Kritik an Israel allein reicht nicht

Cyrus Salimi-Asl zur Aussetzung des Assoziierungsabkommens zwischen Israel und der Europäischen Union

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Sitzungssaal des Europäischen Rates in Brüssel: Die Staats- und Regierungschefs der EU treffen sich vom 26. bis 27. Juni, um über die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine und im Nahen Osten zu beraten.
Ein Sitzungssaal des Europäischen Rates in Brüssel: Die Staats- und Regierungschefs der EU treffen sich vom 26. bis 27. Juni, um über die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine und im Nahen Osten zu beraten.

Die EU steht weiter hinter Israels genozidalem Krieg im Gazastreifen. Die Entscheidung, das Assoziierungsabkommen nicht auszusetzen, obwohl Verstöße der israelischen Seite gegen den Vertrag bei einer Prüfung festgestellt wurden, zeigt, wie verlogen die europäischen Unterstützer der israelischen Regierung handeln. Russland wird seine aggressive Außenpolitik gegenüber der Ukraine vorgeworfen, aber im Falle Israels stützt man eine Politik, die mindestens 56 000 Palästinenser das Leben gekostet hat und weiterhin mit Selbstverteidigung gerechtfertigt wird.

Die Entscheidung des EU-Gipfels war im Übrigen erwartbar, um so mehr noch nach der Bombardierung iranischer Atomanlagen und Militäreinrichtungen. Den klaren Völkerrechtsbruch Israels durch den Angriff auf den Iran haben die meisten europäischen Regierungen durchgehen lassen, ihn sogar als Erfolgmeldung beklatscht oder, wie im Falle des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz, offen Respekt dafür bezeugt, dass die israelische Regierung den Mut aufgebracht habe, für die Europäer die »Drecksarbeit« zu leisten, sprich den Iran zu bombardieren.

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So also sieht die neue Weltordnung aus, in der für manche Staaten völkerrechtliche Regeln uneingeschränkt gelten sollen, für andere Fluchtwege aus dem Normensystem offen gehalten werden, wenn politische Ziele, wie die Zerstörung des iranischen Atomprogramms oder die Vernichtung der Hamas, als im Interesse aller oder der Weltgemeinschaft oder der freien Welt oder des Westens etc. etc. definiert werden.

Deutschland und Österreich sind maßgeblich mitverantwortlich dafür, dass die EU nicht mal eine schwache Sanktion wegen der israelischen Kriegsführung auf den Weg bringt. »Aussetzung« bedeutet ja nicht »Auflösung«. Insofern irritiert die Begründung, die die Regierungen in Berlin und Wien anführen: Von einer Aussetzung des Assoziierungsabkommens sei »keine Verbesserung der Situation in Gaza zu erwarten«, sagte der österreichische Bundeskanzler Christian Stocker. Es sei sinnvoller, die Gesprächskanäle offenzuhalten.

Zum einen liegt eine Verbesserung der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen, wo die Menschen verhungern, ganz in israelischer Hand. Da gibt es nichts zu besprechen. Die israelischen Behörden müssen die Versorgung aller Menschen mit den lebensnotwendigen Gütern in ausreichender Menge garantieren. Die Aussetzung des Abkommens könnte da als Druckmittel wirken.

Zum anderen sind die »Gesprächskanäle« in bald 21 Monaten Krieg ihren Nutzen im Hinblick auf ein Ende des Abschlachtens und Aushungerns schuldig geblieben. Wenn in den Machtzentralen Europas und der USA überhaupt je ein Interesse daran bestanden haben sollte, die israelische Regierung mit geeigneten Maßnahmen in ihrer rücksichtslosen und völkerrechtswidrigen Kriegsführung zu stören und zu sanktionieren, reicht die Aufforderung an Tel Aviv nicht aus, Israel müsse seinen Verpflichtungen aus dem Völkerrecht »in vollem Umfang nachkommen«.

Auf Kritik reagiert die israelische Regierung regelmäßig mit scharfen Anwürfen und qualifiziert diese gerne als »antiisraelisch«, wenn nicht gar »antisemitisch«. Spanien, das sich besonders für eine Aussetzung des Assoziierungsabkommens einsetzt, musste sich von der israelischen Botschaft einen »antiisraelischen Kreuzzug« vorwerfen lassen. Davon darf sich die Europäische Union nicht abschrecken lassen. Ohne massiven Druck und schmerzhafte Wirtschaftssanktionen wird die israelische Regierung unter Führung von Benjamin Natanjahu ihren Kurs nicht ändern. Das sollten auch die europäischen Außenminister inzwischen verstanden haben. Netanjahu hat ein klares Kriegsziel, bei dem die palästinensische Zivilbevölkerung nur ein Störfaktor in den strategischen Überlegungen der Militärs ist, das Leben der Menschen aber als wertlos markiert ist.

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