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Was die Bomben übrig ließen
Atomprogramm, Diplomatie: Über die Folgen des Angriffs auf den Iran
Alles wieder auf Anfang: Nach offiziell 627 Toten auf iranischer Seite und 28 auf der israelischen, scheint es so, als stünde die Politik wieder da, wo sie am 12. Juni bereits war. US-Präsident Donald Trump kündigt für nächste Woche Gespräche mit dem Iran an (worüber nur, wenn die Atomanlagen zerstört wurden?); Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu nimmt seinen Vernichtungskrieg im Gazastreifen wieder selbst in die Hand, um »den Kampf gegen die iranische Achse zu Ende zu führen« – soll heißen: die Hamas zu besiegen und die restlichen Geiseln zu befreien. Dafür hat er auch die Unterstützung der USA.
Donald Trump kritisierte sogar öffentlich die israelische Justiz für das Korruptionsverfahren gegen Netanjahu. Er habe an der Seite von Netanjahu gegen den Iran und dessen Atomprogramm gekämpft, sei mit ihm durch die Hölle gegangen, schrieb Trump auf seiner Internetplattform Truth Social. Das Verfahren gegen Netanjahu solle unverzüglich eingestellt werden. »Es waren die Vereinigten Staaten von Amerika, die Israel gerettet haben, und jetzt werden es die Vereinigten Staaten von Amerika sein, die Bibi Netanjahu retten.«
Völkerrecht in Trümmern
Welchen Sinn hatte der von Israel und den USA betriebene Angriffskrieg gegen den Iran, außer das Völkerrecht mit dem in der UN-Charta verankerten Gewaltverbot vollends zu zertrümmern und dem Recht des Stärkeren weltweit Geltung zu verschaffen? Der Iran hat jedenfalls schon angekündigt, an seinem Atomprogramm festzuhalten. Man wolle den Produktionsprozess ohne Unterbrechung fortsetzen, sagte der Leiter der iranischen Atomenergiebehörde (AEOI) Mohammad Eslami im staatlichen Rundfunksender Irib.
»Wir haben die nötigen Maßnahmen getroffen und nehmen die Schäden auf«, sagte er laut einer im Staatsfernsehen ausgestrahlten Erklärung. Pläne zur Wiederaufnahme der Anlagen seien längst vorbereitet gewesen. Netanjahu warnte sogleich die iranische Regierung, sollte sie versuchen, ihr Atomprogramm wiederherzustellen, werde Israel »mit der gleichen Entschlossenheit und Stärke handeln«, um dies zu verhindern.
Parlament setzt Zusammenarbeit mit IAEA aus
Ein Berater des iranischen geistlichen Oberhauptes Ayatollah Ali Khamenei erklärte, der Iran habe immer noch Vorräte an angereichertem Uran und das »Spiel« sei »noch nicht vorbei«. Der französische Präsident Emmanuel Macron warnte, es bestehe nun ein »erhöhtes Risiko«, dass der Iran seine Urananreicherung heimlich vorantreiben könnte. Daher sei es nötig, den Kontakt zur Führung im Iran aufrechtzuerhalten.
Das könnte schwierig werden. Das iranische Parlament hat fast einstimmig die Aussetzung der Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) beschlossen, auch der Wächterrat hat diesem Beschluss am Donnerstag zugestimmt. Teheran erwartet von der IAEA die Verurteilung der Angriffe auf seine Atomanlagen. Doch das ist wohl nicht das letzte Wort aus Teheran. In den vergangenen Tagen waren immer wieder versöhnliche Töne und die Bereitschaft zu Verhandlungen zu vernehmen, insbesondere seitens des Staatspräsidenten Massud Peseschkian.
Wie groß ist das Ausmaß der Zerstörungen?
Jetzt dreht sich alles um die Frage, wie stark die iranischen Atomanlagen zerstört worden sind durch die US-amerikanischen bunkerbrechenden Bomben? Für den US-Präsidenten und seinen Verteidigungsminister Pete Hegseth ist die Sache glasklar: Die iranischen Atomanlagen seien »vollständig« zerstört worden, »obliterated« (ausgelöscht), wie Trump sich ausdrückte. In gewohnter Selbstüberschätzung verstieg sich Trump zu einem zynischen Vergleich mit den Atombombenabwürfen auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki im August 1945. Die hätten »auch einen Krieg beendet«, sagte er am Mittwoch beim Nato-Gipfel in Den Haag.
Doch die Angaben über das Ausmaß der Zerstörungen variieren beträchtlich. Gleich nach den Angriffen hatte es sogar geheißen, das iranische Atomprogramm sei nur um wenige Monate zurückgeworfen worden. Als Beleg dafür nannten die »New York Times« und der Nachrichtensender CNN Quellen aus dem US-amerikanischen Militärgeheimdienst Dia (Defense Intelligence Agency).
