- Kultur
- Bauernaufstand in Tirol
Nicht nur göttliche, sondern irdische Gerechtigkeit
Es begann mit einer gescheiterten Hinrichtung: Michael Gaismair und der Tiroler Bauernaufstand
Unter Historikern gelten die deutschen Bauernkriege als »Revolution des kleinen Mannes«. Doch gab es weder ein zentrales Ereignis noch eine Revolution. In verschiedenen Regionen zunächst nördlich, dann auch südlich der Alpen, in Thüringen, Oberschwaben, Württemberg, Franken und am Oberrhein, später auch in Tirol und Salzburg, erhoben sich Bauern, von unzufriedenen Städtern unterstützt, gegen die ausbeuterischen privilegierten Stände. Die Aufstände scheiterten rasch, auch weil die Rebellen keine klaren Ideen hatten, das althergebrachte System zu stürzen. Eine Ausnahme bildete Tirol. Dort erhoben sich die Bauern erst, als mit der Schlacht bei Frankenhausen und der Hinrichtung Thomas Müntzers der Thüringer Aufstand zusammengebrochen war.
Der Aufstand begann im Fürstbistum Brixen, am 9. Mai 1525, gegen Mittag. Für diese Zeit war die Hinrichtung Peter Passlers geplant. Am Ende eines langen Rechtsstreits landete der angestellte Fischer und freie Bauer auf dem Richtblock in Brixen. Sein Dienstherr, Fürstbischof Sebastian Sprenz, hatte ihm aus heute nicht mehr zu klärenden Gründen die Fangrechte entzogen. Passler leistete Widerstand, so lange und so heftig, bis er zum Gesetzlosen wurde. Er tauchte unter, beging eine Reihe kleinerer Straftaten, wurde gefasst und in einem Prozess mit vorhersehbarem Ende zum Tode verurteilt.
Wir wissen von diesem Rechtsstreit durch Michael Gaismair. Als Schreiber in der Kanzlei mit der Causa Passler betraut, fertigte er Kopien des gesamten Schriftwechsels an. Gaismair war Spross eines Sterzinger Bergbauern. Bereits sein Vater hatte durch Übernahme einiger lukrativer Ämter und Unternehmungen im Bergbau den Sprung ins Honoratiorentum des Städtchens unterhalb des Brenner geschafft. Auch der Sohn legte eine Karriere hin, die erst im Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit möglich wurde, mit bis dahin ungeahnten wirtschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten für freie Bauern und Bürger. Dabei lief Gaismair sämtliche Stände durch: Als Grubenschreiber in Schwaz half er gegen schlechte Arbeitsbedingungen protestierenden Bergleuten beim Aufsetzen einer Petition; als Sekretär, später Offizier unter Leonhard von Völs, Landeshauptmann an der Etsch und Tirols höchster Beamter, sammelte er wertvolle politische und militärische Erfahrungen. Die Stellung beim Bischof Sprenz brachte dagegen einen Karriereknick: Gaismair hatte, noch unter Völs, in die eigene Tasche gewirtschaftet – unter Adligen damals ein Kavaliersdelikt, für jemanden aus einem der unteren Stände ein Kündigungsgrund. Gaismair verlor Rang und Posten. In der Schreibstube von Sprenz war er nicht mehr als eine qualifizierte Hilfskraft.
Ob aus Ressentiment wegen des eigenen Schicksals oder aus Mitgefühl für den ungerecht behandelten Passler: Mit dem 9. Mai 1525 wechselte Gaismair die Seiten. Er unterrichtete den Bischof darüber, dass Brixner Bürger und Bauern in einem Handstreich Passler förmlich vom Schafott heruntergerissen hätten und nun auf einer Wiese vor der Stadt ihre Beschwerden gegen die fürstbischöfliche Herrschaft sammelten sowie bereits einen Anführer gewählt hätten. Dessen Name: Michael Gaismair.
