• Berlin
  • Stadtentwicklung in Berlin

»Urbane Mitte« in Kreuzberg: Feindliche Übernahme

Senat entzieht Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg das Bauprojekt »Urbane Mitte«

So stellen sich die Projektentwickler das Hochhausensemble am Gleisdreieckpark vor.
So stellen sich die Projektentwickler das Hochhausensemble am Gleisdreieckpark vor.

Der Senat zieht das Bauprojekt »Urbane Mitte« am Gleisdreieckpark in Kreuzberg an sich. Das erklärte Bausenator Christian Gaebler (SPD) am Dienstag im Anschluss an die Sitzung des Senats. »Das ist das probatere Mittel«, sagte Gaebler. Das Projekt solle nun »aus einer Hand weiterentwickelt« werden. Gaebler hatte den baurechtlichen Schritt schon am Montag im Stadtentwicklungsausschuss angekündigt, bereits im Februar war ein entsprechender Schritt dem Bezirk gegenüber angedroht worden.

Das Bauprojekt wird mit dem Beschluss zu einem Projekt mit »gesamtstädtischer Bedeutung« erhoben – die Voraussetzung dafür, dass die Verantwortlichkeit vom Bezirk zum Senat wechseln kann. Gaebler wiederholte auf der Pressekonferenz Vorwürfe gegen den Bezirk, die die Senatsverwaltung bereits in der Vergangenheit geäußert hatte. »Der Bezirk möchte am liebsten gar nicht bauen«, sagte Gaebler. »Aber es ist etwas anderes vereinbart.« 2005 hätten Senat, Bezirk und der damalige Eigentümer einen Rahmenvertrag abgeschlossen, zu dem auch die »Urbane Mitte« gehöre. Würde das Bauvorhaben nicht realisiert werden, könnte der Eigentümer das Parkgelände am Gleisdreieck wieder übernehmen, das er einst der Stadt zur kostenlosen Nutzung überließ.

Die »Urbane Mitte« ist eines der kontroversesten Bauvorhaben der Hauptstadt. Ein Investor will am Gleisdreieckpark in Kreuzberg insgesamt sieben Hochhäuser errichten, die den Plänen nach bis zu 90 Meter in den Himmel ragen sollen. Auf der Geschossfläche von 119 000 Quadratmetern sollen vor allem Büros unterkommen. Die Fläche gehörte ursprünglich der Bundeseisenbahn, später wurde das Gelände an einen privaten Investor verkauft.

»Neuer Büroraumbau lohnt sich.«

Christian Gaebler (SPD) Bausenator

Gegen das Projekt regt sich schon seit längerer Zeit Widerstand. Eine Bürgerinitiative hat bereits angekündigt, gegen den Bebauungsplan klagen zu wollen. Sie befürchtet, dass die Hochhäuser den anliegenden Park unbenutzbar machen könnten, und führen ökologische Bedenken an. Auch in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg teilen viele diese Ansicht. Dort wurden mehrere Resolutionen gegen das Projekt verabschiedet, mit den Stimmen von Grünen, Linken und – gegen die Linie der Landespartei – der örtlichen SPD. Mit Verweis auf diese Resolutionen weigerte sich Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) immer wieder, den Bebauungsplan zu genehmigen. Zuletzt verlangte er, dass die Bebauung komplett neu konzipiert werden soll.

Im vergangenen Jahr entzog der Senat dem Bezirk bereits die Verantwortung für den südlichen Teil der Planfläche. Nun folgt auch der nördliche Teil. Dort verkomplizieren die Pläne für die S-Bahnlinie 21 das Bauvorhaben. Die geplante Trasse soll durch den Park führen, auch ein Bahnhof ist vorgesehen. Die unklare Situation war offiziell der Grund dafür, warum der Bezirk bei dem Projekt auf die Bremse drückte.

»Es gibt noch immer Diskussionen über die Führung der Verkehrsanlagen«, sagte Gaebler. »Wir führen dazu intensive Gespräche.« Für den nördlichen Teil der Planfläche rechne er deswegen nicht mit einem Baubeginn vor 2030. Im südlichen Teil soll der Bau dagegen noch in diesem Jahrzehnt beginnen.

Eine Gefährdung für den Umweltschutz sieht Gaebler nicht. Denn für die »Urbane Mitte« sollen ausschließlich Flächen bebaut werden, die bereits versiegelt seien. Auch ein weiteren Kritikpunkt an dem Projekt griff Gaebler auf. So hatten Kritiker bemängelt, dass mit der »Urbanen Mitte« hunderte Büroräume entstehen sollen, obwohl berlinweit zahlreiche Bürogebäude leerstehen. »Es stimmt nicht, dass nur Büros gebaut werden«, sagte Gaebler. Der Bebauungsplan sehe auch kulturelle, gemeinwohlorientierte Nutzung vor.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Viele bestehende Büroflächen erfüllten zudem nicht die Kriterien, die große Unternehmen stellen. »Neuer Büroraumbau lohnt sich«, sagte Gaebler – um sich im nächsten Moment nachdenklich zu zeigen. »Volkswirtschaftlich kann man das hinterfragen«, sagte er. »Aber solange wir in einer sozialen Marktwirtschaft leben, muss man sich mit bestimmten Themen arrangieren.«

Gaebler stellte in Aussicht, dass der Senat den Projektentwickler noch dazu bewegen will, zumindest auf einem Teil der Fläche Wohnnutzung zu ermöglichen. »Wir werden mit denen reden, ob im Bereich Nord, wo die Planungen noch nicht weit fortgeschritten sind, auch Wohnnutzungen integriert werden können«, sagte er. Dem stünden aber planungsrechtliche Schwierigkeiten entgegen: Durch die zahlreichen U- und künftig auch S-Bahnen, die an der Stelle verkehren, ist der Ort stark lärmbelastet, was die Wohnnutzung einschränkt.

In Friedrichshain-Kreuzberg stößt die Entscheidung auf scharfe Kritik. »Der Senat betreibt weiterhin Investorenpolitik, verkauft diese der Öffentlichkeit als städtisches Gesamtinteresse und setzt sich dabei über das kommunale Planungsrecht hinweg«, erklärt Gaby Gottwald, stadentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion in der BVV, laut einer Pressemitteilung.

- Anzeige -

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -