Selbstbestimmung: Hurentag im Zeichen des Gesetzes

Berliner Sexarbeiter*innen haben eine alternative Gesetzgebung für ihre Arbeit vorgelegt

Berliner Sexarbeitende: Nicht mehr nur demonstrieren, sondern endlich über ihre Arbeitsbedingungen mitentscheiden.
Berliner Sexarbeitende: Nicht mehr nur demonstrieren, sondern endlich über ihre Arbeitsbedingungen mitentscheiden.

»Solange die meisten von uns weiterhin mehrfach diskriminiert werden, so lange sitze ich hier und kämpfe für uns und unsere Arbeit!« Etwa vierzig Menschen nicken, klatschen und befragen die Rednerin Blade den ganzen Abend lang zu Aufenthaltsstatus, Registrierung und zu dem Rechtsdokument, das ihre Organisation zusammen mit Anwält*innen monatelang erarbeitet hat. Sie alle passen gerade noch in das Hinterzimmer der queeren Neuköllner Bar »Silverfuture«, die seit bald 20 Jahren eine sichere Anlaufstelle für viele in der Berliner LGBTQ-Community ist. Und neben den »Kings« und »Queens« sind hier laut Selbstverständnis auch »Criminal Queers« willkommen. Das gibt vielleicht einen Hinweis darauf, warum diese Veranstaltung gerade hier stattfindet. Denn mit der Arbeit, von der Blade spricht und für die sie kämpfen will, meint sie ihre eigene: Sexarbeit. Und die sei eben kriminalisiert, sagt sie.

Viele von Blades Kolleg*innen, oder »Comrades«, wie sie klassenkämpferisch sagt, sind an diesem Tag hergekommen, um ihr zuzuhören und eine Liveübertragung einer Performance von befreundeten Sexarbeitenden in Nairobi, Kenia, zu sehen. Auch Freund*innen, Bekannte und Unterstützer*innen der »Sex Worker Action Group« (Swag) sind da. Die Berliner Organisation, die sich für die Rechte von Sexarbeiter*innen einsetzt, richtet den Abend aus. Es ist eine der letzten Veranstaltungen einer Aktionswoche rund um den »Internationalen Hurentag« in Berlin, in dessen Rahmen dieses Jahr ein Alternativentwurf zum aktuell geltenden, sogenannten Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) diskutiert wurde. Der Gedenktag wird dieses Jahr zum 50. Mal begangen und geht auf die achttägige Besetzung der Saint-Nizier-Kirche in Lyon durch Sexarbeitende zurück, die 1975 ein Ende von Stigmatisierung, Geldstrafen und Schikane durch die Polizei in Frankreich forderten.

Geltendes Gesetz diskriminierend

Und 50 Jahre später in Deutschland? Da sei Sexarbeit noch immer kriminalisiert. Trotz, ja sogar auch wegen des 2017 in Kraft getretenen ProstSchG, sagt Blade. Denn: »Legalisierung ist nicht gleich Entkriminalisierung.« Die aktuelle Gesetzgebung sei vor allem ein Kontroll- und Repressionsinstrument: »Die meisten Sexarbeitenden in Berlin können sich zum Beispiel gar nicht registrieren, obwohl sie das ja eigentlich müssten.« Das Problem sei Prekarität.

Tatsächlich sind in Berlin von angenommenen 6000 Menschen, die einer Form von Sexarbeit nachgehen, nur etwa 1600 registriert. Von denjenigen, die etwa auf dem Strich an der Kurfürstenstraße arbeiten, gilt das wohl für die wenigsten. Die Menschen dort arbeiteten »unter teils prekären Bedingungen: ohne soziale Absicherung, ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, oft ohne Wohnraum«, sagt zum Beispiel die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Mirjam Golm. Blade sagt, dies seien alles Gründe dafür, dass sich viele nicht registrierten.

Denn nach der aktuellen Regelung müssen Sexarbeitende den Behörden auch in Berlin zur Anmeldung eine Vielzahl persönlicher Daten angeben. Das wollen aber viele aufgrund gesellschaftlicher Stigmatisierung und Misstrauen gegenüber Behörden nicht. »Auch ein Visum ist mit einer Registrierung quasi nicht möglich.« Beides mache es vielen Migrant*innen oder etwa Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus quasi unmöglich, sich zu registrieren.

Über Selbstbestimmung, Zwang und Notwendigkeit

Außerdem empfinden viele die verpflichtenden gesundheitlichen Beratungen als Zwang und fühlen sich durch sie bevormundet. Auch eine Aufweichung bestimmter Grundrechte wie die Unverletzlichkeit der Wohnung befürchten viele: So gibt es zum Beispiel Ausnahmeregelungen, die der Polizei erlauben, diese auch ohne richterlichen Beschluss zu betreten.

Gegner*innen der Legalisierung von Sexarbeit sagen, dass es diese gar nicht geben sollte. Auch ihnen gehe es um den Schutz von Betroffenen, sagen sie, doch Sexarbeit selbst sei das Problem. Die Gegner*innen argumentieren, dass nur ein sehr kleiner, privilegierter Teil diese Arbeit freiwillig mache, die meisten aber dazu gezwungen seien. »Hinter 95 Prozent der betroffenen Frauen steht ein Mann, der ihnen sagt, was sie tun und lassen sollen«, so ein Argument, das in den vergangenen Jahren am »Hurentag« auf vielen Plakaten der Befürworter*innen eines Verbots von Sexarbeit zu lesen war. Soll heißen: Die meisten Sexarbeiter*innen würden etwa durch Zuhälter dazu gezwungen, auf den Strich zu gehen. Auch finanzieller Druck und Notlagen würden dazu führen, dass sich viele überhaupt erst für Sexarbeit entscheiden, gerade auch auf der Kurfürstenstraße.

