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  • Doku »Every note you play« im Kino

Improvisation trifft Routine

Regisseur Mika Kaurismäki wollte mit »Every note you play« über die Monheim Triennale den Geist dieses kleinen Festivals einfangen

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.
Kann man den Moment zeigen, wenn Musik entsteht?
Kann man den Moment zeigen, wenn Musik entsteht?

Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.« So Friedrich Nietzsche, der nicht nur Philosoph war, sondern auch – durchaus bemerkenswert – komponierte. Zuerst macht man immer für sich Musik, dann für andere – so der Ausgangspunkt, dem sich das Festival der kleinen Stadt Monheim am Rhein verpflichtet fühlt. Musik beginnt hier mit dem Nachlauschen des eigenen Rhythmus, des Tempos, in dem sich das eigene Leben bewegt. Und dabei kommt es immer wieder zu Grenzüberschreitungen, wenn Dinge, die sich anfangs auszuschließen scheinen, dann doch auf ungewöhnliche Weise verbinden – und dabei einen ganz eigenen Klang erzeugen.

Das ist natürlich im Kern immer ein Experiment. Die Musik des Daseins lässt sich nicht konsumieren und auch nicht wie ein Produkt verkaufen – sie ist Teil eines Prozesses, in dem sich Selbst- und Welterkenntnis verbinden. So der Ansatzpunkt der Monheim Triennale, die in diesem Sommer zum zweiten Mal stattfindet. Man lud beim ersten Mal 16 Experimentalmusiker aus aller Welt auf ein Schiff am Flussufer Monheims ein. Es sollte sich hier etwas verbinden: Avantgarde und Stadtgesellschaft. In Zeiten, da man als Erstes musikalische Bildung in Schulen für entbehrlich hält, scheint dies eine bemerkenswerte Initiative, die auf den Bürgermeister Monheims Daniel Zimmermann zurückgeht.

Und man holte den Regisseur Mika Kaurismäki, einen Film über die Monheim Triennale zu drehen, der den Geist dieses kleinen Festivals einfangen sollte. Mika Kaurismäki ist der Bruder von Aki Kaurismäki, der zu den weltweit innovativsten Regisseuren gehört. 1989 drehte dieser mit »Leningrad Cowboys go America« ein Roadmovie über eine – fiktive – Rockband aus Sibirien, die wegen anhaltender Erfolglosigkeit im eigenen Land beschließt, in die USA zu gehen und schließlich in Mexiko landet, wo sie tatsächlich Erfolg hat. Eine absurde Geschichte, mit einem hinreißenden Aberwitz erzählt und der realen Pointe, dass die erfolglose Band aus dem Film danach zur Kultband avancierte. Aber auch Mika Kaurismäki hat eine Reihe bemerkenswerter Musikdokumentationen gedreht, darunter »Moro no Brasil« (2002) und »Mama Africa« (2011) über die südafrikanische Sängerin Miriam Makeba.

Die Musik des Daseins lässt sich nicht konsumieren und auch nicht wie ein Produkt verkaufen.

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Mika Kaurismäki für einen Dokumentarfilm über die Monheim Triennale zu verpflichten, sichert dem Festival enorme Aufmerksamkeit. Das Schlüsselwort hierbei lautet Improvisation. Da gibt es Folk, Jazz, aber auch elektronische Elemente und moderne Kammermusik, die sich zu einem neuen Klangerlebnis verbinden. Denn Musik ist zuerst Klang, simpel gesagt: ein Geräusch, auf das wir reagieren. Das wird zum Ausgangspunkt von drei experimentellen Tagen, in denen sich die eher kleine Community der Experimentalmusiker etwa mit den Schülern des Monheimer Gymnasiums zusammen auf die Bühne stellt, um gemeinsam eine neue Musik zu erfinden. Aus Deutschland ist Heiner Goebbels dabei, bekannt für seine geradezu revolutionäre Aufführungspraxis im Musiktheater. Oder auch Shahzad Ismaily aus New York, der vom »musikalischen Spirit« spricht, der dem Leben erst einen Sinn gibt.

Natürlich steht so ein Festival wie das in Monheim gegen den vorherrschenden Trend der Kommerzialisierung mit immer größeren Foren, um die selbst geschürten Erwartungen nach ständig mehr Prominenz auf der Bühne und im Publikum zu erfüllen. Ein Event muss wachsen, sonst ist es keins! Monheim aber will etwas anderes: offen bleiben für Entdeckungen, auch im Kleinen. Erwartungen werden durchkreuzt, niemand weiß am Anfang, was am Ende entstehen wird. Das ist das viel interessantere Konzept – aber eines, das weniger eingängig ist und die Bereitschaft des Publikums erfordert, sich auf neue Klangerlebnisse einzulassen. Kann man den Moment zeigen, wenn Musik entsteht? Kaurismäki versucht es, aber der besondere Moment verbirgt sich häufiger, als er sich zeigt.

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Letztlich ist dies dann immer eine Frage der Energie, die sich zwischen Bühne und Publikum herstellt – oder auch nicht. Es bleibt ein Experiment mit offenem Ausgang. Denn die Musik ist zwar eine universale Sprache, aber es kann auch sein, dass sie an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit nicht verstanden wird. Diese Erfahrung gehört zu solch einem Festival. Reiner Michalke, der Intendant der Monheim Triennale, sucht nach einer Verbindung von Kunst und Politik – findet sie hier in Monheim auf ideale Weise. Sein Credo: »In einer kleineren Stadt ist es einfacher, die Konzentration zu erhöhen.« Wie lange aber wird sich Monheim ein so exklusives Festival leisten können?

Um Hintergründe dieser oder anderer Art geht es Mika Kaurismäki in »Every note you play« nicht. Er stellt einzelne Musiker in den Fokus, präsentiert sie nacheinander in ihrer jeweiligen Besonderheit. Doch wird daraus ein Kinofilm fürs breite Publikum? Nein, wohl eher fürs kleine und bereits vorab in das Thema involvierte. Auch wird man den Eindruck nicht ganz los, dass hier ein durchaus solider, aber eigentlich nicht unbedingt inspirierter Werbefilm für das Monheimer Festival entstanden ist.

»Every note you play«: Deutschland 2024. Regie und Buch: Mika Kaurismäki. 82 Min. Jetzt im Kino.

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