Auktionshammer an Brasiliens Küste

Selbst ernannter Klimaschutzvorreiter will Öl- und Gasausbeutung erheblich erweitern

  • Pia Hesse
  • Lesedauer: 4 Min.
Indigene in Brasilien fordern bei einer Kundgebung mehr Naturschutz und ein Ende der Erdöl- und Rohstoffausbeutung in ihren Gebieten.
Indigene in Brasilien fordern bei einer Kundgebung mehr Naturschutz und ein Ende der Erdöl- und Rohstoffausbeutung in ihren Gebieten.

Brasilien will sich als Vorreiter beim Klimaschutz etablieren. Als Gastgeber des nächsten UN-Klimagipfels COP 30 in Belém im November kündigt die Regierung nachgeschärfte Emissionsziele an, will die Entwaldung stoppen und in eine nachhaltigere Wirtschaft investieren. Im Wahlkampf 2022 hatte Präsident Luiz Inácio Lula da Silva angekündigt, die »räuberische Ausbeutung der natürlichen Ressourcen zu bekämpfen und wirtschaftliche Aktivitäten mit geringeren ökologischen Auswirkungen zu fördern«.

Doch gleichzeitig will die Regierung Brasilien zu einem der weltweit führenden Ölproduzenten machen. »Es ist das Land mit den weltweit sechstgrößten kurzfristigen Expansionsplänen, gleich nach den USA, Russland und den Golfstaaten«, hebt Heffa Schücking von der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald hervor. Zudem sei Lateinamerika ein globaler Hotspot: »Seit 2020 wurden auf dem Kontinent über 359 000 Quadratkilometer für die Öl- und Gasexploration freigegeben« – eine Fläche größer als Deutschland.

Bereits in ihrem ersten Amtsjahr gab die Regierung Lula 602 neue Explorationsblöcke für Öl und Gas zur Auktion frei. In diesen Gebieten erhalten Unternehmen das Recht, nach Erdöl und Erdgas zu suchen und die fossilen Energieträger zu fördern. Jetzt hat die brasilianische Öl- und Gasagentur ANP weitere 172 Blöcke, meist vor der Küste, zur Versteigerung freigegeben. Die Gebiete umfassen eine Fläche von insgesamt rund 145 000 Quadratkilometern. An der aktuellen Auktion beteiligen sich neben dem halbstaatlichen Ölunternehmen Petrobras auch internationale Konzerne wie BP, Equinor, Shell und Total aus Europa sowie Chevron und Exxon Mobil aus den USA.

»Was hier zur Debatte steht, ist ernst und schwerwiegend – für die Biodiversität, für die Gemeinden und für das Klima.«

Nicole Figueiredo de Oliveira 
Umweltschützerin

Von einer »Weltuntergangs-Auktion« spricht die brasilianische Umweltschutzorganisation Arayara: »Was hier zur Debatte steht, ist ernst und schwerwiegend – für die Biodiversität, für die Gemeinden und für das Klima«, warnt Geschäftsführerin Nicole Figueiredo de Oliveira. Brasiliens Erdölagentur argumentiere, das geförderte Öl werde im Ausland verbrannt und habe daher keine Auswirkung auf das nationale Klimaziel. »Aber der Planet leidet trotzdem«, so die Umweltschützerin.

Fast 80 Prozent der künftigen Förderzonen überschneiden sich mit prioritären Schutzgebieten für die Küsten- und Meeresbiodiversität. Dabei geht es auch um Gebiete in der ökologisch bedeutsamen kontinentalen Randzone nahe dem Äquator, um Gebiete im nordöstlich gelegenen Potiguar-Becken und im Parecis-Becken im Westen des Landes. Besonders umstritten ist Block 59. Seit mehr als zehn Jahren befindet sich das ökologisch sensible Gebiet in der Genehmigungsphase. »Block 59 stellt das Tor zum Amazonasbecken dar und gefährdet die gesamte Amazonas-Küste«, betont Oliveira.

Betroffen sind auch das artenreiche Amazonas-Riff sowie mehrere besonders geschützte Regionen. Dazu zählen das Unesco-Weltnaturerbe Fernando de Noronha – eine Inselgruppe etwa 350 Kilometer vor der Nordostküste – und das rund 150 Kilometer westlich gelegene einzige Atoll im Südatlantik. Im Potiguar-Becken wiederum befinden sich 17 umstrittene Förderblöcke in unmittelbarer Nähe weiterer Unesco-Schutzgebiete.

Doch die Kritik betrifft nicht nur die ökologischen Risiken. »Die Umweltprüfung ist nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden«, bemängelt Oliveira. So müsste sedimentbezogen untersucht werden, welche Arten in einem Gebiet vom Aussterben bedroht sind, welche Gemeinden es dort gibt und wie die wirtschaftlichen Voraussetzungen für das Überleben der Region sind. Stattdessen soll eine gemeinsame Stellungnahme des Ministers für Bergbau und Energie sowie der Umweltministerin diese Prüfung ersetzen und betrifft die Mehrheit der zur Auktion stehenden Blöcke.

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Hinzu kommt, dass für 45 der 47 Amazonas-Blöcke bislang überhaupt keine Umweltstudien vorliegen. Die wenigen vorhandenen Gutachten seien teils mehr als 15 Jahre alt und entsprächen nicht mehr den heutigen Anforderungen, betont Oliveira. Dies berge erhebliche rechtliche Risiken auch für Investoren. Zudem hätten weder die Regierung noch die Erdölbehörde bislang eine umfassende Emissionsbilanz vorgelegt.

Arayara hat fünf Klagen gegen die aktuelle Öl- und Gasauktion eingereicht – unter anderem wegen fehlender Konsultation der rund 560 000 von den Explorationsgebieten betroffenen Menschen, insbesondere indigener Völker. Weiter bemängelt die NGO die fehlende Transparenz bei Klimarisiken und die Überschneidung mit wichtigen Schutzgebieten. Einwände hat auch die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Pará, die gefordert hat, die 47 Förderblöcke im Amazonas-Mündungsgebiet von der Auktion auszuschließen.

Derweil bleibt Nicole Figueiredo de Oliveira zuversichtlich: »Es gibt eine gute Chance, dass die Vergabe der Förderblöcke gestoppt oder rückgängig gemacht wird.« Der Behauptung der Regierung, die Förderung sei notwendig für die wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens, widerspricht die Umweltschützerin: »Das ist ein Narrativ, das wir ›Gesang der Meerjungfrau‹ nennen – es klingt wunderschön, ist aber am Ende nicht wahr.« Beispielsweise schränken die Ölplattformen die Fischerei ein und gefährden den Tourismus. »Das haben wir vor fünf Jahren gesehen, als ein Ölteppich mehr als 100 Strände in Brasilien bedeckte und der Tourismus einbrach.«

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