Auf Klo in Tokio: Paradiesische Örtchen

Nirgends auf der Welt werden Toiletten so ernst genommen wie in Japan. Wer in Tokio aufs Klo muss, darf sich wohlfühlen

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 7 Min.
Mit Durchblick: Die Scheiben werden bei Benutzung auf undurchsichtig umgeschaltet.
Mit Durchblick: Die Scheiben werden bei Benutzung auf undurchsichtig umgeschaltet.

Und plötzlich ist die Scheibe milchig, strahlend bunt. Sobald die Tür geschlossen ist, der Hebel unterm Türgriff umgelegt, haben sich die eben noch transparenten vier Wände, die diesen Raum umgeben, in eine vor Blicken von außen geschützte Edelzelle verwandelt. So kann hier nun das verrichtet werden, was die eigentliche Funktion ist: groß oder klein, pinkeln oder pupsen, oder was auch immer. Das Glashaus ist zum Klo geworden. Ein Blickfang aber bleibt diese Hightech-Toilette in Yoyogi, im Westen Tokios.

Wie so viele der öffentlichen Toiletten in Tokio. Diese hier – entworfen vom Stararchitekten Shigeru Ban und angetrieben durch einen Stromkreislauf, der durch das Schließen des Schlosses die zunächst transparente Glaswand in Milchglas verwandelt – ist nur eine von 17 Orten zur Notdurft in der japanischen Hauptstadt, die seit einigen Jahren weltweit Aufsehen erregen. Denn sie manifestieren, was zuletzt immer mehr Reisende staunend sehen: Japan hat nicht nur schöne Landschaften, sondern auch schöne Klos.

Dass das ostasiatische Land als Toilettenweltmacht gelten kann, hat zuletzt der deutsche Filmemacher Wim Wenders im Film »Perfect Days« angedeutet, in dem der Protagonist Hirayama-san, ein Toilettenreiniger, voller Würde als unbesungener Held der weltweit größten Metropolregion porträtiert wird. Am Ende dieses realistischen Films muss man sich fragen: Wie wäre Tokio wohl zu ertragen, wenn es nicht Menschen wie Hirayama-san gäbe, die hier mehrmals am Tag sauber machen, Japans Hauptstadt schön halten?

Zur Ästhetik Tokios, das angesichts seiner brummenden Bevölkerungsgröße von 37 Millionen erstaunlich leise, ordentlich und sauber ist, gehören tatsächlich auch die öffentlichen Toiletten. Dafür, dass sie eben öffentlich sind, fielen sie im Vergleich mit ihren Geschwistern anderer Großstädte dieser Welt zwar schon immer durch ihre Sauberkeit auf. Seit rund zwei Jahren aber ragen sie als Designgegenstände heraus.

Das sich im Handumdrehen bunt-milchig verfärbende Klo in der Siedlung Yoyogi, das in »Perfect Days« auch durch Hirayama-san gesäubert wird, ist nur eines von vielen Beispielen. Das »Tokyo Toilet Project«, finanziert durch die große japanische Stiftung Nippon Foundation und durchgeführt durch den Toilettenbauer Toto in Kooperation mit diversen namhaften Architektinnen oder Designern, hat schließlich ein ambitioniertes Ziel: Wenn die Menschen in Tokio aufs Klo müssen, sollen sie sich freuen.

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An vielen Stellen dieser oft wuseligen Metropole ist das tatsächlich so. Nicht weit von der bunten Toilette steht etwa ein weiteres öffentliches Klo, das wie eine Ansammlung Leuchtsilos aufgebaut ist, von außen bestückt mit rosa-rot-lilafarbenen Mosaiken und vor einer mit Pflanzen begrünten Wand. Einen Moment wähnt man sich ebenso sehr in der Natur wie im Betondschungel, der Tokio ja eigentlich ist. Die Schiebetür zur Behindertentoilette öffnet sich automatisch. Der Geruch ist reinlich. Fast wie im Hotel.

Andere Toiletten sehen aber noch spektakulärer aus. Tadao Ando, der gegenwärtig wohl berühmteste japanische Architekt, hat ein rundes, von außen mit dunkelgrauen Streben designtes Klo nahe der U-Bahnstation Jingumae entworfen, das sich auf für Ando typische Weise organisch in die sonst eckigen Strukturen der Wohnhäuser und Straßen einfügt. Die Toiletten im Inneren sind barrierefrei.

Nicht weit entfernt wartet ein lagerfeuerartiges Klogebilde, dessen Fassade aus scheinbar wild aufgestellten Holzbalken besteht, umzingelt von Bäumen. Kengo Kuma hat es entworfen, der Architekt des für seine vielen Holzelemente gelobten Olympiastadions von Tokio. Beim Ebisu Park wartet dann eine scheckige Struktur aus Sichtbeton, als schmuckes Labyrinth aufgebaut, in das man ebenso gern hineingeht, um sich kurz zu erleichtern.

