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Abschiebung eines Marokkaners ist grundgesetzwidrig
Bundesverfassungsgericht sieht Grundrechte des Betroffenen und seiner Familie verletzt
Der Fall von Mehdi N. war nicht der einzige, dessentwegen die sächsische Abschiebepraxis im Allgemeinen und die in Chemnitz im Besonderen in der Kritik steht. Der damals 34-Jährige war am 11. Juli vergangenen Jahres in sein Herkunftsland Marokko abgeschoben worden, obwohl das Verwaltungsgericht Chemnitz in einem Eilbeschluss entschieden hatte, dass die Rückführung ausgesetzt werden muss. Denn N. ist mit einer deutschen Staatsbürgerin verheiratet und Vater eines Kindes. Im damaligen Gerichtsbeschluss hieß es, die familiären Bindungen des Mannes in Deutschland machten eine Abschiebung »unmöglich«.
Weil die sächsischen Behörden die Bundespolizisten, die Mehdi N. bereits nach Frankfurt am Main gebracht hatten, um ihn in ein Flugzeug zu setzen, nicht über den Gerichtsbeschluss informierten, wurde die Rückführung vollzogen.
Nun muss sich das sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen erneut mit dem Fall befassen. Ein Beschluss des OVG aus dem Juli 2024 verletze den Mann in seinen Grundrechten, entschied das Bundesverfassungsgericht, wie der Sächsische Flüchtlingsrat am Dienstag mitteilte. Der OVG-Beschluss werde aufgehoben, die Sache zur erneuten Entscheidung an das OVG zurückverwiesen, heißt es im Karlsruher Beschluss. Wenige Tage nach der Abschiebung hatte das OVG entschieden, dass Mehdi N. nicht zurückgeholt werden muss. Es hatte damit einen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 16. Juli aufgehoben. Darin hatte dieses die Ausländerbehörde und den Freistaat Sachsen verpflichtet, Mehdi N. innerhalb von sieben Tagen die Wiedereinreise auf Kosten der Antragsgegner zu ermöglichen, da die Abschiebung entgegen der einstweiligen Anordnung »offensichtlich rechtswidrig« gewesen sei.
Diesen Beschluss änderte das OVG am 22. Juli auf die Beschwerde der Ausländerbehörde hin ab. Den Antrag der Anwältin von Mehdi M., Inga Stremlau, auf Wiedereinreise ihres Mandanten und auf Akteneinsicht lehnte es ab. Auch die Verweigerung der Akteneinsicht, befand nun das Bundesverfassungsgericht, sei ohne Angabe »tragfähiger Gründe« erfolgt. Die Karlsruher Kammer bestätigte zudem ausdrücklich die Sicht des Beschwerdeführers, dass die Abschiebung gegen Artikel 6, Absatz 1 des Grundgesetzes verstoßen habe, der Ehe und Familie unter den »besonderen Schutz der staatlichen Ordnung« stellt.
Inga Stremlau erklärte zum Karlsruher Urteil: »Angesichts der erheblichen Grundrechtsverletzungen wäre eine zeitnahe Wiedergutmachung geboten, idealerweise in Form einer beschleunigten Rückholung des Betroffenen. Sollte dies nicht umgehend möglich sein, regen wir zumindest ein unbürokratisch und zügig durchgeführtes Visumsverfahren an.« dpa/nd
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