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Die Horatier kommen aus dem Schatten
Geheimbund will für Le Pen Weichen stellen
Stand jetzt ist sie von der kommenden Präsidentschaftswahl ausgeschlossen: Marine Le Pen vom rechtsradikalen Rassemblement National. Unterstützung vom nach einem alt-römischen Geschlecht »Horatier« genannten Kreis von Experten genießt sie dennoch. Die Horatier hatten sich im Dezember 2015 gebildet, um die Parteichefin Marine Le Pen zu beraten – im Geheimen. Selbst von führenden RN-Politikern wurden sie daher misstrauisch als eine Art geheimer Orden angesehen. Dazu trug bei, dass die Namen der etwa 40 Mitglieder nie genannt werden durften, da es sich zumeist um hohe Beamte, Militärs oder Konzernmanager handelt, die geistig den Rechtsextremen nahestehen, ohne der Partei anzugehören, die aber um ihren Ruf und ihre Karriere fürchten, sollte dies bekannt werden.
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Wer steckt hinter den Horatiern?
Umso mehr ein Geheimnis um die Horatier gemacht wurde, umso eifriger waren die Medien seit Jahren bemüht, sie zu »demaskieren«. So kennt man inzwischen nicht nur die Namen ihres Vorsitzenden André Rougé sowie von einem knappen Dutzend von RN-Abgeordneten in der Nationalversammlung und im Europaparlament, die Horatier sind, sondern man weiß dies beispielsweise auch von François Durvye, dem Generaldirektor des Anlagefonds Otium Capital. Dies ist das Flaggschiff im Portfolio des konservativ-katholischen Milliardärs Pierre-Edouard Stérin, der im Verdacht steht, einen wesentlichen Teil seines Vermögens darauf zu verwenden, dem RN und anderen rechtsextremen Gruppierungen den Weg an die Macht zu ebnen. Um zu diesen Vorwürfen Stellung zu nehmen, wurde er bisher schon dreimal von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorgeladen. Dass er nie erschienen ist, auch nicht am 20. Mai, ist eine beispiellose Missachtung des Parlaments und damit der demokratischen Grundregeln, stellte der Präsident des Untersuchungsausschusses, Thomas Cazenave, fest und kündigte an, dass Stérin dafür vor Gericht gebracht werde.
Von sich aus aktiv wurden die Horatier vor einigen Tagen mit einer Pressekonferenz, mit der vorgeblich nur ihre neu geschaffene Internetseite und eine Reihe von Youtube-Videos vorgestellt werden sollten. Tatsächlich ging es wohl eher darum, eine politische Botschaft zu verkünden und damit der Gefahr zu begegnen, von ihrer privilegierten Beraterposition an der Seite von Marine Le Pen verdrängt zu werden. Das ist nicht zuletzt eine Generationenfrage, denn bei den Horatiern handelt es sich zumeist um ältere Fachleute, die beobachten müssen, wie sich im Umkreis der RN-Präsidentschaftskandidatin junge Nachwuchskräfte breitmachen. Die Konkurrenz ist im Vergleich zur Situation vor zehn Jahren auch dadurch schärfer geworden, dass das Rassemblement bei den Parlamentswahlen 2022 mit 89 Abgeordneten und bei den Neuwahlen 2024 sogar mit 120 Abgeordneten in die Nationalversammlung eingezogen ist und dadurch Anspruch auf eine entsprechende Zahl parlamentarischer Mitarbeiter und Berater hat.
Geheimbund steht weiter hinter Le Pen
Wohl um seine nach wie vor gewichtige Rolle zu betonen und Medienaufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hat der Kreis der Horatier auf seiner überraschenden Pressekonferenz erklärt, bei einer Machtübernahme durch RN sei mit einer »vernünftigen und rationalen Umwälzung« zu rechnen. »Bei diesem ersten großen Machtwechsel seit 1981 können sich der neue Präsident und seine Regierung auf die Erfahrungen und Einschätzungen von sehr gut informierten Personen stützen, die im Staatsapparat, der Wissenschaft und der Wirtschaft verankert sind und die für die Verteidigung und die internationale Politik einen Kurs empfehlen werden, der sich stark an der bewährten Politik von Charles de Gaulle und François Mitterrand orientiert«, erklärte auf der Pressekonferenz der RN-Abgeordnete Guillaume Bigot. Wie der Chef-Horatier André Rougé betonte, steht der Beraterkreis nach wie vor fest hinter Marine Le Pen. Sollte jedoch die unglückliche Situation eintreten, dass durch das Berufungsgericht das Urteil über den zeitweiligen Verlust ihres Rechts auf eine Kandidatur bestätigt wird, so werden sich die Horatier mit gleichem Einsatz für Le Pens »natürlichen Nachfolger als Präsidentschaftskandidat«, den gegenwärtigen Parteichef Jordan Bardella engagieren.
Mit ihrem öffentlichen Auftritt haben die Horatier nicht nur ihre bisherige angenehme Anonymität verloren, sondern sie werden auch gleich in den Machtkampf innerhalb des Rassemblement National hineingezogen, bei dem es um das Amt des Staatspräsidenten und des Regierungschefs sowie um Ministerposten und andere wesentliche Positionen im Staatsapparat geht und bei denen die Formel von der »Treue zu Marine Le Pen« allein nicht mehr ausreicht, um sich zu behaupten. Außerdem muss man lernen, über die RN-Grenzen zu schauen. Nachdem am vergangenen Wochenende der scharfmacherische Innenminister Bruno Retailleau mit überwältigender Mehrheit der Parteimitglieder zum Chef der rechtsbürgerlichen Partei der Republikaner (LR) gewählt wurde, ist nicht auszuschließen, dass 2027 nach einer Machtübernahme durch die Rechtsextremen eine RN-LR-Koalition und damit eine überwältigende Parlamentsmehrheit zustande kommen wird, so dass die Macht völlig neu verteilt werden muss.
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