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Mehr Festung Europa mit Europol
EU will ihre Polizeiagentur stärker in Migrationskontrolle einbinden
Mit großer Mehrheit hat am Dienstag auch der Innenausschuss des Europäischen Parlaments seine Verhandlungsposition zur Reform der Europol-Verordnung beschlossen. Es ist der dritte Baustein eines »Anti-Schmuggler-Pakets«, das die EU-Kommission im November 2023 vorgelegt hatte – neben einer neuen Richtlinie zur Strafverfolgung sogenannter »Schleuser« und der Bildung einer internationalen Allianz gegen Migrantenschmuggel. Die Mitgliedstaaten hatten ihre Position zu dem Entwurf bereits vergangenes Jahr beschlossen.
Im Zentrum der geplanten Reform steht eine neue EU-Verordnung zur »Stärkung der Polizeizusammenarbeit und Europol-Unterstützung bei der Bekämpfung von Schleuserkriminalität und Menschenhandel«. Sie soll die existierende Europol-Verordnung nicht ersetzen, aber ergänzen. Wichtigster Pfeiler für die Agentur in Den Haag ist die Schaffung eines »Europäischen Zentrums gegen Migrantenschmuggel« – der Ausbau eines bereits bestehenden Zentrums mit ähnlichem Namen am Sitz von Europol. Es wurde 2016 zur Beobachtung und Analyse von Schleuseraktivitäten gegründet.
Das neue ECAMS soll deshalb nicht nur Berichte schreiben oder Onlineinhalte zur Fluchthilfe löschen lassen, sondern auch – womöglich sogar mit eigens gebildeten Einsatzgruppen – direkt in Ermittlungen mitmischen dürfen. Erlaubt wäre dann etwa die Beteiligung an grenzüberschreitenden Razzien gegen sogenannte Schleusernetzwerke. Allerdings haben sich die Abgeordneten in ihrer Position gegen die operativen Einsatzgruppen ausgesprochen. Ob diese Firewall in den Verhandlungen um eine endgültige Fassung der Verordnung hält, ist jedoch fraglich.
Scharf kritisiert wird der Ausbau Europols von der zivilgesellschaftlichen Koalition #ProtectNotSurveil, in der zwölf Organisationen vertreten sind. In einem gemeinsamen Positionspapier heißt es, die Reform diene vor allem der Ausweitung von Überwachungsbefugnissen und der Kriminalisierung von Menschen auf der Flucht. Besonders kritisch sieht das Netzwerk die geplante Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten, sämtliche relevanten Informationen über das Thema »Schleusung« an Europol weiterzugeben – ein Bruch mit der bisherigen Praxis, in der nationale Behörden über Art und Umfang der Datenweitergabe selbst entscheiden konnten. Der Ausbau Europols gefährde zudem zivilgesellschaftliche Unterstützungsstrukturen von Geflüchteten, fürchtet die Organisation PICUM, die sich für die Rechte von minderjährigen Migrant*innen einsetzt.
Die Europol-Reform fällt in eine Phase rasanter Expansion der 1999 in ihrer heutigen Form gestarteten Agentur: Zum 25. Jubiläum der Behörde im Juli 2024 beschäftigte Europol rund 1700 Personen, das Budget betrug 223 Millionen Euro. Bis 2027 sind nun 50 Millionen Euro zusätzlich für Europol vorgesehen. Ein Teil der Mittel soll die Modernisierung des Datennetzwerks für europäische Polizeien sowie das neue Personal für die Migrationskontrolle finanzieren. Rund die Hälfte des zusätzlichen Geldes fließt indes in neue Systeme zur Gesichtserkennung, DNA-Analytik und Fingerabdruckdaten.
Kritikwürdig ist laut #ProtectNotSurveil auch: Für unabhängige Kontrollmechanismen wie den Europäischen Datenschutzbeauftragten sind keine zusätzlichen Mittel vorgesehen. Auch eine begleitende Grundrechts-Folgenabschätzung für die Europol-Reform fehlt bisher – obwohl EU-Richtlinien dies für solch tiefgreifende Eingriffe vorsehen.
Aus diesem Grund hatte das Parlament eine eigene Folgenabschätzung beauftragt, die deutliche Kritikpunkte offenbart: So würden im Vorschlag der Kommission die Themen »Schleusung« und »Menschenhandel« problematisch vermischt. Zudem könnten nicht klar definierte neue Einsatzgruppen die bereits existierende grenzüberschreitende Polizeiarbeit komplizierter machen.
Ein weiteres sensibles Thema ist die geplante vertiefte Zusammenarbeit mit Frontex. Dabei geht es auch um die Internetbeobachtung unter Erhebung persönlicher Daten, die nach einer Intervention des Europäischen Datenschutzbeauftragten zunächst eingestellt werden musste. Frontex teilte »nd« dazu mit, dass seit dem Jahr 2023 wie gefordert nur in einem Ausnahmefall von sozialen Medien abgeleiteten Daten an Europol übermittelt wurden – nach strenger Einzelfallprüfung.
Auch die Ausweitung der Zusammenarbeit mit Drittstaaten, etwa durch Migrationsverbindungsbeamte, stößt bei Organisationen der Zivilgesellschaft auf Kritik: Informationen aus Ländern wie Libyen oder Ägypten, in denen dokumentierte Menschenrechtsverletzungen an Migrant*innen erfolgen, sollen künftig verstärkt in das Lagebild Europols einfließen. Die Koalition #ProtectNotSurveil warnt deshalb vor einem »Repressions-Export« der EU.
Noch ist die Europol-Reform jedoch nicht endgültig beschlossen. Nach der erfolgten Annahme im Innenausschuss wird die Position des Parlaments in der Plenarsitzung Mitte Juni formal verkündet. Bleibt dies ohne Einsprüche, beginnen die sogenannten Trilog-Verhandlungen mit Rat und Kommission für eine endgültige gemeinsame Verordnung zur »Stärkung der Polizeizusammenarbeit und Europol-Unterstützung«.
Die konservative EVP-Fraktion wird dem weiteren Ausbau Europols im Trilog keine Steine in den Weg legen – das machte der Verhandlungsführer der Fraktion Jeroen Lenaers, der zu dem Thema im Innenausschuss auch Berichterstatter ist, vor der Abstimmung deutlich.
»Als Vertreterin der Linksfraktion habe ich natürlich dagegen gestimmt«, vermeldete hingegen die Italienerin Ilaria Salis am Dienstag. »Auch wenn Opposition bedeutet, gegen den Wind zu segeln, werden wir immer für die Freizügigkeit und für sichere und legale Migrationswege kämpfen. Denn ohne Internationalismus hört die Linke auf, links zu sein – und wird nur eine verblasste Kopie der Rechten«, erklärte Salis ihre Entscheidung.
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