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»Es ist ein idealistischer Beruf«
Die Hebamme Sophia Stampfer über die Magie der Geburt, Gewalt im Kreißsaal und männliche Kollegen
Frau Stampfer, wie sah heute Ihr Arbeitstag aus?
Eigentlich wollte ich Homeoffice machen, doch dann wurde ich nachts zu einer Geburt gerufen. Danach musste ich mich erst mal ausruhen. Ich habe einen sehr gesunden Lebensstil und kann nicht zu müde sein. Wenn ich zum Beispiel abends mit Freunden ausgehe, schlafe ich meist vor. Und generell überlege ich immer, was ich noch brauche, um eine Geburt gut begleiten zu können.
Sie sind ständig auf Abruf?
Jede zweite Woche bin ich in Rufbereitschaft als erste Hebamme, da nehme ich meine Hebammentasche überall mit hin, genauso wie meine Sporttasche, um zwischendrin mal Sport machen zu können. In der jeweils anderen Woche bin ich als zweite Hebamme hinter meiner Kollegin in Bereitschaft – das ist etwas entspannter. Und ich bin ja nicht jede Nacht draußen, sondern betreue etwa vier Geburten pro Monat.
Sophia Stampfer hat 2015 eine Ausbildung zur Hebamme abgeschlossen und arbeitet seither vor allem in der Geburtshilfe, zunächst für sieben Jahre in verschiedenen Brandenburger und Berliner Kliniken. Seit drei Jahren betreut sie Hausgeburten. 2022 hat sie zudem den Bachelor of midwifery erlangt.
Und was ist mit Urlaub?
Das ist alles eine Frage der Organisation und des Teams. Meiner Kollegin und mir ist es wichtig, ein Wochenende im Monat freizuhaben und etwa zehn Wochen im Jahr Urlaub zu machen. Die restliche Zeit bin ich dann an Berlin gebunden. Hebamme zu sein ist schon ein idealistischer Beruf – den ich zugleich sehr liebe.
Warum?
Gerade die Geburtshilfe ist sehr situativ und man begleitet die Menschen durch einen Prozess. Da ist alleine meine Präsenz oft schon hilfreich. Und in all den Schmerzen und dem Schweiß liegt ja auch eine Schönheit – gerade wenn die Geburt geschafft ist und die Frauen ein Strahlen bekommen, nachdem sie schon am Ende ihrer Kräfte waren.
Früher kam das Wissen zur Geburt aus der Familie. Heute googeln alle selbst und wissen es dann vielleicht besser. Wird Ihnen oft die Kompetenz abgesprochen?
Ich finde, wenn ich einen Vorschlag mache, muss ich das so erklären, dass es logisch und vom Herzen nachvollziehbar ist für die begleitenden Personen. Jeder Mensch hat eigene Vorstellungen, das kann ich auch so stehenlassen – ich mache nur ein Angebot. Schwieriger finde ich es mitunter, mit manchen Gynäkologen oder Kliniken zu arbeiten, in dieser Hierarchie ist es schwierig dagegen zu argumentieren.
Dabei blickt Ihr Beruf auf eine lange Tradition zurück.
Viel altes Hebammenwissen wurde nicht schriftlich festgehalten, das haben oft erst die männlichen Ärzte gemacht – viele Griffe sind also männlich geprägt und benannt. Die Nazis haben dann schreckliche Menschenversuche gemacht rund um Geburten, weshalb viele Bücher anschließend verbannt wurden. Das war auch sinnvoll, dadurch hat aber für eine Zeit kaum noch Wissensüberlieferung stattgefunden. Nach dem Krieg gab es also viele mechanische Abläufe: Alle Frauen haben einen Einlauf sowie eine Rasur bekommen und durften nicht mehr essen. Viele Hebammen wussten nicht mal mehr, warum sie das tun. Gleichzeitig wollten die Frauen modern sein und in der Klinik gebären. Dort haben sie sich aber oft ausgeliefert gefühlt: Da gab es diese Käferstellung oder die Ärzte haben sich im gekachelten Kreißsaal zwischen die gespreizten Beine gesetzt und die Geburt beobachtet. Nach der 68er-Bewegung durften Frauen sich wieder frei bewegen und die Hebammen haben individueller mit ihnen gearbeitet.
Trotzdem erlebt je nach Statistik jede dritte bis fünfte Mutter eine traumatische Geburt. Wie viel Gewalt gibt es im Kreißsaal?
Ich habe schon viele Kliniken gesehen, solche, die ich nicht empfehlen würde und solche, wo die Wahrscheinlichkeit für eine gewaltfreie Geburt viel höher ist. Es gibt wirklich viele engagierte Hebammen, die niemanden in eine blöde Situation bringen wollen – gerade die neue Generation arbeitet in der Regel sehr behutsam. Aber als Hebamme ist man nie davor gefeit, Gewalt auszuüben, sei es verbal, körperlich oder weil man sich übergriffig verhält.
