Die Mitarbeitenden verteidigen ihre Erinnerungsorte allerdings nicht allein vor Kürzungen oder digitalen Angriffen, sondern auch vor der AfD. »Neu« ist laut Lüttgenau der wachsende parlamentarische Arm rechtsextremer Ideologie. In Thüringen gilt der Landesverband der AfD bereits seit 2021 als »gesichert rechtsextrem«, in Sachsen hat das Oberverwaltungsgericht am 21. Januar die AfD als »gesichert rechtsextrem« bestätigt und Brandenburg wurde die Partei am 14. April so eingestuft. Die Sprecher der Stiftungen berichten von immer mehr AfD-Abgeordneten, die Wahlplakate in den Gedenkstätten aufhängen oder die Veranstaltungen stören.

Für den Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, Andreas Froese, ist die AfD nur »Symptom« eines sich seit Jahren abzeichnenden gesellschaftlichen Rechtsrucks, der sich in hohen Wahlergebnissen für die Partei äußere. Froese berichtet im Gespräch mit »nd«, dass Teilnehmende der Bildungsformate zunehmend nicht mehr erreichbar seien. Die Pädagog*innen träfen häufiger auf ein Schulterzucken oder ein unbeeindrucktes »Ja und?«, wenn sie etwa den Rassismus im NS vermittelten. Auch der Sprecher der Stiftung Sächsische Gedenkstätten erzählt davon, wie Führungen oftmals gestört und die Arbeit der Gedenkstätten infrage gestellt würden.

Zivilgesellschaftliche Allianzen

Was also tun, wenn mehr rechtsextreme Abgeordnete die Debatten im Landtag und den politischen Diskurs mitbestimmen? Was tun, wenn rechte Ideen gesellschaftlich normalisiert werden? Die Sprecher der Stiftungen sind sich einig: Die Bildungsarbeit muss evaluiert sowie gestärkt werden. Außerdem gilt es, Allianzen in der Zivilgesellschaft zu schließen.

»Wir sind jetzt in einer gesellschaftlichen Situation in unserem Land, in der es nicht ausreicht, als Sportverein den Rasen zu mähen und den Bierkasten hinzustellen, sondern wir müssen mehr leisten«, meint SGBM-Sprecher Lüttgenau. Mit dem Sportamt Weimar und dem Landessportbund Thüringen gestaltet die Stiftung dieses Jahr eine Ausstellung zu jüdischen Sportstars. »Aus Gesprächen wissen wir, dass die Vereine konkrete Besuchsanlässe brauchen«, sagt Lütgenau. Für die Stiftung liege die neue Aufgabe darin, »in die Breite der ländlichen Räume hineinzugehen«.

Man dürfe sich nicht zurücklehnen und auf dem großen Zuspruch und den vielen Besuchern ausruhen, sagt der Sprecher der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora. Stattdessen gehe es darum, »mit den Menschen in Kontakt zu treten, die bisher noch nicht in KZ-Gedenkstätten waren« sowie um die Schaffung von Angeboten, die Menschen in ihrer Lebenswelt ansprechen. Einen Ansatz, den auch die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten seit einigen Jahren unter dem Motto »aus der Region für die Region« umsetzt, wie Stiftungssprecher Seferens erklärt. Dazu gehöre zum Beispiel die Beteiligung an regionalen Jugendgeschichtsprojekten genauso wie an Demonstrationen anlässlich des Christopher Street Days.

Wichtig ist allen Sprechern der Stiftungen, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus mit dem Blick auf Gegenwart und Zukunft verbunden wird, wie sie im Gespräch mehrfach deutlich machen. In diesem Zusammenhang sei im November »fast eine Art Grundsatzurteil« gefällt worden, meint Stiftungssprecher Lüttgenau. Das Verwaltungsgericht Weimar wies am 5. November 2024 die Klage des Thüringer Landesverbandes der AfD größtenteils zurück. Die Partei hatte versucht, der SGBM gerichtlich zu untersagen, auf geschichtsrevisionistische Äußerungen von Parteivertretern hinzuweisen. Der Klage vorausgegangen war ein Brief der SGBM aus dem August 2024 vor den Thüringer Landtagswahlen: Darin hatte die Stiftung die thüringische Bevölkerung dazu aufgerufen, demokratische Parteien zu wählen. Außerdem informierten sie über nationalsozialistische Sprache und holocaustrelativierende Aussagen von AfD-Politikern.

Nicht nur für die Thüringer NS-Gedenkstätten, sondern vermutlich für alle Erinnerungsorte deutschlandweit ist die Gerichtsentscheidung bestärkend. »Grundsätzlich spiegelt das Urteil in Weimar wider, wie auch wir in Sachsen bereits arbeiten: überparteilich und parteiunabhängig. Aber natürlich arbeiten wir politisch: Wir haben einen klaren Gesetzesauftrag, die Werte unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates zu schützen und zu vermitteln«, fasst es der Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Sven Riesel, zusammen.

Nicht-Neutralitäts-Gebot

Es gibt gesamtgesellschaftlich vielleicht keine genauen Vorstellungen davon, was die Aufgabe einer NS-Gedenkstätte ist. Rikola-Gunnar Lüttgenau spricht von einem »durchaus bemerkenswerten Umstand«, dass sich eine demokratische Gesellschaft selbst einen institutionalisierten Ort schafft, um sich von dort aus kritisch zu beäugen. So würden NS-Gedenkstätten den Raum öffnen, sich zu fragen, inwiefern die Gesellschaft gut verfasst ist und welche Entwicklungen Sorge machen müssen. Dabei geht es laut Lüttgenau in der Gedenkstättenarbeit stets um den Bezug auf die eigene Vergangenheit und die Frage, wie eine Gesellschaft sich schon einmal in eine falsche Richtung hat entwickeln können.

Erinnerungskultur lebt von der »Gegenwartsrelevanz«, sagt Horst Seferens von der SBG. Denn der Auftrag der Stiftungen liegt zum einen darin, die Würde der Opfer zu bewahren, aber auch darin, die Täterschaft zu thematisieren. Um diesen Auftrag zu erfüllen, dürfen NS-Gedenkstätten nicht »neutral« sein, sondern müssen sich auch in aktuelle politische Diskussionen einmischen, betont Lüttgenau.

Dass dieser Auftrag gerade jetzt relevant ist, macht der Gedenkstättenleiter in Mittelbau-Dora, Andreas Froese, deutlich. »Alarmierend« sei der Tabubruch der CDU, im Bundestag erstmals eine politische Gestaltungsmehrheit zusammen mit der AfD zu bilden, um das Asylrecht anzugreifen. Schließlich waren es die Vereinten Nationen, die 1948 in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ein individuelles Asylrecht festschrieben – als Konsequenz aus der historischen Erfahrung des Nationalsozialismus.

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