An jenem dramatischen 9. Mai 1525 flüchteten alle fürstbischöflichen Beamten aus Brixen. Gaismair stieß in das sich auftuende Vakuum. Er übernahm, zunächst mit Rückendeckung des Landesherrn Ferdinand – dem Erzherzog kam die Bredouille seiner adligen und klerikalen Machtkonkurrenz gerade recht – die Regierungsgeschäfte in Brixen. Zuvor hatte Gaismair mit einem Überfall und der anschließenden generalstabsmäßigen Plünderung des reichen Klosters Neustift vor den Toren Brixens seine Kasse aufgefüllt. Er war nun sogar imstande, eine Söldnertruppe zu unterhalten. Der finanziell chronisch klamme Ferdinand war dies nicht. Tief verschuldet bei seinem Hauptgeldgeber, der Handelsgesellschaft der Fugger, konnte dieser nicht einmal ein Heer unterhalten. Die Landsknechte, die bei früheren Konflikten eingesprungen waren, befanden sich zur Unterdrückung der Bauernunruhen nördlich der Alpen im Einsatz.
Erst als jene niedergeschlagen waren, konnte Ferdinand die Initiative ergreifen. Er forderte die Übergabe Brixens. Gaismair gehorchte widerstrebend. Ferdinand lockte ihn in seine Residenzstadt und ließ ihn festsetzen. Gaismair gelang jedoch die Flucht. Seine fortgesetzte Renitenz stellte ihn außerhalb des Gesetzes, ähnlich wie zuvor Passler. Gaismair verließ Tirol. Vom Schweizer Exil aus hoffte er, den Kampf fortzusetzen. Dabei ging er zweigleisig vor. In Graubünden eingeschneit, verfasste er zunächst ein theoretisches Konzept, das allen seinen künftigen Aktionen zugrunde liegen sollte. Sein Verfassungsentwurf – Titel: »Das ist die Landesordnung, so Michel Gaismair gmacht hat im 1526. Jahr« – sah eine Republik Tirol vor. Eine solche Staatsform gab es bereits, in der Schweiz. Doch strebte Gaismair nicht nur eine Gesellschaft frei von Ständen an, in der kein »Unterscheid der Menschen, also dass einer höher oder besser weder der ander sein wölle«, sondern eine Gemeinschaft von Gleichen, in der es fürsorglicher und gerechter zugehen sollte als in allen übrigen Ländern, die Eidgenossenschaft eingeschlossen.
Gaismairs geplante Bauernrepublik war ihrer Zeit weit voraus. Der Entwurf blieb – von der Englischen Revolution einmal abgesehen – für Jahrhunderte der fortschrittlichste in Europa. Selbst aktuell kann Gaismairs Modell als Kritik an einer globalisierten, auf marktwirtschaftlichen Prinzipien basierenden und rein an individuellem Gewinnstreben orientierten Wirtschaftsordnung gelesen werden.
In Gaismairs Programm fließen erstmals, bevor es diese Begriffe gab, Grund- und Menschenrechte ein. Soziale Gerechtigkeit statt herrschaftlicher Privilegien, basisdemokratische Repräsentanz statt elitärer Hierarchien, Gleichheit vor dem Gesetz statt ständischer Vorrechte, genossenschaftliches Wirtschaften statt (früh)kapitalistischer Ausbeutung, Garantie der persönlichen Freiheit statt Abhängigkeit und Fremdbestimmung sind weitere Eckpfeiler. Gaismairs Werk ist umso bemerkenswerter, als es von einem Autodidakten stammte. Es mag Helfer gegeben haben, aber diese sind nicht verbürgt und nirgendwo namentlich aufgeführt. Als Vorlage stand Gaismair lediglich die Bibel zur Verfügung, wie Luther sie übersetzt hatte. Gaismair, dem die institutionelle Kirche ein Gräuel war, sah Gott als höchste Instanz an, »darauf wir genzlich vertrauen sollen, dann er ganz wahrhaftig ist und niemand betrügt«. Während, so der Umkehrschluss, die Kirche es mit der Wahrheit nicht so genau nahm.
