• Politik
  • Schwangerschaftsabbrüche

Koalitionsvertrag zu Paragraf 218: Ein Satz mit Sprengkraft

Laut Koalitionsvertrag soll die Kostenübernahme für Abtreibungen erweitert werden

In Deutschland gibt es eine Mehrheit für eine Legalisierung von Abtreibungen.
In Deutschland gibt es eine Mehrheit für eine Legalisierung von Abtreibungen.

Für Freunde der rationalen Unterhaltung ist es eine gute Entwicklung: Die kulturkämpferische Debatte um die Ernennung von Frauke Brosius-Gersdorf wendet sich ab von der Person Brosius-Gersdorf und hin zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung. Es geht um einen harmlos klingenden Satz zur Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen, der es kurz vor Schluss noch in den Koalitionsvertrag geschafft hat – und nun seine wahre Sprengkraft zeigt.

Für die Diskussion, die sich nun über diesen Satz entfacht, müssen wir zunächst einige Schritte zurückgehen: Wie sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland zurzeit rechtlich geregelt?

Die Ausgangssituation

Paragraf 218a sagt aus, dass ein Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig ist, wenn er aus medizinischen Gründen notwendig ist oder es eine kriminologische Indikation gibt, der Schwangerschaft also etwa eine Vergewaltigung zugrunde liegt. In diesen Fällen übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten für eine Abtreibung.

Der überwiegende Großteil an Schwangerschaftsabbrüchen findet jedoch nach der sogenannten Beratungslösung statt: Eine Abtreibung ist zwar rechtswidrig, bleibt aber straffrei, wenn sie innerhalb der ersten zwölf Wochen nach der Befruchtung erfolgt und zuvor eine Beratung stattgefunden hat; dazu muss eine dreitägige Wartezeit eingehalten werden und der Eingriff muss durch ein*e Ärzt*in erfolgen. Allerdings: Zahlen muss die schwangere Person selbst.

Was im Koalitionsvertrag steht

Im Koalitionsvertrag heißt es nun: »Wir erweitern dabei die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus.« Für Brosius-Gersdorf bedeutet das: Mit einer Erweiterung der Kostenüberenahme kann nur die Erstattung für eine Abtreibung nach dieser Beratungslösung gemeint sein. So sieht es auch die SPD-Bundestagsabgeordnete und Rechtswissenschaftlerin Carmen Wegge.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

»Soll eine Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen nach der Beratungslösung künftig stets durch die Krankenkassen erfolgen, bedarf es einer Anpassung von Paragraf 218a Absatz 1 StGB«, erklärt Rechtswissenschaftlerin Céline Feldmann vom Deutschen Juristinnenbund gegenüber »nd« die rechtlichen Konsequenzen einer solchen Erweiterung. »Der Gesetzestext müsste klarstellen, dass ein Abbruch in diesem Fall nicht als rechtswidrig gilt.«

Die Union besteht auf einer anderen Auslegung des Satzes im Koalitionsvertrag: Mit der Formulierung sei lediglich die Verbesserung der finanziellen Unterstützung für bedürftige Frauen gemeint, sagt die CDU-Abgeordnete und studierte Juristin Elisabeth Winkelmeier-Becker. Dabei bezieht sie sich auf eine weitere Ausnahmeregelung: Unterschreitet eine schwangere Person ein bestimmtes Einkommen, so werden auch die Kosten für eine Abtreibung nach der Beratungslösung übernommen.

Wer die Kosten wirklich trägt

Doch diese Argumentation hat einen Haken: Denn Kostenträger sind in diesem Fall die Länder. Die Krankenkassen sind lediglich für die Bearbeitung der entsprechenden Anträge und einen Vorschuss zuständig. Kann diese »Bedürftigkeitsregelung« mit dem Satz im Koalitionsvertrag also wirklich gemeint sein?

»Wie genau die im Koalitionsvertrag angesprochene Erweiterung aussehen soll, ist derzeit völlig unklar.«

Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen

Mehrere Anfragen von »nd« dazu blieben unbeantwortet. Vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen heißt es lediglich: »Wie genau die im Koalitionsvertrag angesprochene Erweiterung aussehen soll, ist derzeit völlig unklar. Daher können wir zu einer möglichen Ausgestaltung nichts sagen.«

Eine weitere Frage wird sich die Union gefallen lassen müssen: Handelt es sich tatsächlich um eine »Erweiterung der Kostenübernahme«, wenn lediglich die Bedarfsschwelle angehoben wird, der Leistungsumfang aber derselbe bleibt?

Mehrheit will Legalisierung

Kathrin Gebel, frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag geht davon aus, dass die CDU »ein Schlupfloch im schwammigen Koalitionsvertrag finden und sich erneut gegen die SPD durchsetzen« könnte. Die angebliche Erweiterung könne so lediglich einige »Randleistungen« betreffen, wie die Kostenübernahme von Beratung, Nachsorge und eben jene Einkommensgrenzen. »Dieser eine Satz liest sich progressiv, ist aber ein Placebo«, sagt Gebel »nd«. Denn solange der Paragraf 218 StGB weiter gelte, bleibe ein Schwangerschaftsabbruch ein Straftatbestand.

Die Linke-Politikerin verweist auf eine aktuelle repräsentative Befragung des Meinungsforschungsinstituts Forsa: Demnach sprechen sich fast drei Viertel der Menschen in Deutschland dafür aus, Schwangerschaftsabbrüche künftig innerhalb der ersten zwölf Wochen zu erlauben – ohne Einschränkungen. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigten zudem, dass Schwangere verantwortungsvoll mit dieser Freiheit umgingen, so Gebel. »Wer weiter an der bisherigen Regelung festhält, vertraut Schwangeren die Autonomie über diese Entscheidung nicht an.«

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.