Werbung

Zahl der Firmeninsolvenzen und Arbeitslosen steigt

Von einer Frühjahrsbelebung auf dem Arbeitsmarkt kann in Brandenburg nicht gesprochen werden und in Berlin schon gar nicht

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Hat Handwerk goldenen Boden? Fliesenleger Robert Korte bei der Arbeit.
Hat Handwerk goldenen Boden? Fliesenleger Robert Korte bei der Arbeit.

Die Wirtschaftskrise sei in Berlin voll angekommen, urteilt der im Abgeordnetenhaus der Hauptstadt sitzende BSW-Politiker Alexander King. »Die sprunghafte Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen kann nicht mehr weggelächelt werden.«

In Berlin seien im vergangenen Jahr 2092 Betriebe zahlungsunfähig geworden, antwortete die Verwaltung von Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) auf eine schriftliche Anfrage von King. Betroffen waren mindestens knapp 11 000 Beschäftigte. Es könnten einerseits deutlich mehr sein. Da sind die Zahlen nicht ganz zuverlässig. Andererseits verliert nicht jeder Beschäftigte seinen Job, wenn ein Betrieb zahlungsunfähig wird. Einige, vor allem größere Betriebe, werden trotz Insolvenzverfahren weitergeführt, wenn auch in der Regel mit reduzierter Belegschaft. 2023 hatte es in Berlin 1647 Unternehmensinsolvenzen gegeben und 2022 waren es 1252.

Die internationalen krisenhaften Entwicklungen der vergangenen Jahre, darunter die Folgen der Corona-Pandemie und die verhaltene Konjunktur im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine sowie die damit einhergehenden Preissteigerungen vor allem für Energie, so erklärt die Senatswirtschaftsverwaltung, stellten die deutsche Wirtschaft und somit auch die Berliner Wirtschaft vor große Herausforderungen. »Für das Jahr 2025 deuten die aktuellen Daten jedoch auf eine Stabilisierung der Zahl der Unternehmensinsolvenzen hin«, heißt es von dieser Seite. In den ersten beiden Monaten des Jahres seien 341 Insolvenzen zu verzeichnen gewesen, zum Vergleich im Januar und Februar 2024 zusammen 335.

Es sind also noch mehr Insolvenzen geworden, aber nicht sehr viel mehr. Im Klartext heißt das: Die negative Entwicklung ist nicht beendet, der Trend nur gebremst. Die im Nachtragshaushalt vorgenommen notwendigen Kürzungen werden nach Einschätzung des Senats keine negativen Auswirkungen auf die Zahl der Insolvenzen haben.

Nach Ansicht des BSW-Abgeordneten King ist der Senat nicht hauptverantwortlich für den erlebten Einbruch, der sich leider auch im schrumpfenden Wirtschaftswachstum und in steigenden Arbeitslosenzahlen zeige. »Hauptverantwortlich sind diejenigen, die im Bund für die Setzung der Rahmenbedingungen zuständig sind beziehungsweise waren«, sagt King. »Der Senat macht sich aber schuldig, wenn er weiterhin die Probleme negiert. Er muss selber gegensteuern, wo es möglich ist, etwa wenn es um weniger Bürokratie, zum Beispiel im Berliner Vergaberecht, um Ausbildung und Stärkung der Tarifbindung geht.« Die Hauptstadt sei keine Insel. Es sei Zeit aufzuwachen. »Die deutsche Wirtschaftskrise zieht auch Berlin mit in den Abgrund.«

»Wir sehen keine Besserung und wir stellen vor allem mit großer Sorge fest, dass die strukturellen Defizite immer deutlicher zu Tage treten«, bemerkt Manja Schreiner, Hauptgeschäftsführerin der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK). »Es wird nicht mehr reichen, zu versuchen, die Konjunktur über vereinzelte Nachfragestimuli anzuregen.« Die Wirtschaft brauche Bürokratieabbau und schnellere Genehmigungsverfahren und bloß keine zusätzlichen finanziellen Belastungen, »um das letzte schwache Wachstum nicht auch noch abzuwürgen«. Bei der Konjunkturumfrage der Berliner IHK haben die Unternehmen die aktuelle geschäftliche Lage schlechter bewertet als zu Jahresbeginn. Fast zwei Drittel von ihnen sehen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen als größtes Risiko für ihre Entwicklung. »So hoch war dieser Wert noch nie«, erklärt die IHK.

