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Sexarbeiterin: »Es geht um Kontrolle, nicht um Schutz«
Sexarbeiter*innen haben einen eigenen Gesetzentwurf zum Umgang mit ihrem Beruf vorgelegt
Bald soll die Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes veröffentlicht werden. Für Sie als Teil der Sex Worker Action Group (SWAG) steht aber bereits fest, dass das Gesetz ersetzt werden muss. Wie lautet Ihre Kritik daran?
Als das Gesetz 2017 eingeführt wurde, ging es angeblich darum, die Sicherheit von Sexarbeiter*innen zu erhöhen und Ausbeutung zu verringern. Passiert ist das genaue Gegenteil: Sowohl die Sicherheit als auch der Zugang zu Arbeitsschutzrechten haben sich verschlechtert.
Das liegt hauptsächlich an der Registrierungspflicht. Der sogenannte Hurenpass ist mit großen Hürden verbunden, vor allem für jene, die am dringendsten auf ihre Arbeit angewiesen sind: Menschen, die bereits von Diskriminierung betroffen sind und beispielsweise gerade dabei sind, einen Aufenthaltstitel oder eine Krankenversicherung zu erlangen.
So drängt das Prostituiertenschutzgesetz in die Illegalität und schafft ein Zwei-Klassen-System: Etwa 90 Prozent der Sexarbeiter*innen in Deutschland sind nicht registriert.
Sie selbst gehören zu den anderen zehn Prozent. Wie beeinflusst die Anmeldung ihre Tätigkeit?
Ich empfinde sie als extrem invasiv. Man muss seinen vollen Namen und seine Adresse angeben. Die Polizei ist danach rechtlich befugt, jederzeit den Arbeitsort zu durchsuchen, selbst wenn es sich dabei um die eigene Wohnung handelt. Für viele ist das ein weiterer Grund, lieber illegal zu arbeiten.
Auch die verpflichtenden Gesundheitskontrollen stören mich. Ich bin 30 Jahre alt, arbeite seit über sechs Jahren in meinem Beruf. Natürlich weiß ich, worauf ich achten muss – dafür brauche ich den Staat nicht. Trotzdem kommt es regelmäßig vor, dass mir Gesundheitsberater*innen vorschreiben wollen, wie ich meinen Job zu tun habe. Bei solchen Vorgaben geht es um Kontrolle, nicht um Schutz.
Blade, 30, ist Vollservice-Sexarbeiter*in und heißt eigentlich anders. Seit vier Jahren ist Blade Teil des Bündnisses Sex Worker Action Group Berlin (SWAG). Am 2. Juni, dem Internationalen Hurentag, stellte SWAG gemeinsam mit weiteren Organisationen den Gesetzentwurf »Gesetz für Gleichstellung, Respekt und Rechte in der Sexarbeit« vor.
Gemeinsam mit weiteren Organisationen hat das SWAG einen eigenen Gesetzentwurf erarbeitet. Wie soll damit die Lage für Sexarbeiter*innen in Deutschland verbessert werden?
Wir schlagen eine vollständige Entkriminalisierung der einvernehmlichen Sexarbeit unter Erwachsenen vor – wie es in Belgien seit 2022 der Fall ist. Die Zwangsregistrierung fiele weg, genau wie die Schein-Selbstständigkeit, in der die meisten Sex-Arbeiter*innen aktuell arbeiten. Stattdessen würde Sexarbeit als Beruf wie jeder andere anerkannt werden. Wir bekämen vollständige Arbeitsrechte: Rente, Krankengeld, Elternzeit. Und wir könnten Gewerkschaften gründen.
Unser Gesetz definiert klar, was Sexarbeit und was Menschenhandel ist. Damit soll Überlebenden von Menschenhandel geholfen werden, sich besser zu schützen – sie haben ganz andere Bedürfnisse als Menschen, die dem Beruf freiwillig nachgehen.
Diese Trennung erscheint sinnvoll. Doch Ausbeutung und Fremdbestimmtheit sind nicht immer eindeutig. In Umfragen gibt die Mehrheit von Sexarbeitenden an, nicht freiwillig in dem Beruf zu arbeiten. Wirtschaftliche Zwänge spielen dabei eine wichtige Rolle. Wie geht der Gesetzentwurf mit dieser Schwierigkeit um?
Ich habe eine Freundin, die trotz Skoliose in einer Bar arbeitet, einfach weil es der einzige Job ist, den sie bekommen hat; aber niemand redet davon, die Gastronomie zu kriminalisieren. Auch in der Modebranche sind Zwang und Ausbeutung weit verbreitet; aber niemand will sie verbieten. Worauf ich hinaus will: In jeder anderen Branche würde es bei wirtschaftlichen Problemen und unzureichendem Schutz heißen: Arbeitsrechte stärken – nur bei der Sexarbeit nicht.
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Befürworter*innen eines Verbots von Sexarbeit argumentieren, dass es sich eben nicht um einen Beruf wie jeden anderen handelt – sondern um ein Produkt von Patriarchat und Kapitalismus.
Ich kann dazu nur meine persönliche Meinung teilen und nicht im Namen von SWAG sprechen. Mich stört es, dass Menschen das Bedürfnis nach Intimität stigmatisieren. In anderen Kulturen wurden und werden Sexarbeiter*innen als Gemeinschaftsmitglieder respektiert, die Fürsorge und Intimität bieten – besonders für Menschen, die zum Beispiel einsam sind oder das Gefühl haben, dass sie das nirgendwo anders bekommen können. Das ist eine Realität, besonders für viele Menschen mit Behinderungen. Ich habe viele Kunden, die alle möglichen Gründe haben, warum sie nicht auf ein Date gehen können.
Für mich sind es gerade Swerfs (Abkürzung für »Sexarbeiter*innen ausschließende Radikalfeministinnen«, Anmerkung der Redaktion), die patriarchale Normen verfestigen, wenn sie sagen, Sex sei nur zulässig, wenn er der Liebe oder der Fortpflanzung dient – nicht aber für Geld.
Trotzdem sieht es derzeit eher nach weiteren Beschränkungen aus als nach einer Entkriminalisierung. Das Europäische Parlament hat sich für das »nordische Modell« ausgesprochen, also das Verbot des Kaufs sexueller Dienstleistungen; auch die CDU befürwortet diese Regelung. Wie blicken Sie auf den aktuellen politischen Diskurs?
Es ist wirklich beängstigend. Das Schwedische Modell würde die aktuelle Situation deutlich verschlimmern. Es führt dazu, dass Sexarbeiter*innen unter riskanteren Bedingungen arbeiten und weniger auf ihre Gesundheit achten können. Deshalb befürworten etwa Amnesty International oder die Weltgesundheitsorganisation eine Entkriminalisierung von Sexarbeit.
Will man Sexarbeiter*innen schützen, muss man uns fragen, was wir brauchen.
Unser Gesetzentwurf ist der einzige, der von Sexarbeitenden geschrieben wurde – von uns, für uns.
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