Genetik von Indigenen bestätigt überlieferte Mythen

Die indigenen Picuris ließen ihre Abstammung von der Chaco-Kultur untersuchen

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 4 Min.
Pueblo Bonito im heutigen US-Bundesstaat New Mexico gehört zum Weltkulturerbe.
Pueblo Bonito im heutigen US-Bundesstaat New Mexico gehört zum Weltkulturerbe.

Vor 1000 Jahren bildeten die Siedlungen des Chaco-Canyons, allen voran Pueblo Bonito, den Mittelpunkt pulsierenden Lebens dort, wo heutzutage der Südwesten der USA liegt. Auf einer weitläufigen Hochebene gelegen, wo die Sommertemperaturen damals wie heute 40 Grad Celsius erreichen können und die Winter bitterkalt sind, lag das Zentrum der Chaco-Kultur, dessen kultureller Einfluss weit über sein Siedlungsgebiet hinausreichte. Es wird geschätzt, dass hier in der Blütezeit der Kultur etwa 2000 Menschen lebten. Aber Zehntausende andere eiferten deren Baustil, Keramik und möglicherweise Religion nach, bis eine etwa 30 Jahre lange Dürre die Bewohner um 1150 zwang, ihre Heimat zu verlassen.

Doch wohin wandten sich die Bewohner des Chaco-Canyons, als Erosion, Hitze und der Verlust der umliegenden Bergwälder ihnen die Existenzgrundlage nahmen? Die derzeitigen Einwohner der 21 Siedlungen in Colorado und New Mexico sind nie im Zweifel gewesen, dass ihre Vorfahren die Chaco-Kultur erblühen ließen. Ihre Mythen berichten davon, aber diese sind in einer poetischen Sprache abgefasst und lassen sich nicht in exakte Geschichtsschreibung übersetzen. Diese Mythen haben neben der Überlieferung historischer Ereignisse auch andere Funktionen, wie die Erklärung der Ursprünge der Welt und die mythische Verbundenheit der einzelnen Völker zu bestimmten geografischen Punkten, Tieren und Pflanzen darzustellen. Bei allen Bemühungen, die Erzählungen der Vorfahren zu bewahren, sind sich die modernen Ureinwohner Amerikas bewusst, dass diese Lücken und widersprüchliche Informationen enthalten.

Zehntausende eiferten Baustil und Keramik der Chaco-Kultur nach.

Eines dieser Völker sind die Picuris, die zurzeit etwa 300 Angehörige zählen. Es wird geschätzt, dass etwa 3000 Picuris lebten, als die Spanier 1540 in ihr Land kamen und es in Neu-Mexiko umbenannten. Die Herrschaft der Spanier war brutal, Strafen für Widerstand oder das Festhalten an der Religion der Vorfahren waren hart. Schamanen wurden verfolgt und europäische Krankheiten dünnten die Reihen der Picuris und der anderen Pueblo-Völker aus. 1680 erhoben sie sich gegen die Spanier und vertrieben sie. Es dauerte 20 Jahre, bis das Kolonialregime wiederhergestellt war. Danach wurde die Christianisierung vorangetrieben und die alte Religion unterdrückt. Nach der Eroberung des Südwestens durch die USA wurden die Kinder in Internatsschulen gezwungen, wo sie Englisch lernen und US-Bürger werden sollten.

Das Festhalten an der Kultur sowie eine gewisse Einflussnahme auf Erhalt und Nutzung der zahlreichen Ruinen der Chaco-Kultur waren jedoch wichtige Anliegen der Picuris. Um zu beweisen, dass sie legitime Nachfahren der Chaco-Kultur sind, nahmen sie Kontakt zum Kopenhagener Institut für Geogenetik unter Leitung von Eske Willerslev auf. Der Genetiker hat bereits wertvolle Arbeit geleistet für andere indigene nordamerikanische und australische Völker und hatte einen Vertrauensvorschuss. Die Picuris erlaubten die Entnahme von Gewebeproben aus den Körpern längst verstorbener Vorfahren, um daraus DNA-Proben zu gewinnen. Diese wurden mit der DNA mehrerer Skelette verglichen, die im sogenannten Raum 33 des Chaco Bonito bestattet worden waren. Die Analyse zeigte, dass die Picuris mit Sicherheit ihre Wurzeln aus den Trägern der Chaco-Kultur ableiten können. Die Studie bestätigte auch den Stammesmythos, dass die Picuris aus dem Nord- und Südvolk bestehen. Das Südvolk ist identisch mit den Vorfahren aus der Chaco-Kultur, während das Nordvolk mit den um 1450 eingewanderten athapaskischen Völkern, zu denen unter anderem die modernen Apachen gehören, in Verbindung gebracht werden kann.

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Die Studie unterstreicht, dass der positive Ursprungsbefund nicht ausschließt, dass auch andere Pueblo-Völker ihre Abstammung von der Chaco-Kultur herleiten können. Die Picuris haben die Gewissheit bekommen, dass die alten Überlieferungen die Wahrheit erzählen und ihre tiefen historischen Wurzeln ihnen das Recht geben, an der Bewahrung der Chaco-Kultur mitzuarbeiten.

Der Zusammenarbeit zwischen Picuris und Genetikern wurde auch mit der Namensnennung im Verfasserkollektiv der Studie Rechnung getragen – ein leider immer noch ungewöhnlicher Schritt.

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