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Anders als Luther, der seine Thesen nicht politisch interpretiert haben wollte, leitete Gaismair aus der göttlichen eine weltliche Gerechtigkeit ab. Der Bergbau, bislang landesherrschaftliches Regal, sollte verstaatlicht werden, sämtlicher Grundbesitz in den Händen der Bauern bleiben. Jeder durfte nur so viel besitzen, wie er oder sie in Eigenarbeit bebauen konnte. Es sollte kein unproduktives Eigentum geben. Land, das nicht bebaut wurde, würde der Dorfgemeinschaft zur Verteilung an Bedürftige zufließen. Gaismair wollte einen unabhängigen, autarken Staat. Das Credo seiner Ökonomie, in moderne Termini übersetzt, lautete: keine Verschuldung, keine Etatbereinigung durch Kreditaufnahme, keine negative Handelsbilanz, keine Gewinnabschöpfung durch Unternehmen, Kartelle oder Oligopole, keine Minderung der Wirtschaftsleistung durch unproduktives Eigentum.
Den ganzen Winter 1525/26 hindurch hatte Gaismair an seiner Landesordnung geschrieben. Nach der Schneeschmelze plante er einen Überfall auf Tirol. Dazu hatte er in der Schweiz neue Kämpfer gesammelt, darunter viele wie er aus dem Fürstbistum Brixen Geflohene. Erstes Ziel war das stark befestigte Glurns, am Übergang von Graubünden ins tirolerische Vinschgau. Doch der Plan wurde verraten, Gaismair blies den Angriff ab.
Noch im selben Frühjahr bot sich ein neuer Einsatzort an. Im Salzburger Land hatten sich Bauern, Bergarbeiter und Städter gegen ihre klerikale Herrschaft erhoben, verkörpert durch den Fürsterzbischof Matthäus Lang. Nach der Eroberung mehrerer Gebirgspässe belagerten die Aufständischen die Festung Radstadt. Ihnen zu Hilfe kam Peter Passler, der nach seiner Befreiung untergetaucht war und sich zeitweise in der nahen Republik Venedig aufgehalten hatte. Auch er hatte eine ansehnliche Truppe Widerständler um sich geschart.
Gaismair führte seine Leute von West nach Ost durch ganz Tirol, überwand einige Alpenpässe und tauchte Ende Mai 1526 vor Radstadt auf. Das erste Gefecht gegen die in Süddeutschland nun nicht mehr gebundenen Landsknechte vermochte Gasismair noch für sich zu entscheiden. Bald jedoch gingen ihm die Kräfte aus. Radstadt konnte nicht erobert werden. Die Landsknechtsheere wurden mit frischen Kräften aufgefüllt. Am Ende wichen Gaismair und Passler der Übermacht und setzten sich mit ihren verbliebenen Getreuen, über 1000 an der Zahl, nach Venedig ab.
Gaismair und Passler traten in den Dienst der Lagunenrepublik ein und setzten von dort aus den Kampf gegen Ferdinand und die wieder etablierte alte Ordnung fort. Den Aufstand in Tirol oder anderswo neu zu entfachen, vermochten sie nicht. Passler starb Mitte Oktober 1527 im friaulischen Venzone durch die Hand eines von Ferdinand und dem Innsbrucker Hofrat gedungenen Mörders. Gaismair zog sich nach einem vergeblichen Versuch, in der Schweiz neue Kämpfer zu rekrutieren und diese gegen Tirol zu führen, als Privatier in die Gegend von Padua zurück. Dort, auf venezianischem Hoheitsgebiet, fiel Gaismair am 15. April 1532 einem von Innsbruck aus inszenierten und von Ferdinand ausdrücklich gebilligten Mordanschlag zum Opfer.
Von Ralf Höller erschien jüngst »Die Bauernkriege 1525/26. Vom Kampf gegen Unterdrückung zum Traum einer Republik« (Verlag Kohlhammer, 266 S., br., 27 €).
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