Demokratie! Aber welche?

Ist es ein beruhigendes Zeichen, dass sich im Thüringen-Monitor die allermeisten Befragten zur Staatsform bekennen?

Mario Voigt (CDU), Ministerpräsident von Thüringen, gab vor Kurzem eine Regierungserklärung zum Thüringen-Monitor ab.
Mario Voigt (CDU), Ministerpräsident von Thüringen, gab vor Kurzem eine Regierungserklärung zum Thüringen-Monitor ab.

Da ist sie wieder, ebenso zuverlässig wie erwartbar: Die Behauptung, dass es um die politische Kultur in Thüringen ja eigentlich gar nicht so dramatisch schlecht steht, wie es oft den Anschein hat. Weil so viele Menschen im Land ja die Demokratie wertschätzten. Sagt der Thüringen-Monitor jedenfalls.

Also erklärte Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) jüngst im Landtag, als er über den »Thüringen-Monitor« des Jahres 2024 sprach: »88 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer sagen: ›Die Demokratie ist die beste aller Staatsformen‹. Das ist ein Grund zur Freude. Das zeigt, dass die Thüringerinnen und Thüringer für die Demokratie einstehen.«

Vergleichbare Worte hatte unter anderem auch Voigts Amtsvorgänger Bodo Ramelow (Linke) in den vergangenen Jahren immer wieder gewählt. Es gebe inzwischen eine »signifikant gestiegene Zufriedenheit der Befragten mit der Institution Demokratie«, hatte Ramelow zum Beispiel Ende 2017 gesagt, als er über den damals aktuellen Thüringen-Monitor gesprochen hatte.

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Und so wie diese beiden Regierungschefs haben auch so ziemlich alle anderen, die den Thüringen-Monitor Jahr für Jahr kommentieren, eigentlich nie vergessen, darauf zu verweisen, wie hoch die sogenannte Demokratieunterstützung unter den Menschen im Land ausweislich der vorgelegten Zahlen ist. Sie alle taten das wohl auch, weil es ein bisschen Beruhigung in beunruhigenden Zeiten verspricht, dass die übergroße Mehrheit der Menschen sich zur Demokratie bekennt. Dabei müsste man eigentlich viel richtiger sagen und schreiben: angeblich bekennt.

Denn einerseits ist es ganz sicher so, wie der Thüringen-Monitor es seit Jahren abbildet: Der weit überwiegende Teil der Thüringer gibt sich unbestrittenen und unbeirrt demokratisch. Nach der aktuellen Ausgabe sind dies wie bereits erwähnt 88 Prozent der wahlberechtigten Menschen ab 18 Jahren im Freistaat. Im Jahr 2023 lag dieser Wert ebenso bei 88 Prozent. Er pendelt schon seit 2017 zwischen 84 und 90 Prozent.

Andererseits wird im Thüringen-Monitor aber überhaupt nicht danach gefragt, was die Menschen genau unter der Demokratie verstehen, zu der sie sich in den Befragungen für die Studie bekennen. In diesem Jahr war das nicht so; und auch nicht in den vergangenen Jahren. So wird nicht ersichtlich, wie sehr die Zustimmung in relevanten Teilen der Bevölkerung zu zumindest entscheidenden Teilen jenes Demokratiekonzepts inzwischen erodiert ist, das die Mütter und Väter des Grundgesetzes zur Basis des Zusammenlebens in Deutschland nach dem Untergang des Nationalsozialismus machen wollten.

Dabei gibt es mehrere ziemlich eingängige Beispiele, die deutlich machen, welche unterschiedlichen Gesellschaftsvorstellungen sich hinter dem abstrakten Schlagwort Demokratie verbergen können. Das – auf globaler Bühne – bizarrste dieser Beispiele mag sein, dass sich selbst das durch und durch diktatorisch regierte Nordkorea als Demokratie sieht, als Demokratische Volksrepublik Korea. Innerhalb Europas ist inzwischen auch ersichtlich, dass Ungarn unter seinem Ministerpräsidenten Viktor Orbán einen jedenfalls dem Namen nach demokratischen Weg geht, der allerdings nicht viel mit dem demokratischen Weg gemein hat, den die Werteordnung der Europäische Union eigentlich vorsieht.

Aber auch ein Blick nach Deutschland und Thüringen zeigt eindringlich, in welch unterschiedlichen Politik- und Gesellschaftsentwürfen die abstrakte Idee von Demokratie inzwischen bemüht wird. Immerhin nehmen selbst strammste Vertreter der rechtsextremen AfD wie etwa der Thüringer AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Björn Höcke ein ums andere Mal für sich in Anspruch, »die wahren Demokraten« zu sein.

Dass der Thüringen-Monitor seit Jahren danach fragt, wie zufrieden die Menschen im Land damit sind, wie die Demokratie in Deutschland gelebt wird, hilft angesichts dieser Beliebigkeit des Redens über Demokratie auch nicht wirklich weiter. Denn auch in diesem Zusammenhang wird eben nicht weiter evaluiert, was die Menschen unzufrieden mit der demokratischen Praxis in Deutschland macht. Dass dabei aus ihrer Sicht zu wenig auf den Schutz von Minderheiten geachtet wird? Zu viel? Dass die Presse- und Meinungsfreiheit inzwischen zu stark eingeschränkt sind? Dass Hass und Hetze unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit nahezu ungehindert verbreitet werden kann? Dass Politiker zu sehr auf populistische Strömungen in der Bevölkerung hören? Dass solche Stimmen aus der Bevölkerung nicht ausreichend gehört werden?

Jede Antwort auf jede dieser Fragen würde Rückschlüsse darauf zulassen, welche Form von Demokratie die Menschen in Thüringen unterstützen. Doch danach wird nicht gefragt; jedenfalls nicht in dieser Untersuchung, die noch so viele weitere Rückschlüsse auf das politisch-gesellschaftliche Empfinden jenseits von pauschaler, abstrakter und angeblicher Demokratieunterstützung im Freistaat zulässt und deshalb so wichtig ist, um dieses Land besser verstehen zu können.

Voigt immerhin, der promovierte Politikwissenschaftler, hat das Problem mit der zumindest vermessenen Unbestimmtheit des Demokratiebegriffs offenkundig erkannt – und in seiner ersten Regierungserklärung zum Thüringen-Monitor zumindest kurz benannt. »Es gibt genügend Kräfte, welche den Begriff nicht mehr im Sinne einer liberalen, rechtsstaatlich verfassten, pluralistischen Ordnung auslegen, sondern sie verknüpfen ihn mit autoritären, ethnisch begründeten, völkisch-nationalen Vorstellungen«, sagte er vom Pult im Plenarsaal aus.

Die Frage bleibt aber, was man nun mit dieser Erkenntnis macht – analytisch und auch in der politischen Konsequenz.

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