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Budapester Gericht bestreitet Hungerstreik der Angeklagten

Gegen die deutsche Antifaschist*in Maja T. ist in Ungarns Hauptstadt weiter verhandelt worden

  • John Malamatinas und Jan Theurich
  • Lesedauer: 4 Min.
Maja T. wird am vierten Verhandlungstag, dem 12. Juni, in den Gerichtssaal geführt.
Maja T. wird am vierten Verhandlungstag, dem 12. Juni, in den Gerichtssaal geführt.

Die ungarischen Behörden bestreiten öffentlich, dass sich die Antifaschist*in Maja T. im Hungerstreik befindet – obwohl die Inhaftierte seit über einer Woche keine feste Nahrung zu sich nimmt und laut Familie und Anwälten bereits sechs Kilo Gewicht verloren hat. Am 12. Juni fand bereits der vierte Verhandlungstermin vor einem Gericht in Budapest statt – trotz des durch den Hungerstreik bedingten Erschöpfungszustands der Beschuldigten und entgegen der Anträge des Anwalts.

Falschinformationen zu Einkauf

In einem am 11. Juni erschienenen Artikel im regierungsnahen Nachrichtenportal Mandiner.hu behauptet die ungarische Gefängnisbehörde BvOP (»Landesweite Strafvollzugsbehörde«), Maja T. könne sich nicht im Hungerstreik befinden, da die Antifaschist*in weiterhin regelmäßig Lebensmittel kaufe und verzehre.

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T.s Anwalt beantragte die Verhandlung aufgrund der gesundheitlichen Risiken zu vertagen und ein medizinisches Gutachten zur Bestätigung des Hungerstreiks einzuholen. Beide Anträge wurden abgelehnt. Richter und Staatsanwaltschaft folgten teilweise der Argumentation von Mandiner.hu und der BvOP, wonach Maja »Selbstkäufe« tätige und somit nicht im Hungerstreik sei. Der erwähnte Einkauf – sieben verschiedene Schokoriegel, Bananen, Zitronen, Ingwer, Erdnüsse, Gurken, Orangen, Paprika und Orangensaft – fand bereits am 2. Juni statt, also drei Tage vor dem Hungerstreik. Sämtliche Lebensmittel wurden vorher verzehrt – ein Umstand, den die Behörde unterschlägt.

Laut Informationen von T.s Angehörigen ist die Antifaschist*in mehrfach von Gefängniswärtern aufgefordert worden, einkaufen zu gehen – was sie verweigerte. Mehrmals wurde die Antifaschist*in zudem von der Stationsschwester gewogen und ihr Blutzucker gemessen – ein Hinweis darauf, dass der Hungerstreik offiziell registriert wurde. Gleichzeitig zeige das Wachpersonal wenig Ernsthaftigkeit und mache sich darüber lustig, dass Maja die Nahrungsaufnahme verweigert.

Prozesstag vorzeitig beendet

Nach vier Stunden wurde der Prozess schließlich abgebrochen, da T. wiederholt vor Erschöpfung einschlief. In einem kurzen Schreiben, das T.s Vater am Verhandlungstag verschickte, hieß es, der ungarische »Richter quält Maja bis zur Erschöpfung«. ​​​​Der Vater, der bisher an allen Verhandlungsterminen im Publikum saß, sorgt sich um sein Kind: »Maja ist seit acht Tagen im Hungerstreik, jeder weitere Tag zehrt an Majas Kräften.« Auch die Schwester der Angeklagten erklärt: »Wir fordern, dass die Behörden die Entscheidung Majas respektieren, Majas Rechte im Hungerstreik achten und auch öffentlich anerkennen, dass Maja sich im Hungerstreik befindet.«

Beim mittlerweile vierten Prozesstag wurden Videos mit Bezug zum Tatvorwurf des Angriffs auf drei bekannte Mitglieder der extremen rechten Szene aus Polen gesichtet. Alle drei hatten während der Anhörung am vorherigen Prozesstag angegeben, als Touristen nach Ungarn gereist zu sein. Sie seien aus Zufall beim extrem rechten »Tag der Ehre« in Budapest gewesen. Außerdem wurde ein Gerichtsmediziner befragt, der Gutachten zu den Verletzungen der Geschädigten erstellt hatte. Vor dem Gerichtsgebäude fand zudem erneut eine Kundgebung mit wenigen Mitgliedern der extrem rechten »Jugendbewegung der 64 Landkreise« statt. Sie hielten wie schon in der Woche davor ein Transparent mit der Aufschrift »Antifa scum attacking from behind. Get out of our country« (»Antifa-Abschaum, der von hinten angreift. Verschwindet aus unserem Land«). Der nächste Verhandlungstag ist der 18. Juni.

Es drohen bis zu 24 Jahre Haft

Seit dem 21. Februar 2025 läuft der Prozess gegen T. im sogenannten Budapest-Komplex. Die Aktivist*in ist wegen mutmaßlicher Angriffe auf Neonazis im Februar 2023 angeklagt. Da T. einen Deal mit der Staatsanwaltschaft ablehnte, drohen ihr bis zu 24 Jahre Haft. Bereits am ersten Prozesstag wurde sie in Handschellen, Fußfesseln und an einer Leine dem Gericht vorgeführt.

Maja T. wurde am 28. Juni 2024 unter fragwürdigen Umständen aus Deutschland nach Ungarn ausgeliefert. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Auslieferung später für rechtswidrig. Dennoch bleibt sie in ungarischer Haft – unter Bedingungen, die von ihr, Angehörigen, Unterstützer*innen und den Anwältinnen immer wieder als unmenschlich kritisiert werden.

Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International aber auch der Europarat-Ausschuss gegen Folter (CPT) kritisieren Ungarn für Haftbedingungen, in denen es zu Gewalt an und unter Gefangenen komme, und kritisieren die unhygienischen Zustände sowie mangelnde medizinische Versorgung. Auch die Unabhängigkeit der Gerichte sowie das Recht auf faire und rechtsstaatliche Verfahren werden immer wieder bezweifelt. Die lange Einzelhaft gilt laut den Nelson-Mandela-Regeln der Vereinten Nationen als unmenschliche Behandlung.

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