Weil die Geburt eine Extremsituation ist?
Ich habe gelernt, frauenzentriert zu arbeiten – wenn eine Frau bestimmte Berührungen unangenehm findet, lasse ich das. Aber manchmal ist es schwierig, mich nur von der Frau leiten zu lassen. Ich bin schließlich die Fachkraft, das erwarten die Frauen auch von mir. Ein einfaches Beispiel: Wahrscheinlich sagen 90 Prozent der Frauen während der Geburt, dass sie nicht mehr können, aber natürlich weiß ich, wozu ein Frauenkörper noch in der Lage ist. Es ist dann ein feines Abwägen: Wie sehr kenne ich die Person und kann ihr mehr zutrauen? Oder muss ich fragen, ob sie sich nicht mehr wohlfühlt und ein Schmerzmedikament braucht?
Ein anderes Problem ist Rassismus, darüber berichtet etwa die Hebamme Katharina Perreira in Interviews. Wie rassistisch ist die Geburtshilfe?
Es gibt Studien, die negative Auswirkungen von Rassismus in der Geburtshilfe und der Betreuung der Frauen aufzeigen. Vor allem am Anfang meiner Hebammenzeit habe ich erlebt, wie auf der Wochenbettstation gelästert wurde, etwa über homosexuelle Paare oder über People of Colour. Ich habe aber den Eindruck, dass es heute ein größeres Bewusstsein gibt und kultursensibler gearbeitet wird – so wie es unsere Berufsethik auch klar vorsieht.
Es gibt einen gesetzlichen Anspruch auf Versorgung. Bekommen alle werdenden Mütter eine Hebamme?
Das kommt darauf an, wo und wie. Die Zahl der Geburtsstationen ist in den letzten Jahrzehnten enorm zurückgegangen. Und an vielen Orten gibt es kaum Hebammen, die Hausgeburten betreuen – obwohl es den Müttern eigentlich freisteht, sich den Geburtsort auszusuchen. Wegen schlechter Arbeitsbedingungen bleiben auch nicht alle Hebammen im Beruf. Auf der anderen Seite werden alleine in Berlin durch das Studium gerade 80 bis 160 neue Hebammen pro Jahr ausgebildet, zudem gab es einen leichten Geburtenrückgang. Also für die Mittel- und Oberschicht ist es meist wirklich gut machbar, eine Hebamme zu finden. Aber für sozioökonomisch weniger Privilegierte ist es schwieriger, weil viele nicht wissen, wo man anfragen kann oder weil in Brennpunktbezirken teils weniger Hebammen arbeiten.
Ein Thema, über das Hebammen und ihre Vertretungen öfter klagen, sind die hohen Versicherungssätze.
Die außerklinische Geburtshilfe, das betrifft Geburtshäuser, Beleghebammen und Hausgeburtshilfe, müssen eine Berufshaftpflicht bezahlen. Es gibt nur zwei Versicherungen und der Beitrag kommt schnell auf über 10 000 Euro im Jahr, in meinem Fall sind es 12 500. Das muss man vorauszahlen, und wenn man pro Quartal eine Geburt begleitet oder wenn die Frau kurzfristig absagt, bekommt man 75 Prozent erstattet. Aber es bleiben in meinem Fall immer noch über 3000 Euro übrig, das ist viel. Zudem gibt es noch andere Belastungen.
Welche?
Die Lobby der Hebammen ist klein, die Menschen wissen vor allem von uns, wenn sie Kinder bekommen und dann nicht mehr. Für fünf Wochen 24/7-Rufbereitschaft nehmen wir eine Pauschale von 1000 Euro, das sind knapp 30 Euro pro Tag für zwei Hebammen. Ich kenne sonst keinen Beruf, der das machen würde für so wenig Geld.
Was bleibt am Ende des Monats übrig?
Ich komme mit 30 Wochenarbeitsstunden auf gut 2000 Euro netto. Wenn ich mich mit manch anderen Gesundheitsdienstleistern vergleiche, ist das nicht gerade viel. Für die Krankenkassen sind wir ja insgesamt günstig, aber das ganze Gesundheitswesen ist eher auf Pathologien als auf Vorsorge ausgerichtet.
Vereinzelt arbeiten auch Männer im Hebammenberuf. Sollten es mehr werden?
In anderen Ländern wie Großbritannien oder Äthiopien gibt es viel mehr Männer im Beruf und die machen das auch gut – gerade in Äthiopien habe ich das selbst erlebt. Sie sind sensibel und sich ihrer Rolle als Mann durchaus bewusst. Also gerne mehr davon.
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