Wo ist das auf 60 Prozent angereicherte Uran?
Dem Geheimdienstbericht zufolge sollen etwa an der tief in den Berg gebauten Anlage in Fordo nur die Eingänge zerstört worden sein, außerdem habe der Iran seinen Bestand an angereichertem Uran vor den Angriffen an andere Orte verlegt, wie die »New York Times« weiter berichtete. Der Iran besitze rund 408 Kilogramm auf 60 Prozent angereichertes Uran, schätzt die IAEA. Ihre Mitarbeiter hatten diese Vorräte zuletzt am 10. Juni inspiziert – drei Tage vor Beginn der israelischen Angriffe.
Weiter angereichert auf 90 Prozent, würde dieses Material für mindestens neun Atombomben reichen. Tatsächlich gibt es Satellitenbilder, die eine Lastwagenkolonne außerhalb der Atomanlage von Fordo zeigen. »Blödsinn«, meint dazu der US-Präsident und spricht von »Fake News«. Die Iraner hätten gar keine Zeit gehabt, angereichertes Uran vorher wegzuschaffen, »weil wir schnell gehandelt haben«.
Zentrifugen durch Erschütterungen beschädigt
Vor den Angriffen hatte der Iran etwa 22 000 Zentrifugen, um Uran anzureichern. Viele davon seien beim Bombardement von Natanz beschädigt worden, sagte IAEA-Chef Rafael Grossi. Angesichts der verwendeten Sprengladung und der »Empfindlichkeit der Zentrifugen gegenüber Erschütterungen« sei mit sehr schweren Schäden auch in Fordo zu rechnen. Experten vermuten jedoch, dass Teheran weitere Zentrifugen an unbekannten Orten besitzen könnte.
Jetzt dreht sich alles um die Frage, wie stark die iranischen Atomanlagen zerstört worden sind.
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Inzwischen zeichnet sich ab, dass die Zerstörungen doch umfassend sein könnten. Nach Einschätzung von Generalstabschef Ejal Zamir ist das iranische Atomprogramm durch den zwölftägigen Krieg um »mehrere Jahre« zurückgeworfen worden; das gelte gleichfalls für das Programm zur Entwicklung ballistischer Raketen.
Iranisches Raketenarsenal dezimiert
Der Iran hat israelischen Angaben zufolge fast 600 Raketen auf Israel abgefeuert, von denen 90 Prozent abgefangen wurden. Vor dem Krieg wurde das iranische Arsenal auf 2000 bis 2500 Raketen geschätzt. Das Militär schätzt, dass etwa zwei Drittel der ballistischen Raketenwerfer, etwa 250, bei Angriffen zerstört wurden, zusammen mit etwa 1000 Raketen, schreibt die »Times of Israel«. Demnach dürfte der Iran nur noch über knapp 1000 Raketen und etwa 100 Raketenwerfer verfügen.
Die US-Angriffe im Iran haben Teherans Atomprogramm nach Einschätzung des Auslandsgeheimdienstes CIA schweren Schaden zugefügt. Der Wiederaufbau der wichtigen zerstörten Atomanlagen würde »Jahre« dauern, erklärte CIA-Chef John Ratcliffe. Die neuen Erkenntnisse stützen sich demnach auf eine Quelle, die sich in der Vergangenheit als »zuverlässig und zutreffend« erwiesen habe.
Sorge über Irans Ausstieg aus Atomwaffensperrvertrag
US-Geheimdienstkoordinatorin Tulsi Gabbard sprach auf der Plattform X ebenfalls davon, dass ein möglicher Wiederaufbau der Anlagen in Fordo, Natanz und Isfahan Jahre dauern würde. Bei ihr und der CIA blieb unklar, welche neuen Erkenntnisse zu der neuen Einschätzung geführt haben. Gabbard hatte Ende März im Geheimdienstausschuss des US-Senats erklärt, nach Einschätzung der Nachrichtendienste baue der Iran derzeit keine Atombombe. Das interessierte Trump jedoch gar nicht, und auch den Erfolg der Bombardements lässt er sich nicht kaputtreden: »Der Iran wird seine Atomanlagen niemals wieder aufbauen«, schrieb er auf seiner Plattform Truth Social.
»Ich glaube, dass ein großes Risiko besteht, dass der Iran aus dem Atomwaffensperrvertrag austritt und die Inspektoren ausweist oder ihnen einfach keinen Zugang zu wichtigen Standorten gewährt«, sagte Eric Brewer vom US-Forschungsinstitut Nuclear Threat Initiative (NTI). Der Iran »könnte ein geheimes Programm aufbauen«, ähnlich wie Nordkorea, das 2003 aus dem Atomwaffensperrvertrag ausstieg und sich zu einer Atommacht entwickelte.
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