Berlin: Wahlkampfauftakt im Kleinen

Elif Eralp (Linke) und Werner Graf (Grüne) stellen sich Gewerkschaftern

Werner Graf (ganz links) und Elif Eralp (ganz rechts) bei der Verdi-Diskussionsveranstaltung
Werner Graf (ganz links) und Elif Eralp (ganz rechts) bei der Verdi-Diskussionsveranstaltung

Zwei Plätze bleiben leer auf der Bühne: Einer Einladung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zu einer Podiumsdiskussion folgten nur Werner Graf, Spitzenkandidat der Grünen für die Abgeordnetenhauswahl im nächsten September, und Elif Eralp, Grafs Pendant bei der Linkspartei. Der Abgeordnete Lars Rauchfuß, der eigentlich die SPD vertreten sollte, sagte kurzfristig ab – und die CDU hatte die Einladung direkt abgelehnt. Die Gewerkschafter reagieren pikiert. »Eine Frechheit« sei das Fehlen der zwei Regierungsparteien, sagt eine Gewerkschafterin im Publikum.

Eingeladen hat Verdi am Montagnachmittag, um mit den Spitzenkandidaten der Parteien über Arbeitspolitik zu sprechen. Der Anlass: Die bundesweit laufende Tarifrunde für den öffentlichen Dienst der Länder. Weil die Arbeitgeberseite dort bislang kein Angebot vorgelegt hat, soll es am Donnerstag auch in Berlin einen Warnstreik geben. Parallel wird im Abgeordnetenhaus eine Frage behandelt, die für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst ebenfalls schwerwiegende Konsequenzen haben dürfte: Im Landesparlament soll am Donnerstag der Doppelhaushalt für die Jahre 2026 und 2027 beschlossen werden, der zahlreiche Kürzungen vorsieht.

Dass die Sorge unter den Beschäftigten groß ist, zeigen mehrere aufgebrachte Redebeiträge von Gewerkschaftsmitgliedern. »Wir können nur gute Arbeit machen, wenn wir die Rahmenbedingungen dafür haben«, sagt eine Sozialarbeiterin vom Neuköllner Jugendamt. An einem Tag in der vergangenen Woche habe ihr Team gleich drei Meldungen bekommen: Ein Zwölfjähriger habe in der Schule gesagt, dass er zu Hause geschlagen werde; ein anderthalb Jahre altes Kleinkind sei verwahrlost in einer Wohnung gefunden worden; ein Kindesvater habe sich Zugang zur Wohnung der von ihm getrennt lebenden Mutter verschafft und sie vor den Augen der Kinder mit Schlägen misshandelt.

»Wir müssen uns entscheiden, was wir davon bearbeiten können«, so die Sozialarbeiterin. Denn die Ressourcen seien knapp bemessen. Einer »sozialarbeiterischen Triage« komme das gleich, klagt sie. »Es ist zu viel Verantwortung für die wenigen Schultern, die wir sind.« Doch der Senat stelle nicht etwa mehr Personal zur Verfügung, sondern versuche, an den Strukturen noch weiter zu sparen.

Kaum anders ist das Bild, das ein an der Humboldt-Universität aktiver Gewerkschafter zeichnet. Schon seit Jahren kämpfe die Hochschule mit maroden Gebäuden und überfüllten Seminaren. Die Neufassung der Hochschulverträge, die ebenfalls am Donnerstag im Abgeordnetenhaus endgültig beschlossen werden soll, vertiefe die Krise nun noch einmal sichtbar.

»Wir können die Gehaltsforderungen finanziell abbilden.«

Werner Graf (Grüne) Spitzenkandidat

Den Universitäten waren mit den Hochschulverträgen eigentlich deutliche Mittelaufwüchse in Aussicht gestellt worden, doch im Sommer kündigte der Senat die Verträge einseitig auf und zwang die Hochschulen zu Neuverhandlungen. Im Ergebnis müssen die Unis nun mit spürbar weniger zusätzlichen Mitteln auskommen. Bedingt durch Inflation und Tarifaufwüchse bedeutet das faktisch, dass sie Angebote kürzen müssen. »Wir befürchten einen Qualitätsverlust in der Lehre«, so der Gewerkschafter.

Die neuen Hochschulverträge bedeuteten, dass die ohnehin schon überarbeiteten Dozenten noch weiter belastet werden, sagt der Gewerkschafter. Zugleich seien kleinere und spezialisiertere Studiengänge gefährdet. »Berlin verliert an Attraktivität in der Wissenschaft«, pflichtet eine Kollegin ihm bei. Besonders stört den Gewerkschafter, dass die Unibibliotheken Onlinenutzungsverträge mit zahlreichen Verlagen beendet hätten. Nun könnten viele Lehrbücher nicht mehr digital abgerufen werden. In der Bibliothek seien die Grundlagenbücher zumeist ausgeliehen. Armen Studierenden sei es kaum möglich, die oft kostspieligen Lehrbücher selbst zu beschaffen. Sein jüngerer Bruder habe nun auch ein Studium an der HU begonnen. »Zu Weihnachten wünscht er sich ein Lehrbuch«, so der Gewerkschafter.

Bei den anwesenden Politikern treffen sie mit diesen Klagen auf Verständnis. »Wir können die Gehaltsforderungen finanziell abbilden«, sagt Grüne-Spitzenkandidat Werner Graf. Verdi fordert für die Landesbeschäftigten 7 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 300 Euro mehr. Höhere Löhne trügen dazu bei, die Attraktivität des öffentlichen Diensts zu erhöhen. Aktuell kämpften die Landesbehörden damit, nicht alle Stellen besetzen zu können. »Wir kriegen die Stellen dann besetzt, wenn wir sie gut bezahlen«, so Graf.

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Allzu viel will Graf allerdings auch nicht versprechen. »Es wird nicht einfach mit dem Haushalt«, gibt er zu bedenken. »Es wäre auch nicht gerecht zu sagen, dass wir alles finanzieren können.« Seiner Ansicht nach dürfe es nicht zu Kürzungen in Bereichen kommen, die selbst Geld für die Stadt generieren. Konkret seien das die Wissenschaft, aus der heraus es immer wieder zur Ausgründung von Unternehmen komme, und der Tourismus. »Das sind die zwei wichtigsten Faktoren«, so Graf. »Wenn wir jetzt noch so viele Touristen hätten wie vor Corona, dann müssten wir gar keine Kürzungen machen.«

Linke-Spitzenkandidatin Elif Eralp findet dagegen weniger Gefallen an den Touristen. »Die Touristen wohnen in unseren Wohnungen«, beklagt sie. Viele Touristen übernachteten in privat über den Vermittler Airbnb vermieteten Wohnungen, während die Berliner Hotels nicht mal zur Hälfte ausgelastet seien. Dem wolle ihre Partei einen Riegel vorschieben.

Auch Eralp unterstützt die Verdi-Forderungen. Sie seien »das Mindeste«. Ihre Partei trete dafür ein, die bislang nur unmittelbar Landesbeschäftigten zustehende Hauptstadtzulage auch Beschäftigten bei freien Trägern und Hochschulen zu zahlen. »Wir stehen da an der Seite der Beschäftigten«, so Eralp. Sie stelle sich gegen den »Sparhaushalt« und wolle Landessteuern erhöhen, um die Einnahmen zu stärken. Trotz zuletzt geringerer Neuzugänge bei Kitas sollten die Zuschüsse für die Kindergärten keinesfalls gekürzt werden. »Wir wollen den Erzieher-Kind-Schlüssel weiter runterschrauben«, verspricht sie.

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