Franz Ferdinand: Retro ist jetzt selbst retro

Ist das 2005? Nein, alles neu! Mit »The Human Fear« haben Franz Ferdinand endlich wieder eine sehr gute Platte gemacht

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 4 Min.
Endlich wird es wahr: »Right Thoughts, Right Words, Right Action«. Alex Kapranos springt vor Freude in die Luft, im Januar 2025 in Kingston, England.
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2005 war ich zu jung, um alt zu sein. Und auch zu alt, um jung zu sein. Und ich war ein bisschen verzweifelt. Ich fand irgendwie keinen richtigen Anschluss mehr an neue Musik. Ich kaufte mir regelmäßig das neue Oasis-Album oder die neue Platte von Paul McCartney. Und das hörte ich mir dann an. Aber sonst? Abends saß ich nach der Arbeit abgespannt im Auto. Es regnete. Ich wartete an einer Ampel. Der Moderator kündigte eine neue Band aus Großbritannien an, mit dem albernen Namen Franz Ferdinand. Und dann kam »Do you want to«. Ein großartiger Song! Aufregend! Ich kritzelte den Bandnamen auf die Parkuhr und beschloss, dem mal nachzuforschen. Ich stellte fest, dass ich offenbar so ignorant gewesen war, nicht mitzukriegen, dass die ganze Welt schon wegen des Debüt-Albums aus dem Vorjahr für diese Band schwärmte und dass es da eine ganze Menge Hits gab. Was mir auch gut gefiel, war, dass sie sich irgendwie an diesen Mensch-Maschine-Stil von Kraftwerk anlehnte, russischer Konstruktivismus oder so, und an die Postpunk-Gitarrenmusik der frühen 80er Jahre. Ich war hin und weg.

Plattenbau

Das Album der Woche. Weitere Texte unter dasnd.de/plattenbau

Und dann das fantastische Video zu »Do you want to«, das auf einer blasierten Vernissage einer Kunstausstellung spielt, die dann von Franz Ferdinand so aufgemischt wird, dass zum Schluss alle tanzen: »I love your friends they’re all so arty, oh yeah«. Klar. Das war natürlich irgendwie retro. Aber ich war wieder dabei. »I was lucky, lucky, lucky!« Die ganze neue britische Bandwelle riss mich mit.

Vieles, was ich damals toll fand, interessiert mich heute gar nicht mehr. Aber Franz Ferdinand bin ich treu geblieben. Das Album »Tonight« 2009 war toll. Doch dann kam die Band ins Schlingern. Während auf »Tonight« feste experimentiert wurde, wirkte das 2013er Album »Right Thoughts, Right Words, Right Action« wie eine halbherzige Entschuldigung für die Experimente. 2015 kam das großartige Kooperationsalbum mit den Sparks, mit dem sich beide Bands weiterentwickelten, aber irgendwie auch zu ihren Wurzeln zurückkehrten. Schade, dass es nie die Anerkennung bekommen hat, die es verdient. »Always Ascending« 2018 habe ich heiß erwartet und war tief enttäuscht. Was für ein plattes und langweiliges Album.

Jetzt ist das neue Album da und ich freue mich so! »The Human Fear« hört sich derart nach 2005 an, dass ich erst mal gucken musste, ob da jemand im Studiomülleimer gewühlt hat. Aber nein: Alles neu! Das Album, das uns damals mit der Parole »Right Thoughts, Right Words, Right Action« versprochen wurde. Stück für Stück mitreißend. Retro-Bands sind jetzt selber retro. 2013 meinte Alex Kapranos noch, er wolle versuchen, etwas Neues zu machen. Mittlerweile sagt er: »Nicht aufhören, nur weil’s altmodisch klingt!« Seine Musik solle sich nach Franz Ferdinand anhören. Finde ich gut. Denn jetzt bin ich ja wirklich alt. Kapranos und ich sind der gleiche Jahrgang.

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Und wenn ich mir die neue Platte anhöre, dann habe ich das Gefühl, er macht diese Lieder nur für mich. Ist ein bisschen egozentrisch, ich weiß. Aber schon die beatleske Single »Audacious« – was für ein Song! Oder »Everydaydreamer«: Eine schwärmerische Tonartwechselhymne mit 80er-Jahre-Billigsounds, hätte auch gut auf »Tonight« gepasst. Beim Intro von »The Doctor« glaubt man zuerst, UKW, die alte NDW-Band aus den 80ern, sei zurück. Klingt stark nach einer spannenden Kooperation, über die Kapranos mal nachdenken könnte. Und »Hooked« klingt nach kaputtem C64 oder nach einem Sprung in der Debütplatte von Human League. Aber ein sehr geiler Sprung. Und so geht das dauernd weiter, aber mir fallen keine weiteren halbgaren Vergleiche mehr ein. Einziges Manko, wie bei allen Alben seit »Tonight«: Ein extrem langweiliges Cover, das nur so tut, als sei es interessant. Aber wen interessiert im Streaming-Zeitalter schon das Cover?

Franz Ferdinand: »The Human Fear« (Domino Records/Goodtogo)

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