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Kompostierbare Baustoffe

Aus dem Zellgeflecht von Pilzen lassen sich flexible und stabile Materialien herstellen

  • Mona Grosche
  • Lesedauer: 7 Min.
Der »MycoTree«, eine Struktur aus Pilzmyzel und Bambus, war 2017 auf der Biennale of Architecture and Urbanism in Seoul zu sehen.
Der »MycoTree«, eine Struktur aus Pilzmyzel und Bambus, war 2017 auf der Biennale of Architecture and Urbanism in Seoul zu sehen.

Bei Pilzen denken viele in erster Linie ans Essen und dann an deren Bedeutung für das Ökosystem des Waldes. Doch mittlerweile herrscht großes Interesse am Potenzial von Pilzen als nachwachsender Rohstoff für umweltfreundliche Verbundwerkstoffe. Das Spektrum der Einsatzmöglichkeiten reicht von Lebensmittelverpackungen über Möbel bis hin zu Baumaterial.

Nachhaltige Baustoffe aus Pilzen könnten das Bauen der Zukunft prägen, denn diese sind leicht, widerstandsfähig, wasserabweisend und kompostierbar. In Kombination mit bewährten regenerativen Rohstoffen wie Holz, Lehm oder Stroh bieten Pilze – auch wegen ihres ausgezeichneten ökologischen Fußabdrucks – eine Basis für ganz unterschiedliche Verbundmaterialien.

Doch nicht alle Pilze sind geeignet. Bislang kennen wir sechs Millionen Arten, von denen erst 120 000 erforscht sind. In den Projekten zu neuen Baumaterialien arbeitet man ausschließlich mit Weißfäulepilzen. Die schwarzen Schimmelpilze hingegen sind gesundheitsschädlich und kommen als Werkstoffe nicht in Betracht. Zu den Weißfäulepilzen gehören alle Speisepilze.

Zur Produktion von Baumaterial auf Pilzbasis verwendet man nämlich nicht den oberirdischen Fruchtkörper, der nur den kleinsten Teil des Organismus ausmacht. Vielmehr konzentriert sich die internationale Forschung auf das Myzel, also das unterirdische Geflecht aus Zellfäden (Hyphen). Dieses Geflecht kann in der Natur je nach Pilzart eine Größe von über einem Quadratkilometer erreichen.

Wachsende Bausteine

Die Produktion der Verbundstoffe, so etwa Quader, die wie Mauersteine verwendet werden, ist recht simpel und wäre auch in leerstehenden Industriehallen oder Bergwerksstollen umzusetzen. Für den Herstellungsprozess werden landwirtschaftliche Reststoffe wie etwa Getreidespreu oder Hackschnitzel mit Wasser und dem Myzel vermischt. Die Reststoffe bilden das Substrat, also die Nahrung für die Pilze. Im Lauf des Stoffwechselvorgangs durchzieht sie ein feines Geflecht aus Myzel. Auf diese Weise entsteht in der Wachstumsphase von etwa zwei bis drei Wochen im Brutschrank ein rein organisches Verbundmaterial, das sich in vielfältige gewünschte Formen bringen lässt und durch thermische Behandlung stabilisiert wird. Am Ende kann es zum Beispiel die Form eines lederähnlichen Stoffs annehmen oder ein Kompositmaterial sein.

So lassen sich Pilzmaterialien mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften züchten. Strapazierfähig, dehnbar, reißfest, dicht, elastisch, offenporig oder auch weich und fluffig – schier unendliche Möglichkeiten stehen offen. Wie das »gezüchtete« Ergebnis aussieht, hängt zum einen von der Kombination aus Pilzart und Substrat ab. Zum anderen bestimmen Parameter wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und die Dauer des Pilzwachstums mit, über welche Eigenschaften das Endprodukt verfügt. Durch Erhitzen des Pilzmyzels wird dann am Ende das Wachstum gestoppt.

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Im Ergebnis kann man so hauchdünne flexible Schichten, aber auch feste, dicke Blöcke produzieren, sodass das Material in verschiedenen Bereichen nutzbar ist. Sowohl für den Neubau als auch für die Sanierung sind die Verbundstoffe geeignet: Sie sind wärmedämmend, schallisolierend, feuchtigkeitsregulierend und brandbeständig. Überdies können sie am Ende ihrer Nutzung als Substrat für eine neue Struktur verwendet oder einfach kompostiert werden.

Forschung für die serielle Produktion

Mittlerweile sind allein in Deutschland mehrere Hochschulen und Institute mit der Forschung zu Myzelbaustoffen befasst und machen Fortschritte in Richtung serieller Produktion. Grundlagenforschung zum Thema betreiben insbesondere Vera Meyer von der TU Berlin und Dirk Hebel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Sie gelten als führende Expert*innen für das Bauen mit Pilzmyzel.

Bereits 2017 präsentierte das KIT-Team um Dirk Nebel gemeinsam mit der Block Research Group der ETH Zürich auf der Biennale of Architecture and Urbanism in Seoul eine tragende Konstruktion aus Pilzmaterial. Der »Myco Tree« veranschaulichte, wie gut sich biologisch abbaubare Materialien und Leichtbautechnik gegenseitig ergänzen. Zurzeit beschäftigt man sich am KIT mit der Herstellung von Holzwerkstoffplatten, zum Beispiel OSB-Platten. Herkömmliche Platten enthalten bis zu 15 Prozent Kleber und sind deshalb bei der Entsorgung als Sondermüll zu behandeln. Für die chemischen Kleber sollen nun Alternativen gefunden werden.