Mehr Personal wollen die Firmen eher nicht einstellen. »Fast alle Branchen rechnen mit unveränderten Beschäftigtenzahlen. Baugewerbe und Handel gehen von leichten Beschäftigungsverlusten aus ebenso wie das Gastgewerbe, während Industrie und Dienstleistungsgewerbe allenfalls leichte Zuwächse erwarten.«

In Berlin und Brandenburg herrsche »weiterhin keine Aufbruchstimmung«, formuliert noch sehr zurückhaltend Ramona Schröder, Regionaldirektionschefin der Arbeitsagentur. Dann macht sie aber deutlich: »Ein minimaler Rückgang um gut 500 Arbeitslose in Brandenburg im Vergleich zum Vormonat April 2025 reicht nicht aus, um noch eine saisonübliche Frühjahrsbelebung feststellen zu können. In der Region Berlin-Brandenburg zusammengerechnet verzeichnen wir einen leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vormonat.«

Im Mai waren 218 445 Berliner arbeitslos gemeldet. Das waren 937 mehr als im April und 18 685 mehr als vor einem Jahr. Die Erwerbslosenquote stieg binnen Jahresfrist um 0,8 Prozentpunkte auf 10,2 Prozent. In Brandenburg waren im Mai 85 885 Erwerbslose registriert. Das waren lediglich 517 weniger als im April und 4992 mehr als vor einem Jahr. Verglichen mit Mai vergangenen Jahres stieg die Arbeitslosenquote in Brandenburg um 0,3 Prozentpunkte auf 6,3 Prozent. Offen sind in Berlin und Brandenburg jeweils nur knapp 22 000 Stellen.

9,1 Prozent der Arbeitslosen in Brandenburg sind 15 bis 25 Jahre alt. 7820 junge Leute sind betroffen. Ein wesentlicher Faktor sei »der wachsende Anteil ausländischer Jugendlicher, die mehrheitlich über keinen Berufs- oder Schulabschluss verfügen«, sagt das von Daniel Keller (SPD) geführte Potsdamer Wirtschaftsministerium. Die fehlende Qualifikation mache es schwer, sie in Arbeit zu bringen. Gleiches gelte für deutsche Jugendliche ohne Abschlüsse. Zwischen März 2024 und Februar 2025 seien extra fünf mit EU-Mitteln bezuschusste Projekte gestartet worden, um der Jugendarbeitslosigkeit in Brandenburg entgegenzuwirken.

In Brandenburg meldeten sich von Oktober bis Mai 10 569 Personen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz bei der Arbeitsagentur und den Jobcentern. Das waren 66 mehr als im Vorjahreszeitraum. Parallel sank die Zahl der gemeldeten Lehrstellen um 1371 auf 11 622. Derselbe Trend in Berlin: Es meldeten sich dort 18 468 Bewerber. Das waren 518 mehr als im Vorjahreszeitraum. Doch die Zahl der Ausbildungsplätze sank um 2092 auf 12 307. Ende Mai waren in Berlin noch 10 892 Bewerber unversorgt, für die nur noch 7245 freie betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung standen. In Brandenburg standen 6235 weiterhin suchenden Bewerbern immerhin noch 6616 freie Lehrstellen gegenüber. In beiden Bundesländern waren die Zahlen jetzt noch freier Ausbildungsplätze geringer als im Vorjahreszeitraum und die Zahlen der unversorgten Bewerber höher als ehedem.

»Wir sollten nicht aus dem Blick verlieren, worum es eigentlich geht, nämlich um eine Perspektive für junge Menschen«, sagt Nele Techen, Vizevorsitzende des Gewerkschaftsdachverbands DGB in Berlin und Brandenburg. »Investitionen in die Ausbildung und eine solidarische Ausbildungsumlage sind zentrale Stellschrauben dafür, wie sich Berlin in Zukunft entwickelt.«

Aus dem jüngsten Arbeitsmarktbericht
  • Im März waren 1,7 Millionen Berliner und 880 000 Brandenburger sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
  • In Berlin sind 27,7 Prozent der Erwerbslosen 50 Jahre und älter, in Brandenburg 35,7 Prozent.
  • Die Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen beträgt in Berlin 9,0 Prozent, in Brandenburg 6,6 Prozent.
  • 42,5 Prozent der Arbeitslosen in Berlin sind keine deutschen Staatsbürger, in Brandenburg sind es 22,9 Prozent der dort gemeldeten Erwerbslosen.
  • 66 352 Berliner und 33 457 Brandenburger sind schon länger als ein Jahr arbeitslos.
  • 8850 der Berliner und 4326 der Brandenburger Arbeitslosen sind schwerbehindert. af

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.