Saubere Sache: Toilette an der Umayabashi-Brücke in Japans Hauptstadt
Saubere Sache: Toilette an der Umayabashi-Brücke in Japans Hauptstadt

Weltweit spart man sich den Gang zum Klo oft auf, wenn man unterwegs ist. Nicht selten bestellt man sich lieber einen überteuerten Kaffee, um in einem Café die Toilette aufsuchen zu können, statt ein öffentliches Klo benutzen zu müssen. Um den Ruf öffentlicher Klos zu verbessern, wurde in Europa etwa ab den 1990er Jahren mit Münzeinwurfsystemen experimentiert. Aber auch das hat den Geruch der Klos nicht sonderlich verbessert. Wer unterwegs mal muss, hält lieber an. Was ist in Japan anders?

In einem Büroturm im Stadtteil Shinjuku, mitten im Zentrum von Tokio, erklärt Tomoe Hashitani nicht ohne Stolz, was es damit auf sich hat. »Die Nippon Foundation hatte eine Umfrage zur Zufriedenheit mit den Toiletten im Land gemacht.« Vornehm in Anzug gekleidet deutet sie auf eine Leuchtwand, die alle 17 Designerklos zeigt, die je mit den Sanitäranlagen ihres Arbeitgebers ausgestattet sind, des Toilettenbauers Toto. »Am höchsten war die Zufriedenheit in Malls und Hotels. Am niedrigsten bei öffentlichen.«

Als dunkel und unheimlich galten sie, aber auch als etwas zu dreckig und stinkig. Die Nippon Foundation, eine der potentesten Institutionen des Landes, wollte dies zumindest punktuell ändern. Gemeinsam mit dem Rathaus von Shibuya, einem Stadtteil im westlichen Zentrum der Hauptstadt, mehreren bekannten Architekten sowie Toto hieß dann die Vorgabe: Die Klos von Shibuya sollen künftig nicht mehr zum Wegesehen sein, sondern Blickfänge werden.

Japan hat nicht nur schöne Landschaften, sondern auch schöne Klos.

Mit Projektabschluss im Jahr 2023 war dies wohl gelungen. Da ist ja nicht nur der Film von Wim Wenders. Längst gibt es etwa Fahrradtouren, für die Touristen um die 8000 Yen (rund 50 Euro) zahlen, um über einen halben Tag von einer Toilette zur nächsten geführt zu werden. Auch Bücher über das »Tokyo Toilet Project« sind schon erschienen. Für Japans Hauptstadt, für die Designer und für die in den schicken Anlagen installierten Klos selbst könnte die PR kaum besser sein.

Dabei wusste, wer sich mit Japan schon früher beschäftigt hatte, längst, dass das Land klomäßig dem Rest der Welt voraus ist. Gerade Toto, der Marktführer für Washlets, also Klos mit in die Brille eingebautem Duschstrahl, der alle Körperöffnungen reinigt, stattet in Japan seit Jahrzehnten Flugzeuge, Shinkansen-Züge, Hotels und Restaurants aus, die etwas auf sich halten. Auf den Weltmarkt hat es Toto aber noch nicht so recht geschafft, auch weil man für den Einbau der Klos eine Steckdose in Bodennähe braucht.

Dass Toilettenhersteller aus Japan weltweit Standards setzen, ist allerdings bekannt. Das wiederum hat mit der Reinlichkeitskultur des Landes zu tun. »Wir wollen, dass eine Toilette ein schöner Ort ist«, sagt Tomoe Hashitani. Der Begriff »Notdurft«, wie man ihn im Deutschen kennt, wirkt hier unangebracht. In Japan kann man sich auf der Klobrille wohlfühlen: Auch, weil sie meist gewärmt ist, per Knopfdruck von Meeresrauschen begleitet wird. Viele Klos bieten auch Desinfektionsspray zur Schnellreinigung. Logisch.

Die hohe Bedeutung von Sauberkeit ist wohl auch in der Urreligion Shinto begründet, die in allem Möglichen, auch Gegenständen, eine Gottheit erkennt, sodass alles und jede Respekt verdient. Wer einen Schrein betritt, wäscht sich immer zuerst die Hände. Das japanische Wort »kirei« bedeutet sowohl schön als auch sauber – als wäre das eine ohne das andere gar nicht möglich.

So sieht es auch bei den Klos im öffentlichen Raum von Tokio aus: Wie selbstverständlich begegnet man da einem Washlet. Man fühlt sich nicht seltsam beim Gedanken, sich hinzusetzen. Die Nase zuhalten muss man meist nicht, zumindest nicht am Morgen, nachdem eine der drei täglichen Reinigungen durchgeführt worden ist. Am Abend ist das mittlerweile etwas anders. Kurz nach Sonnenuntergang riecht die bunt-milchige Toilette am Rande des Parks in Yoyogi schon etwas streng.

»Die Klos sind eben sehr schnell bekanntgeworden«, erklärt Tomoe Hashitani im Showroom von Toto leicht verlegen. Sind die öffentlichen Designerklos Opfer ihres eigenen Erfolgs? Nicht nur, heißt es bei Toto: Durch Befragungen wisse man jetzt, dass Toiletten ab 70 bis 100 Benutzungen nicht mehr als sauber, sondern als unsauber wahrgenommen werden. Mit dieser Einsicht könne man nun etwas mehr reinigen. Damit die Klos eben »kirei« bleiben, also sowohl hübsch als auch sauber.

Dieser Text entstand im Rahmen einer Recherchereise des Vereins journalists.network, die unter anderem durch Toto gesponsert wurde.

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