Massentourismus auf den Kanaren führt zu Protest

Auf den Kanaren, aber auch in Spanien und Berlin fanden Proteste gegen den Massentourismus auf den Kanaren statt

  • Paulina Rohm
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Proteste gegen die expansive Tourismusstrategie der Kanaren binden viele vermeintliche Einzelinteressen. Die Inselbewohner*innen fordern soziale und ökologische Nachhaltigkeitskonzepte.
Die Proteste gegen die expansive Tourismusstrategie der Kanaren binden viele vermeintliche Einzelinteressen. Die Inselbewohner*innen fordern soziale und ökologische Nachhaltigkeitskonzepte.

Die Inselbewohner*innen der Kanaren sehen sich gleich mehreren Krisen gegenüber hilflos ausgesetzt: der zunehmenden Verschmutzung der Inseln, mangelnder Gesundheitsversorgung, steigenden Lebenshaltungskosten, schlechten Arbeitsbedingungen und zu hohen Mieten. Als einen Katalysator dieser Krisen macht das Bündnis Canarias tiene un límite (Kanaren am Limit) die aktuelle Tourismusstrategie der autonomen Inselgemeinschaft verantwortlich, die jährlich steigende Besucher*innenzahlen ermöglicht, statt auf die Warnsignale von Natur und Bevölkerung zu reagieren.

Seit 2024 trägt die lokale Bevölkerung und auch die kanarische Diaspora deshalb regelmäßig ihren Protest auf die Straße. Für vergangenen Sonntag, den 18. Mai, kündigte das Bündnis erneute Kundgebungen und Demonstrationen auf den Kanaren, in mehreren spanischen Städten und auch in Berlin gegen den nahezu unbegrenzten europäischen Massentourismus an.

Im April 2024 gingen bereits zehn Aktivist*innen der Gruppe Canarias Se Agota (Kanaren verschwinden) auf Teneriffa unter dem Slogan »nuestros cuerpos por nuestra tierra« (unsere Körper, unser Land) in den Hungerstreik. Sechs der zehn Aktivist*innen hielten ihn 19 Tage lang durch. Vor Kurzem streikten zudem weite Teile der im Service- und Gastronomiebereich tätigen Arbeiter*innen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.

Tourismusverbände werfen der protestierenden Inselbevölkerung vor, ihre eigene Existenzgrundlage anzugreifen.

Während der diesjährigen Semana Santa – die für den spanischen Tourismus wichtige Karwoche – legten nach Angaben der Gewerkschaften etwa 80 000 Angestellte auf den westlichen Kanaren ihre Arbeit nieder. Kurz vorher einigten sich die Gewerkschaften und Arbeitgeber auf den östlichen Inseln. Den Arbeiter*innen im Hotel- und Gaststättengewerbe wurden einem Lokalmedium zufolge eine Lohnerhöhung von neun Prozent und eine Einmalzahlung von 650 Euro zugestanden.

Tourismusverbände werfen der protestierenden Inselbevölkerung vor, ihre eigene Existenzgrundlage anzugreifen. Die Tourismusbranche macht etwa 35 Prozent der kanarischen Wirtschaftsleistung aus. Allerdings spürten gerade die Menschen, die in der Service- und Hotelbranche arbeiten, nur wenig von diesem Wirtschaftsaufschwung, erzählt Alistair Adam Hernández, Mitglied der mitausrichtenden Organisation Asocación Tinerfeña de Amigos de la Naturaleza (ATAN), im Gespräch mit »nd«. »Der Tourismus, so wie er aktuell organisiert wird, generiert keinen Mehrwert für die Inseln – er extrahiert ihn«, sagt er.

Zwar steige das kanarische BIP (2024 noch um 5,4 Prozent, Tendenz jedoch fallend) parallel zu den Tourismuszahlen, jedoch sinke die Lebensqualität währenddessen, so Adam Hernández. Allein 2024 bereisten circa 16 Millionen Menschen die Inselgruppe vor der nordafrikanischen Küste, 21,7 Prozent davon deutsche Tourist*innen. Im ersten Quartal des laufenden Jahres verzeichnet das lokale Statistikinstitut erneute Rekordzahlen.

Der Arbeitskampf im Dienstleistungssektor trifft zudem auf einen angespannten Wohnungsmarkt. So stieg der Mietpreis der Region Santa Cruz de Tenerife innerhalb des vergangenen Jahres um 21,9 Prozent an. Das ist im Vergleich zum spanischen Durchschnitt ein doppelt so starker Anstieg. Ein Grund dafür sei, dass Hausbesitzer*innen ihre Immobilien lieber als Urlaubsunterkünfte teuer vermieten, anstatt zu moderaten Preisen an Einheimische, erzählt Adam Hernández.

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Durch die hohen Preise der Ferienunterkünfte und den Mangel an Mietwohnungen für nicht-touristische Zwecke würden immer mehr Einheimische aus den Städten verdrängt. »Es ist dringend notwendig, den Bau neuer Tourismuskomplexe zu stoppen und die Ferienvermietung zu regulieren«, heißt es in einer Pressemitteilung des Bündnisses Kanaren am Limit. Außerdem sei ein Tourismus-Stopp notwendig, um eine nachhaltigere Tourismusstrategie entwickeln zu können.

Adam Hernández ist dennoch wichtig zu betonen, dass sich »das breite Bündnis nicht persönlich gegen Tourist*innen richtet, die einfach nur ein bestehendes Angebot wahrnehmen«. Viel mehr seien es die Politiker*innen, die sie mit ihrem Protest zur Verantwortung ziehen. So würden die Gemeinde- und Landesverwaltung regelmäßig in Korruptionsskandale mit dem Bau- und Hotelgewerbe verwickelt.

Der Lobbyismus führt außerdem zu den extrem liberalen Regelungen zur Flächennutzung, die den Bau weiterer Hotelanlagen an ökologisch kritischen Standorten ermöglicht. Dabei seien die Kanaren, auf denen rund 2,2 Millionen Menschen leben, besonders schützenswert, heißt es von Seiten des Bündnisses. Aufgrund ihrer geografischen und historisch-politischen Lage sind sie ein Biodiversitätshotspot und bekannt für ihre Multikulturalität.

Unter den Inselbewohner*innen habe der Moment der Erkenntnis der Problemlage längst stattgefunden, erzählt Adam Hernández. »Aktuell findet eine laute gesellschaftliche Auseinandersetzung damit statt, wie wir als lokale Bevölkerung wieder mehr Entscheidungsmacht erhalten können, um das Wirtschaftsmodell dauerhaft zu ändern.« Der gebürtige Kanarier erhofft sich dafür auch neue Kräfte in der parlamentarischen Opposition.

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