Aufgeputschte Kontemplation

Die Berliner Käthe-Kruse-Ausstellung ist nicht in Ordnung. Nichts ist je in Ordnung.

  • Erik Hanzlicek
  • Lesedauer: 3 Min.
Fast wie Honig: »In Leder« (2013)
Fast wie Honig: »In Leder« (2013)

Retrospektiven haben es an sich, dass sie den Werken von Künstlerinnen und Künstlern eine zeitlich-lineare Entwicklungslogik auferlegen, die es so gar nicht gibt. Im Fall der Künstlerin Käthe Kruse hat die Berlinische Galerie diese Biopic-Gefahr produktiv gemacht: Kruses Werk widmet sich Ordnungsverhältnissen als zentralem Thema, und so tritt es in der Ausstellung »Jetzt ist alles gut« auch in eine Zwiesprache mit dem Rahmen Retrospektive.

Kruses Schaffen ist untrennbar mit der Künstlergruppe Die Tödliche Doris verbunden, deren Teil sie von 1982 bis zur Auflösung 1987 war. Mit Wolfgang Müller und Nikolaus Utermöhlen versuchte sie, im West-Berlin der 80er Jahre Neo-Dada, Pop Art, Happening in den (Post-)Punk einzuschleusen, und umgekehrt. In jenem Feld zwischen Kunst und Pop, das auch Bands wie Palais Schaumburg, Einstürzende Neubauten, F.S.K. in Deutschland sowie Pop Group, Cabaret Voltaire und Throbbing Gristle international bespielten.

Hähnchenschnitzel mit Kartoffelpüree, Gemüse und Käse-Sahne-Sauce: nur 3,20 Euro!

Ein zentrales Ausstellungsstück ist »In Leder«. Kruse hat hier das Live-Set-Up ihrer Band, einschließlich des fast schon ikonischen Teekessels, mit Leder überzogen. Die oberflächliche Verpanzerung durch den semi-elastischen Stoff Leder evoziert Gedanken um diese neue Ordnung der Dinge, und solche Refigurationen von Ordnung durch das Aufzeigen ihrer Verschlingung mit Zufall, Absurdität und Kontingenz macht die Retrospektive auch in den schwächeren Momenten aufgeputscht und kontemplativ zugleich.

Einer dieser schwächeren Momente ist das Bild »9 Monate, Bild I – IV – 10 Kinder«, das man mit Adorno kommentieren könnte: »Schatten des autarkischen Radikalismus der Kunst ist ihre Harmlosigkeit, die absolute Farbkomposition grenzt ans Tapetenmuster.« Doch der Hang zum Kunsthandwerk der Spätphase wird gebrochen durch andere Arbeiten Kruses, wie »Der Aufsteller – 48 Farben«, mit nur wenig Fantasie das Quasi-Modell eines noch zu verwirklichenden Gebäudes im Hansaviertel, oder »Neukölln – Was es alles so gibt am Kottbusser Damm«. Hier beschreibt Kruse auf Band Eindrücke eines Spaziergangs vom Kottbusser Tor zum Hermannplatz im Jahr 2003. Hauptaugenmerk legt sie hierbei auf die Arztpraxen, Geschäfte, die ungeheure Warensammlung und ihre Preise, die Kruse sachlich-abgeklärt protokolliert, bei Sonderangeboten klingt Freude an in der Intonation. Besonders lässt der Preis für das Hähnchenschnitzel mit Kartoffelpüree, Gemüse und Käse-Sahne-Sauce aufhorchen: 3,20 Euro. Doch das Schmunzeln vergeht schnell, wenn die gesellschaftliche Struktur bedacht wird, die die Kosten des Lebens kontinuierlich vervielfacht und für die lohnarbeitende Klasse den Zugriff auf das Mittel Geld konsequent einschränkt. Auch für diese Ordnung öffnet Kruse beiläufig-spielerisch die Augen.

Eine Ordnung zweiten Grades kommt in Kruses jüngster Arbeit zum Vorschein, in der sie Gegenwart und Vergangenheit miteinander kommunizieren lässt. Die zwei Sätze »Wie geht es dir jetzt« und »Mir geht es gut« werden in verschiedenster Form an die Galeriewand gebracht, sie sind aus dem Kontext der beiden LPs »Unser Debut« und »Sechs« von Die Tödliche Doris gerissen, die in den 80ern entstanden. Werden diese gleichzeitig abgespielt, ergibt sich ein neues, ein drittes Album. Die klaren Vorstellungen der Kulturindustrie von (Werks-)Einheit, Frage-Antwort-Schemata, Veröffentlichungszyklen werden im veränderten Zusammenspiel von Zeit, Raum und Material gebrochen und neu arrangiert, eine sich selbst reflektierende Ordnung.

Die Käthe-Kruse-Retrospektive »Jetzt ist alles gut« ist noch bis zum 16. Juni in der Berlinischen Galerie zu sehen.

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