Laut des christlichen Vereins »Neustart«, der angibt, Frauen beim Ausstieg helfen zu wollen, kommen viele der dort Beratung suchenden Frauen aus Bulgarien oder Rumänien und hätten Schwierigkeiten, überhaupt Wohnungen zu finden. Sie könnten nur überleben, wenn sie eine bestimmte Anzahl an Kunden am Tag hätten. So hätten sich Berlin und Deutschland schließlich, so Kritiker*innen, seit der Legalisierung zum »Bordell Europas« entwickelt, wo massenhaft sexuelle Ausbeutung stattfinde.

Gewaltvolle Erfahrungen auf der Kurfürstenstraße

Viele befürworten daher das sogenannte »Nordische Modell«, das den Kauf sexueller Dienstleistungen unter Strafe stellt, nicht aber Menschen, die diese anbieten. Vertreter*innen dieses Modells wollen so die Nachfrage nach Prostitution senken. Auch das Europaparlament hatte sich 2023 für dieses Modell ausgesprochen, viele deutsche Politiker*innen sind dafür.

Blade sind die Probleme auf der Kurfürstenstraße ebenfalls bekannt, wo es zu zahlreichen Konfliktsituationen kommt. Viele Anwohner*innen fühlen sich gestört, außerdem kommt es immer häufiger zu Gewalt gegen die dort Arbeitenden. Erst im März wurde dort eine Frau von einem Mann verprügelt und dabei lebensgefährlich verletzt. Sie musste notoperiert werden. »Vor allem seit Corona wachsen diese Probleme an der Kurfürstenstraße. Die Menschen dort sind wachsender Gewalt seitens der Polizei und auch von Anwohner*innen ausgesetzt. Sie wollen sie einfach weghaben.« Dass Sexarbeit aber einfach an einem Ort verboten oder an einen anderen verschoben wird, löse jedenfalls keine Probleme. Erst im Februar erteilte die landeseigene Gewobag einem dort lange geplanten Versorgungszentrum für den Strich und Wohnungslosen-Hotspot eine Absage – unter anderem hätte dort ein Nachtcafé entstehen sollen. Bei Forderungen nach Verbot und Verdrängung ist diese Frage schon berechtigt: Wie hilft so etwas denjenigen, die durch Zwang oder Notlagen dort sind?

»Es ist klassistisch, davon auszugehen, Arbeiter*innen könnten keine strategischen Entscheidungen über ihren Lebensunterhalt treffen.«

Blade Sex Worker Action Group

Zunächst einmal, so Blade, müsse man eine Unterscheidung treffen, »die viele Menschen in dieser vor allem moralisch geführten Debatte nicht machen: Sexarbeit ist Arbeit und Zwang zur Prostitution ist Menschenhandel.« Auch den von Letzterem betroffenen Menschen wäre durch ein Verbot nicht geholfen. Würde das begriffen, könne man endlich eine Debatte über Arbeiter*innenrechte führen. »Wenn wir über die Ausbeutung von Näher*innen in der Modeindustrie sprechen, fordern wir doch auch nicht, die Modeindustrie zu verbieten, sondern wir fordern bessere Rechte für die Arbeiter*innen, die sie gegenüber Bossen geltend machen können.«

Deshalb habe Swag in den vergangenen Monaten beschlossen, selbst Teil dieser rechtlichen Debatte zu werden, anstatt nur auf Demonstrationen für mehr Sichtbarkeit zu sorgen. Zusammen mit der Interessenvertretung für Sexarbeitende Hydra und Anwält*innen wurde ein alternativer Gesetzesentwurf unter Federführung von Berliner Sexarbeiter*innen erarbeitet, der ihnen diese Rechte geben soll. Entstanden ist das SexArbeitsGesetz (SAG), das am Montag auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde. Neben der Abschaffung der Registrierungspflicht und verpflichtenden Beratungen wird darin auch die Möglichkeit geschaffen, als Sexarbeiter*in angestellt zu werden. Bisher ist nur die Selbstständigkeit möglich. Das Argument: Als Beruf wäre Sexarbeit anderen Branchen rechtlich gleichgestellt und Arbeiter*innen stünden unter demselben arbeitsrechtlichen Schutz.

Kann der Verkauf von Sex eine Tätigkeit sein wie jede andere? Wohl keine Debatte in Deutschland wird so moralisierend geführt wie diese. Diejenigen, die ein Sexkaufverbot befürworten – darunter auch Ex-Prostituierte – sagen, dass es bei dieser Art von Arbeit keine Freiwilligkeit gebe, dass zumeist Frauen zu Objekten degradiert würden und es sich damit also immer um eine Form der Ausbeutung handle. Die Sexarbeiter*innen, die sich bei Swag organisiert und den Gesetzesentwurf erarbeitet haben, sehen das anders. »Es ist klassistisch, davon auszugehen, Arbeiter*innen könnten keine strategischen Entscheidungen über ihren Lebensunterhalt treffen, auch, wenn Sexarbeit für jemanden vielleicht unangenehm ist«, sagt Blade.

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -