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  • Präsidentschaftswahlen in Bolivien

Boliviens Linke tritt getrennt an

Regierende Bewegung zum Sozialismus sieht sich Konkurrenz aus den eigenen Reihen ausgesetzt

  • Steffen Heinzelmann, La Paz
  • Lesedauer: 5 Min.
Aussichtsreiches Duo für die Präsidentschaftswahlen: Senatspräsident Andrónico Rodríguez (r) unterhält sich mit Mariana Prado bei der Zeremonie zur Bekanntgabe ihrer Kandidatur für die Partei Alianza Popular (Volksallianz).
Aussichtsreiches Duo für die Präsidentschaftswahlen: Senatspräsident Andrónico Rodríguez (r) unterhält sich mit Mariana Prado bei der Zeremonie zur Bekanntgabe ihrer Kandidatur für die Partei Alianza Popular (Volksallianz).

Die letzten Tage vor dem Ende der Meldefrist in der Nacht auf Dienstag dieser Woche waren von unerwarteten Nominierungen und Auseinandersetzungen zwischen Anhänger*innen von Evo Morales und der Polizei am Regierungssitz La Paz gekennzeichnet. Während der amtierende Präsident Luis Arce bereits zuvor angekündigt hatte, bei den am 17. August geplanten Wahlen nicht mehr anzutreten, bleibt die politische Lage angespannt, insbesondere nach dem Ausschluss des langjährigen Präsidenten Morales (2006-2019).

In den vergangenen drei Jahren kämpften Arce und Morales erbittert um die Kontrolle der Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS), was auch soziale Bewegungen und Gewerkschaften spaltete. Beide Politiker warfen sich gegenseitig Korruption und Verantwortung für die aktuelle Wirtschaftskrise vor. Auch die Justiz spielte in diesem Streit eine Rolle: Die Staatsanwaltschaft reaktivierte 2024 eine Anzeige gegen Morales wegen Missbrauchs einer Minderjährigen und suchte ihn per Haftbefehl. Morales bezeichnete die Vorwürfe als politische Verfolgung und zog sich in die Provinz Chapare zurück, wo seine Anhänger*innen die Polizei vertrieben.

Arce, der wegen der schweren Wirtschaftskrise kaum noch Unterstützung erhält, begründete seinen Verzicht mit dem Wunsch, die politische Einheit zu wahren und der rechten Opposition keinen Wahlsieg zu ermöglichen. Er forderte Morales indirekt auf, ebenfalls auf eine Kandidatur zu verzichten. Bei der Präsidentschaftswahl 2020 war Arce noch mit 55 Prozent gewählt worden, inzwischen wird ihm von einer großen Mehrheit nicht mehr zugetraut, das Land durch die Krise zu führen. Kritiker vermuten zudem, dass er im August als Senator kandidieren wird, um sich Immunität vor Prozessen wegen Korruption zu sichern.

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Evo Morales, einst unangefochtener Anführer, hat an Einfluss verloren. Das Plurinationale Verfassungsgericht (TCP) untersagte ihm die Kandidatur, da die Verfassung Boliviens maximal zwei Amtszeiten erlaubt. Morales regierte während der 2009 in Kraft getretenen Verfassung bereits für zwei Amtszeiten, insgesamt waren es sogar drei. Trotzdem versuchte Morales, nach seinem Austritt aus der MAS für drei verschiedene Bündnisse zu kandieren – doch der TSE erklärte alle drei Parteien für ungültig. In einem Appell zur Einheit forderte Morales, die Differenzen zu beseitigen und den Einfluss der Justiz auf die Politik zu bekämpfen. Anhänger*innen von Morales kündigten derweil Proteste an.

Als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat gilt Umfragen zufolge Andrónico Rodríguez. Dieser galt lange als politischer Ziehsohn von Morales und ist seit 2020 Präsident des bolivianischen Senats. Zuletzt distanzierte sich Rodríguez aber von Morales und entschied trotz des Drucks von dessen Anhänger*innen, selbst für die Präsidentschaft zu kandidieren. Sein weniger radikaler Diskurs könnte ihm helfen, eine Erneuerung zu verkörpern und Brücken in dem polarisierten Land zu schlagen. Rodríguez tritt jetzt aber für eine andere Partei an, die Alianza Popular, ein Bündnis unter Führung der Bewegung Drittes System (MTS). Mariana Prado, seine Kandidatin für die Vizepräsidentschaft, war immerhin Minister der früheren Regierung Morales.

Die MAS nominierte überraschend den bisherigen Innenminister Eduardo Del Castillo, einen 36-jährigen Juristen aus der Wirtschaftsmetropole Santa Cruz de la Sierra. Bekannt wurde er durch die Festnahmen der ehemaligen rechtsgerichteten Präsidentin Jeanine Añez und des Gouverneurs Luis Fernando Camacho, denen ein Staatsstreich nach den Präsidentschaftswahlen 2019 vorgeworfen wird. Neben Del Castillo tritt als Vize Milán Berna vom einflussreichen Dachverband der Bauerngewerkschaften CSUTCB an. Diese Wahl könnte strategisch geschickt sein, da es in Bolivien als vorteilhaft gilt, wenn die Kandidatenpaare verschiedene Landesteile sowie die indigene und die mestizische Bevölkerung repräsentieren.

Die Opposition ist gespalten. Versuche, einen vereinigten Mitte-rechts-Block zu bilden, scheiterten. Chancen rechnen sich mehrere liberale und rechtskonservative Kandidaten mit entsprechenden politischen Programmen aus, darunter Samuel Doria Medina, Jorge »Tuto« Quiroga und Manfred Reyes Villa, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten alle schon mehrmals mit ihren Kandidaturen gescheitert sind und für die politische Vergangenheit des Landes stehen: Medina war in den 1990er Jahren schon Minister, Quiroga von 2001 bis 2002 sogar für ein Jahr Übergangspräsident.

Die einzige Präsidentschaftskandidatin neben neun Männern ist die 37 Jahre alte Eva Copa, die seit vier Jahren Bürgermeisterin von El Alto ist. War sie zunächst noch Mitglied der MAS, kandidierte sie nach einem Bruch mit Morales für die Liste »Jallalla« und wurde Bürgermeisterin in der zweitgrößten Stadt Boliviens. Jetzt tritt sie für die Bewegung der Nationalen Erneuerung (Morena) an. Ihr politischer Aufstieg ist ein Beispiel für die zunehmende Bedeutung einer jungen Generation mit indigenen Wurzeln, die auf dem Land aufwachsen und dann in Großstädten an einer Universität studieren.

Die Wirtschaftskrise mit der höchsten Inflationsrate seit fast zwei Jahrzehnten, regelmäßigen Schlangen an den Tankstellen und Engpässen bei Lebensmitteln und Medikamenten werden die Armut, Ungleichheit und sozialen Spannungen in Bolivien weiter verstärken. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im August sind deshalb von zukunftsweisender Bedeutung und könnten die fragmentierte politische Landschaft nachhaltig verändern, möglich ist sogar das Ende der langjährigen fast ununterbrochenen Regierungszeit der MAS seit 2006. Die Rolle der Gerichte wird dabei immer zentraler, da acht von zehn registrierten Parteien vorgeworfen wird, nicht alle Anforderungen für eine Teilnahme an der Wahl zu erfüllen. Anfang Juni wird der Oberste Wahlgerichtshof deshalb bekanntgeben, welche Parteien und Kandidat*innen tatsächlich antreten dürfen.

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