Rechte Gewalt: Männlichkeit als Ablenkung

Beim Fachtag des Bundesforums Männer stand die Prävention von Radikalisierung im Fokus

Bankdrücken und Businessdeals: Rechte propagieren eine »maskulinistische Identitätspolitik«, die eine »wehrhafte«, traditionelle Männlichkeit wiederherstellen will.
Bankdrücken und Businessdeals: Rechte propagieren eine »maskulinistische Identitätspolitik«, die eine »wehrhafte«, traditionelle Männlichkeit wiederherstellen will.

Gewaltprävention beginnt nicht mit Fußfesseln, Schutzeinrichtungen oder Täterarbeit. Sie setzt früher an: Oft genug gilt es dabei zu verstehen und zu hinterfragen, wie Geschlechterrollen Gewalt fördern. Das betrifft nicht nur die Zunahme häuslicher Gewalt. Auch der Anstieg rechtsextremer und queerfeindlicher Übergriffe hängt mit dem Wiederaufleben überholter Männlichkeitsideale zusammen. Passend dazu fand vergangene Woche in Berlin der Fachtag des Bundesforums Männer (BFM) statt, dem Dachverband für eine »gleichstellungsorientierte Männerpolitik«. Das Motto: »Spielarten des Hasses – Männer und Männlichkeit:en in Extremismus und Antifeminismus«.

Radikalisierungstreiber Männlichkeit

Die Bundestagswahl, Berichte über gewaltbereite Neonazi-Gruppen und die steigende Zahl politisch motivierter Straftaten verliehen dem Fachtag besondere Aktualität. Diese Phänomene zeigen: Männer sind anfälliger für rechtsextreme Einstellungen. Ein Beispiel ist die wachsende als »Gender Vote Gap« bekannte Diskrepanz des Wahlverhaltens zwischen den Geschlechtern in Deutschland. Während Frauen früher konservativer wählten, neigen heute Männer stärker zu rechten Parteien. Bei der letzten Bundestagswahl stimmten 27 Prozent der Männer unter 25 Jahren für die AfD, bei den gleichaltrigen Frauen waren es nur 14 Prozent. Die AfD wurde zur beliebtesten Partei junger Männer, während junge Frauen mehrheitlich die Linke wählten.

Woher kommt diese neue Verbindung von Rechtsextremismus und Männlichkeit? Forschende der Universität Hamburg gingen dieser Frage bereits 2022 nach. Per Zufallsstichprobe aus den Registern der Einwohnermeldeämter befragten sie damals mehr als 3500 junge Menschen im Alter zwischen 16 und 21 Jahren. Themen waren unter anderem soziale Benachteiligung (»Menschen wie ich werden oft geringgeschätzt«) und männliche Bedrohungsgefühle (»Es beunruhigt mich, dass viele Männer immer weiblicher wirken«). Das Ergebnis: Männern, die sich sozial benachteiligt fühlten und die Männlichkeit bedroht sahen, zeigten eine besondere Nähe zu rechtsextremen Einstellungen; fast jeder Zweite teilte entsprechendes Gedankengut.

»Viele Männer fühlen sich abgehängt.«

Thomas Altgeld Vorstandsvorsitzender des Bundesforum Männer

Solche einzelnen Studien klären zwar nicht, was Ursache und was Folge ist. Dennoch betonte Thomas Altgeld, Vorstandsvorsitzender des Bundesforums, in seiner Begrüßungsrede: »Viele Männer fühlen sich abgehängt.« Er verwies auf die hohe Schulabbrecherquote junger Männer, besonders in Ostdeutschland, wo fast doppelt so viele Jungen wie Mädchen ohne Abschluss bleiben. Im Bereich Bildung lassen sich weitere Aspekte anführen: Jungen müssen häufiger eine Klasse wiederholen als Mädchen, bekommen schlechtere Noten und machen seltener Abitur. Junge Männer beginnen seltener ein Studium und bleiben häufiger ohne Berufsabschluss.

Männer als Bildungsverlierer

Es gibt also durchaus nachvollziehbare Gründe für das Gefühl der Benachteiligung. Dag Schölper, Geschäftsführer im Bundesforum Männer, hält den oft von links geäußerten Verweis auf ein historisch verfestigtes Machtgefälle zwischen den Geschlechtern in diesem Zusammenhang für wenig hilfreich: »Jungen mit Lese- und Rechtschreibproblemen brauchen gezielte Unterstützung. Es geht nicht um geschlechtsbezogene Förderpolitik, sondern um echte Chancengleichheit.« Schölper betont: »Nicht alle Männer hatten Machtpositionen. Solche Posten wurden zwar meist von Männern besetzt, aber das sagt nichts über die Lebensrealität des Einzelnen.« Entscheidend sei hier nicht das Geschlecht, sondern die Frage nach ungerechten Ungleichheiten – und wie man ihnen begegnet.

