Gipfel ohne Putin

Der russische Präsident bleibt den Verhandlungen in Istanbul fern

  • Bernhard Clasen, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.
Journalisten arbeiten in der Nähe des Dolmabahce-Palastes, wo Gespräche zwischen russischen und ukrainischen Delegationen erwartet werden.
Journalisten arbeiten in der Nähe des Dolmabahce-Palastes, wo Gespräche zwischen russischen und ukrainischen Delegationen erwartet werden.

Nach einer Pause von drei Jahren verhandeln Russland und die Ukraine wieder öffentlich wahrnehmbar. Am Donnerstag sind in Istanbul die Delegationen der Ukraine und Russlands eingetroffen. Die Verhandlungen finden auf Vorschlag von Kreml-Chef Wladimir Putin in Istanbul statt. Putin selbst ist aber – im Gegensatz zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – nicht angereist.

Angeführt wird die russische Delegation vom russischen Präsidentenberater und ehemaligen Kulturminister Wladimir Medinski. Neben Medinski gehört ihr auch der stellvertretende Verteidigungsminister Alexander Fomin an. Beide waren auch Mitglied der russischen Delegation bei den russisch-ukrainischen Verhandlungen Anfang 2022 in Minsk und Istanbul. Ebenfalls in der Delegation sind der stellvertretende Außenminister Michail Galuzin und der Direktor des russischen Auslandsgeheimdienstes Igor Kostjukow sowie einige nicht namentlich genannte »Experten«.

Waffenruhe und ein großer Gefangenenaustausch

Bei den Gesprächen, so Selenskyj, soll es vor allem um eine Waffenruhe und einen großen Gefangenenaustausch gehen. Für die Ukraine ist die Zusammensetzung der russischen Delegation, alles Leute aus der zweiten Reihe, eine Enttäuschung. Nicht ein russischer Delegationsteilnehmer hat Ministerrang.

Präsident Selenskyj, der sich zeitgleich zu Gesprächen in Ankara befindet, sich aber nicht selbst an den Verhandlungen in Istanbul beteiligt, sagte bei seiner Ankunft, die Ukraine sei mit ihrer Delegation auf höchstem Niveau vertreten. So seien außer dem ukrainischen Außenministerium das Präsidialamt, das Militär und die Geheimdienste vertreten, unter anderem mit Außenminister Andrii Sybiha, Ex-Außenminister Dmytro Kuleba und Verteidigungsminister Rustem Umjerow. Für die USA sind US-Außenminister Marco Rubio und die Sondergesandten Steve Witkoff und Keith Kellogg in die Türkei gereist.

Kritik an der ukrainischen Verhandlungstaktik

Tatsächlich sind die Gespräche in Istanbul nicht die ersten in den vergangenen drei Jahren. So hatte der Abgeordnete der Poroschenko-Partei Europäische Solidarität, Olexi Hontscharenko, Anfang der Woche mitgeteilt, er wisse von russisch-ukrainischen Geheimverhandlungen in den Jahren 2022, 2023 und 2024. Und auch die Menschenrechtsbeauftragten beider Länder, Dmytro Ljubinets und Tatjana Moskalkowa, stehen in regelmäßigem Kontakt.

Auf Telegram kritisiert der in Odessa lebende Blogger Wjatscheslaw Asarow die ukrainische Verhandlungstaktik. Selenskyjs Erklärung zur Tagesordnung des Istanbuler Treffens, wonach ein Waffenstillstand und ein Gefangenenaustausch im Vordergrund stehen sollten, enthalte nichts zu den von russischer Seite gewünschten Themen wie Neutralität der Ukraine und Territorialfragen. Damit gebe man Russland ein Argument an die Hand, warum es für Putin keinen Sinn mache, nach Istanbul zu reisen.

Während der Gespräche sterben weiter Menschen in beiden Ländern

Pessimistisch zu den Aussichten des Istanbuler Treffens äußert sich auf dem Portal der »New Voice« Kurt Volker, von 2017 bis 2019 unter Donald Trump US-Sondergesandter für die Beziehungen zur Ukraine. »Die Ukraine will Frieden, Russland will Krieg«, resümiert er. Zu einer Einigung werde es in Istanbul wegen Putins hochgeschraubter Forderungen nicht kommen. Deswegen gelte es, mit weiteren Sanktionen so großen Druck auf Putin auszuüben, dass dieser gezwungen sei, den Krieg zu beenden.

Doch während in der Türkei verhandelt wird, sterben weiter Menschen. So sind in der Nacht auf Donnerstag in Sumy drei Menschen durch eine russische Rakete getötet worden. Und der Gouverneur des russischen Gebietes Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, berichtet von vier Personen, die am Mittwoch von ukrainischen Drohnen verletzt worden seien. Das russische Portal lenta.ru berichtete am Donnerstag von einem russischen Angriff auf die Stadt Slawjansk.

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