Die neue »Weltbühne«: Meinung und Geraune

Die neue »Weltbühne« ist ein Pamphlet ohne analytische Schärfe. Stattdessen wird langatmig geraunt und gemeint. Schade.

  • Frédéric Valin
  • Lesedauer: 5 Min.
Großer Name, eher mickrige Performance: das ist die neue "Weltbühne"
Großer Name, eher mickrige Performance: das ist die neue "Weltbühne"

Der Pazifismus hat es schwer dieser Tage. Es wäre also zu begrüßen, wenn es eine Publikation gäbe, die ihm wieder zu seinem Recht verhilft. Insofern hätte die Wiederbelebung der »Weltbühne« durchaus ihre Berechtigung, denn sie war eben jene Zeitung, die zu ihren Hochzeiten eines der Zentralorgane des deutschen Pazifismus geworden war. Und deswegen ist es auch richtig, dass diese neue »Weltbühne« mit einem der ikonografischen Sätze Kurt Tucholskys aufmacht: Soldaten sind Mörder.

Und das soll nach Maßgabe der Herausgeber auch das Programm der neuen Zeitung werden: »In einer Gegenwart, die Pazifisten wieder verlacht, Rüstung zur Investition umdeklariert und Diplomatie als Appeasement schmäht, behaupten die neuen Kriegstreiber, mit ihrem Handwerk für die Freiheit zu kämpfen. Die Weltbühne, die neue wie die alte, hält dagegen: Sie kämpft mit der Freiheit gegen den Krieg.«

Starke Worte, möchte man meinen, bis man die Zeitung dann gelesen hat. Einer der Autoren, Mitherausgeber Thomas Fasbender, macht in seinem Text im Heft schnell deutlich, dass diese ganzen Parolen nichts als Geklingel sind: Vor die Frage gestellt, welches das für ihn interessanteste Manifest der jüngeren Geschichte sei, entscheidet er sich für »Das Manifest des Futurismus« aus dem Jahr 1909, also jenen protofaschistischen Text Filippo Tommaso Marinettis, in dem es an zentraler Stelle heißt: »Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt, den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.«

Es ist ein DDR-Blatt geworden insofern, als dass die Botschaft zwischen den Zeilen herausgelesen werden soll.

Wie geht das zusammen? Gar nicht. Man kann nicht Marinetti für seinen Blutdurst feiern und gleichzeitig Pazifist sein. Fasbender geht es auch gar nicht um irgendeine Haltung, er will sich nur von dem abgrenzen, was er »Juste Milieu« nennt – linksliberales Bürgertum, Grünenwähler*innen; man kennt die Tropen. »Der Vergangenheit nicht gewachsen« nennt er seinen Text, so müsste eigentlich ein Artikel über diese neue »Weltbühne« heißen.

Das gilt nicht nur für die Inhalte, das gilt vor allem auch für den Stil. Zum Geklingel gesellt sich das Geraune. Das ganze Heft – und das sind nur 30 A5-Seiten für satte elf Euro – ist voll von Uneindeutigkeiten, vagen Andeutungen, ins Ungefähre ausfasernden Sätzen. Mit der Schärfe und Klarheit, für die unter anderem Tucholsky stand, hat das nichts zu tun. Der Star-Text dieser ersten Ausgabe ist paradigmatisch für die Methode, mit der hier gearbeitet wird: Deborah Feldman deutet an, dass der Chefredakteur der »Jüdischen Allgemeinen«, Philipp Peyman Engel, vielleicht gar kein Jude sei. Das ist ein bekannter Move bei ihr, anderen im Stammbaum herumzukleistern; es stimmt natürlich nicht. Deswegen raunt sie auch nur darum herum; richtig sagen darf sie es ohnehin nicht, das ist ihr auch gerichtlich untersagt. Aber was soll’s, ein bisschen Rufmord ist doch auch aufregend.