Ohnehin sind es Rechte, die das Thema Geschlecht in diesem Zusammenhang gezielt für die eigenen Zwecke nutzen. »Geschlechterpolitik ist ein starker Mobilisierungsfaktor für rechte Bewegungen«, sagt Sozialwissenschaftlerin Johanna Niendorf. Statt die tatsächlichen Ursachen der Probleme junger Männer zu bekämpfen – neben den Schulschwierigkeiten, ist das etwa der Abbau des Sozialstaats oder der Wegfall vieler »typisch männlicher« Berufe – liefern sie einfache Antworten: Schuld seien Feminismus, Frauen und queere Menschen.

»Geschlechterpolitik ist ein starker Mobilisierungsfaktor für rechte Bewegungen.«

Johanna Niendorf Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Else-Frenkel-Brunswik-Institut

Rechte propagierten deshalb eine »maskulinistische Identitätspolitik«, die eine »wehrhafte«, traditionelle Männlichkeit wiederherstellen will. Auf den Punkt gebracht hat das Björn Höcke selbst in seiner AfD-Parteitagsrede 2015: »Ich sage, wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken. Denn nur wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft. Und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde!« Diese Rhetorik greife die Ängste junger Männer auf und wandele sie in Wut und Hass, so Niendorf.

Besonders gut verbreitet sich die Erzählung von der »Krise der Männlichkeit« im Internet. Die sogenannte »Manosphere« oder »Mannosphäre« vereint Strömungen, die den Feminismus für die Probleme von Männern verantwortlich machen. Dazu gehören unter anderem Incels (deutsch etwa: unfreiwillig zölibatär Lebende), die Frauen für ihre Einsamkeit beschuldigen, »Men Going Their Own Way« (»Männer, die ihren eigenen Weg gehen«), die Beziehungen zu Frauen ablehnen, sowie Pick-Up-Artists, die sexistische Verführungstricks lehren.

Alle Wege führen in die Manosphere

Der aktuell wohl bekannteste Akteur der globalen Manosphere ist Andrew Tate. Der ehemalige Kickboxer und ewige Frauenhasser wurde mehrfach angeklagt wegen Menschenhandels und Vergewaltigung. Trotz dieser Biografie erzielen Videos von und über Tate nicht Millionen, sondern Milliarden von Klicks. Auch im deutschsprachigen Raum wächst die Mannosphäre. Eine Studie der Freien Universität Berlin und des Institute for Strategic Dialogue zeigte im Mai, wie gut die Akteure vernetzt sind. Sie teilen Inhalte und laden sich gegenseitig in Podcasts ein.

Frauen bei einer Demonstration gegen Femizide vor dem Brandenburger Tor.
Frauen bei einer Demonstration gegen Femizide vor dem Brandenburger Tor.
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Forschende der Universität Dublin demonstrierten 2024, dass die Algorithmen von Tiktok und Co. neue Nutzer schnell zu antifeministischen Inhalten führen. Innerhalb von 30 Minuten landeten alle Testprofile in der Manosphere – unabhängig davon, ob sie nach entsprechenden Inhalten gesucht hatten oder nicht.

Ein Schlüssel zur Prävention liegt laut Schölper in der »geschlechterreflektierten Jungen- und Männerarbeit«. Sie hinterfragt Geschlechterbilder und vermittelt vielfältige Rollen. Das könne »toxische Verhaltensweisen eindämmen und Folgekosten senken«. Doch solche Angebote fehlen oft. Eine vom Familienministerium geförderte Analyse zur Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt, die zeitgleich zum Fachtag des Bundesforums Männer vorgestellt wurde, stellte fest, dass es kaum entsprechende Programme an Schulen gibt. Speziell »antisexistische Jungenarbeit« sei selten. Ähnliches ergab eine Analyse des Schweizer Innenministeriums aus dem Februar 2025. In Deutschland, Österreich und der Schweiz gebe es nur wenige Ansätze, die gewaltfördernde Männlichkeitsvorstellungen thematisieren. Da geschlechterreflektierte Arbeit in Bildungsplänen kaum vorkommt, übernehmen Vereine und Initiativen diese Aufgabe. Sie bieten Workshops an Schulen an. Doch wie am BFM-Fachtag oft betont wurde, fehlt es diesen Organisationen an Geld und langfristiger Finanzierung. Dabei sei ein verlässliches Gegenüber in der Arbeit mit Jungen und Männern unverzichtbar, betont Schölper – doch gerade das bleibt allzu häufig Mangelware.

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