• Kultur
  • Schmutz als Rebellion

Let there be Dreck

Kaum etwas kann die vom Kapitalismus geschundene Menschenseele so sehr in Rage bringen wie Schmutz

Weniger abwaschen spart nicht nur Nerven, sondern auch Spülmittel.
Weniger abwaschen spart nicht nur Nerven, sondern auch Spülmittel.

Es ist das alte Ressentiment der herrschenden Klasse, mit dem wir es zu tun haben: Menschen, die den Regeln der kapitalistischen Gesellschaft nicht täglich nachkommen wollen oder können – sogenannte Aussteiger, Tramps, Hobos, Obdachlose –, seien schmutzig, heißt es. Ihre Unfähigkeit und ihr Unwille, den Erfordernissen zu entsprechen, habe sie zu trägen Schlunzen regredieren lassen, die jede Selbstachtung verloren haben. Bevorzugt wird hierbei mit dem Finger auf jene tapferen kleinen Minderheiten gezeigt, die den Zwängen und dem Dauerterror des Schweinesystems bewusst oder unbewusst den Rücken gekehrt haben und eine Art richtiges Leben im Falschen zu führen versuchen, indem sie ihre Zeit ausschließlich der Muße widmen und sich nahezu jeder Knechtschaft, die man ihnen aufnötigen will, verweigern.

Gern werden dann die handelsüblichen Witze gemacht: Witze, die von oben kommen und unten einschlagen sollen. Zum Beispiel über Wursthaar-Jens, der, nachdem er sich seinen Dope-Vorrat für die bevorstehende Woche besorgt hat, barfüßig durch Pfützen schlurft, »weil Schuhe aus Tierleichen hergestellt sind«. Oder über den hinter seinem Einkaufswagen einhertrottenden Dropout vom Kottbusser Tor, der riecht wie ein halbes Kilo Fußkäse und für den die Zungenküsse, die er mit seinem Hund wechselt, kein absonderliches Verhalten darstellen.

Dabei ist es wie mit allen Dingen in dieser Gesellschaftsordnung: Sauberkeit muss man sich leisten können.

Dabei ist es wie mit allen Dingen in dieser Gesellschaftsordnung: Sauberkeit muss man sich leisten können. Und wer überwiegend auf der Straße lebt, dem sogenannten bürgerlichen Dasein entsagt, jede Übernachtung generalstabsmäßig planen und sich jede Mahlzeit mit viel Geschick umständlich organisieren muss, der riecht nicht nach »Eros Energy« von Versace und der hat auch kein fußballfeldgroßes Badezimmer mit Terrazzofußboden, in dem er sich ausschweifenden Körperpflegeritualen hingeben kann. Noch haben viele Menschen hierzulande eine Wohnung, wenn nicht wenige auch mittlerweile Monat für Monat zwei Drittel (oder mehr) ihres Einkommens dafür ausgeben müssen. Um der Körperpflege nachzukommen, können sie einfach in ein Badezimmer gehen. (An der Privatisierung von Wasser wird übrigens seit Jahren bereits intensiv gearbeitet, für die großen Konzerne wird sauberes Wasser künftig ein gewinnträchtigerer Rohstoff sein als sogenannte seltene Erden. Aber das nur nebenbei.)

Dreck ist überall, man kann ihm nicht entkommen. Ich weiß das, denn ich habe neulich die Staubmäuse in meinem Wohnzimmer eigenhändig gezählt. (Auch ich möchte den Regeln der kapitalistischen Gesellschaft übrigens nicht nachkommen, wenngleich ich gegenwärtig noch eine Wohnung habe.)

Schmutz ist allgegenwärtig. Auch wenn wir alle darauf konditioniert wurden, ganz selbstverständlich mit der eklatanten Lüge zu leben, dass er nicht existiert, weil es ihn im Fernsehen, in der Reklame und auf dem Van-Laack-Hemd von Philipp Amthor nicht gibt.

Die gute Kolumne

Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute

Schmutz ist unvermeidlich. Er kommt aus unseren Körpern, klebt auf unserer Haut, lagert sich auf unseren Kleidern ab. Schweiß, Hautschuppen, Haare, Blut, Urin, Erbrochenes, Essensreste, Altöl und -fett, Schlamm, Sand, Staub, Pollen, Rost, Pilze, Bakterien, Abgase, Verbrennungsrückstände. Er kommt aus Auspuffen, Schornsteinen, Kanalrohren, wird vom Wind auf uns geweht. Religiöse Menschen würden vermutlich sagen: Dreck ist wie Gott, denn er ist selbst dann da, wenn man ihn nicht sieht. Im Kopf eines durchschnittlichen Bundestagsneonaziabgeordneten beispielsweise dürfte sich mehr Schmutz finden als an sämtlichen soeben genannten Orten zusammen.

Der Trick ist: Der Schmutz jener, die die Regeln machen und die Betreiber windiger Geschäftsmodelle wie etwa dem des Kapitalismus (und natürlich dessen Profiteure) sind, ist entweder nicht auf den ersten Blick sichtbar oder in dem Moment, in dem wir hinsehen, bereits von bienenfleißigen Untergebenen weggewienert und beiseite geschafft worden. Denn Dreck ist schlecht fürs Geschäft.

Ich will nichts Falsches behaupten. Gut möglich, dass beispielsweise Herr Amthor (CDU) seine vom vielen Denkerschweiß verklebten Hemden selbst wäscht und bügelt, Herr Merz die zu einem übelriechenden feuchten Propf verklebten Haare persönlich aus dem Abfluss seiner Duschwanne im Bundeskanzleramt klaubt und Matthias Döpfner die besonders hartnäckigen Krusten in seiner Abortschüssel eigenhändig wegschrubbt, aber: Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass hierfür und für ähnliche Tätigkeiten sogenanntes Personal an die Schmutzfront befehligt wird, das noch nicht die Gelegenheit bekam, den Zwängen des Systems den Rücken zu kehren, und das derzeit auch keine allzu große Chance hat, die ihm aufgenötigte Knechtschaft zu verweigern.

Ich bin mir nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft nicht der Fokus der Öffentlichkeit eher auf den schmutzigen Machenschaften jener liegen sollte, die andere die Drecksarbeit machen lassen, als auf dem Dreck auf der Haut und der Kleidung jener, die ihr Leben nicht mit unsauberen Geschäften verbringen.

Sicher ist jedenfalls: »Der Schmutz des Körpers kann einer reinen Seele nichts anhaben.« (Khalil Gibran)

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.