Vera Meyer setzt mit einem 40-köpfigen Team am Fachbereich für Angewandte und Molekulare Mikrobiologie der TU Berlin vor allem auf Ständerpilze – wozu rund 30 Prozent aller Pilzarten zählen –, um einige Bereiche der energieintensiven Baubranche, wie etwa die Dämmstoffe, in eine biotechnologische Kreislaufwirtschaft zu überführen. Pilzmyzel anstelle von erdölbasierten Materialien soll eine Basisressource für Verbundwerkstoffe in den Bereichen Gebäude und Möbel werden. Für 2030 ist das erste Haus komplett aus Pilzen geplant.

Ein Forschungsteam des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht) erprobt in seinem »Myzeltechnikum«, wie sich pilzbasierte Werkstoffe herstellen, formen und funktionalisieren lassen, und testet deren Verhalten. Zudem gibt man dort Unternehmen einen Einstieg in die Thematik und berät sie zu Potenzialen des Myzelmaterials. Auf der internationalen Baumesse BAU im Januar 2025 in München präsentierte Umsicht unter anderem den Prototyp eines Fassadenelements. Das Element vereint in sich eine Kombination aus integrierter Photovoltaik zur Stromgewinnung, Wetterschutz und Wärmedämmung aus Pilzmaterial. Entwickelt wurde es in einem gemeinsamen Projekt mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE).

Gute Dämmeigenschaften

Auch beim Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP) in Potsdam beschäftigen sich Forschende intensiv mit myzelbasierten Materialien aus landwirtschaftlichen Reststoffen. Hannes Hinneburg und sein Team wandeln lokal verfügbare pflanzliche Abfallprodukte in nachhaltige Werkstoffe um, wobei man auf Speisepilze beziehungsweise Baumpilze wie den Austernseitling oder den Zunderschwamm setzt. Insbesondere arbeitet das Team derzeit an der Entwicklung pilzbasierter Dämmplatten für den Innenausbau, da das Material über ähnlich gute Dämmwerte wie der Schaumstoff Expandiertes Polystyrol (EPS) verfügt. In Erprobung ist zudem der Einsatz als Schallabsorber für Wand und Decke. Eine solche Schalldämmung wäre nicht nur nachhaltig, sondern auch material- und raumsparend in dünnen Schichten umzusetzen.

Auch wenn zurzeit noch keine tragenden Bauteile aus Pilzmaterial umsetzbar sind, gibt es einige wenige Firmen, die bereits andere Myzel-Kompositmaterialien für die Bauindustrie entwickeln und vermarkten. Aktuell sind Wandpaneele, Dämmplatten sowie Kleber für mineralisches Material oder Bodenplatten aus den organischen Verbundstoffen erhältlich. In der Schweiz etwa zählt das Unternehmen Mycho Suisse zu den Vorreitern. Es erforscht seit über zehn Jahren die Potenziale von Pilzen und kombiniert Zellulosefasern mit Myzel, um petrochemische Produkte durch nachhaltige Alternativen zu ersetzen.

Für 2030 ist das erste Haus komplett aus Pilzen geplant.

In den USA kombiniert die Firma Ecovative Design das Myzel unter anderem mit Getreidespelzen oder Pflanzenstengeln. Das Material lässt sich für Verpackungen und Dekorationsgegenstände wie Kerzenhalter, aber auch als Baumaterial verwenden. Der Hersteller bietet die »Mushroom Insulation« als Dämmstoff, Akustikfliese und Sandwichpaneel an. Für Letzteres wird das Pilzgeflecht zwischen zwei Holzschichten angeordnet, mit denen es sich durch seinen Wachstumsprozess auf natürliche Weise verbindet.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis hierzulande die ersten Produkte in serieller Produktion hergestellt werden. In den Forschungslaboren wird daran gearbeitet, die Einsatzmöglichkeiten im Baubereich auf tragende Bauteile zu erweitern. So dürfte das Pilzmaterial in naher Zukunft am Bau ebenso seinen Exotenstatus verlieren wie zuvor bereits Lehm, Stroh oder Dämmung aus Seegras.

Rohstoff auch für Textilien

Zukünftig werden wir wohl nicht nur auf Häuser stoßen, deren Schallisolierung und Innenwände mit Pilzmyzel hergestellt wurden und deren Deko zum Teil aus dem nachwachsenden Rohstoff stammt.

So entwirft die niederländische Designerin Aniela Hoitink mit ihrer Firma Neffa nachhaltige Mode aus Pilzen. Sie möchte damit dazu beitragen, dass weniger Textilabfälle entstehen. Das Pilzgewebe namens »Myco TEX« ist nach Angaben der Designerin die einzige 3-D-Fertigung nahtloser und maßgeschneiderter Textilien aus Pilzmyzel. Haben diese ausgedient, lassen sie sich ganz einfach kompostieren.

Wer gerne selbst mit Pilzen experimentieren möchte, kann dies übrigens über Grown Bio tun. Der in Deutschland ansässige Hersteller pilzbasierter Verpackungen bietet ein »Grow It Yourself Kit« an, mit dem man das Material selbst ausprobieren und eigene Produkte wie Töpfe, Skulpturen und Lampen kreieren kann.

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