Insgesamt ist das Problem dieses ganzen Elaborats der Mangel an Aufrichtigkeit. Beides – das Geraune und auch das Geklingel – soll einen eklatanten Mangel an Glaubwürdigkeit überdecken – und macht ihn nur umso schärfer erkennbar. Finanziert hat die Zeitung Holger Friedrich, der vor fünf Jahren die »Berliner Zeitung« übernahm und sie zum Ostblatt umgebaut hat – oder zumindest zu dem, was er für den Osten hält: Kreml-Nähe, Schwurblertum, ein Freiheitsbegriff, der gern in eine selbstgerecht-autoritäre Haltung abkippt.

Die Markenrechte für die »Weltbühne« hat sich Friedrich in der Schweiz gekauft, allerdings gibt es drei davon, zwei hat Nicholas Jacobsohn in den USA, der Enkel des »Weltbühne«-Gründers Siegfried Jacobsohn, der sie allerdings nicht nutzt, auch mangels finanziell starker Partner. Friedrich wäre so einer, hat aber nun die Löschung von Jacobsohns Markenrechte beantragt, nach dem keine Kooperation zustande kam. Darüber hat sich Jacobsohn im »Spiegel« geärgert. Es ist kompliziert.

Auch Michael Fasbender ist Teil der journalistischen Russland-Connection, er war früher bei RT Deutschland; Michael Andrick, der Faktenchecks für eine Bedrohung der freien Gesellschaft hält, darf länglich über den Begriff »Freiheit« schreiben, und aus jeder Zeile trieft sein Konformismus.

In diesem Sinn befindet sich die »Weltbühne« durchaus in einer Tradition, die ihr auch anhaftet: Sie war ab 1945 ein linientreues Blatt in der DDR und wurde dann auch erst 1993 endgültig liquidiert. Trotzdem beziehen sich die aktuellen Herausgeber lieber auf Tucholsky als auf Peter Hacks, der in der »Weltbühne« die Ausbürgerung Wolf Biermanns feierte, so als könnten sie die Zeit zurückdrehen. So weit zurückdrehen, wie sie es sich wünschen. Als müssten sie nicht auch die problematische Geschichte aufarbeiten, sondern könnten direkt an irgendeinem Satz anfangen, der ihnen bei Tucholsky gefallen hat.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Und das ist das Schlimmste an dieser Ausgabe: Sie stellt sich dumm. Das tut sie in jeder Hinsicht: Sie nennt sich pazifistisch, spricht aber nicht von aktuellen Kriegen. Sie fordert Debatten ein, sagt aber nicht, was sie meint. Es ist ein DDR-Blatt geworden insofern, als dass die Botschaft zwischen den Zeilen herausgelesen werden soll. Das aber ist nicht das linke Erbe von Tucholsky oder Carl von Ossietzky. Stattdessen ist sich der dritte Herausgeber, Behzad Karim Khani, nicht zu blöd, langatmig hinzuschreiben, warum er jetzt mit jemandem wie Fasbender, der den Krieg verherrlicht, ein pazifistisches Heft macht. Weil: Der sei halt Anarchist.

Ja, dann kommt eben am Ende so ein Heft dabei heraus. Es bräuchte dringend ein Zentralorgan eines deutschen Pazifismus; Voraussetzung wäre hierfür eine gewisse intellektuelle Aufrichtigkeit. Die gibt es hier nicht: Die so wortreich angekündigte Verteidigung des Pazifismus spielt keine Rolle im Blatt. Das ganze Heft ist eine Lüge, die sich darauf hinausredet, dass auch andere lügen. Ironischerweise macht sie das zu genau dem, was sie keinesfalls sein will: zum braven Mitglied der Gesellschaft. Tragisch daran ist nur, dass schon wieder jemand so getan hat, als wäre er Pazifist, und es am Ende nicht war. Insofern ist die ganze Zeitung ein klassisch deutsches Erzeugnis.

- Anzeige -

Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.

Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen

Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.