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SPD-Parteitag: Die alten Lieder singen

Auf ihrem Parteitag watschen die Sozialdemokraten Lars Klingbeil ab und beschwören die frühere Größe der Organisation, zu der man zurück müsse

Da gab er sich noch optimistisch: Vizekanzler Lars Klingbeil mit seiner neue Tandem-Partnerin an der SPD-Spitze, Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas
Da gab er sich noch optimistisch: Vizekanzler Lars Klingbeil mit seiner neue Tandem-Partnerin an der SPD-Spitze, Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas

Immer ungleicher werde das Land, beklagte Juso-Chef Philipp Türmer auf dem SPD-Bundesparteitag am Wochenende. Doch wie alle anderen Redner*innen auf dem Delegiertentreffen übte er keine direkte Kritik an der Parteiführung und aktuell handelnden Personen. Auch die maßgebliche Rolle der Sozialdemokratie an der ungerechten Vermögensverteilung erwähnte niemand: Gewaltige Steuergeschenke an die Reichen, die zum heutigen Finanznotstand in vielen Kommunen maßgeblich beigetragen haben; Einführung des Hartz-IV-Zwangsregimes, zu dem die SPD schon in der Ampel-Koalition teilweise wieder zurückkehrte; Rentenkürzungen und Etablierung des »größten Niedriglohnsektors Europa«, dessen sich Altkanzler Gerhard Schröder selbst rühmte.

Die neue Ko-Vorsitzende Bärbel Bas lobte ihre Partei stattdessen dafür, dass sie einst Bildungsaufstiege wie ihren eigenen ermöglicht habe. Sie wie auch der knapp im Amt bestätigte Vorsitzende Lars Klingbeil beschworen so wortreich wie vage traditionelle sozialdemokratischen Werte und beteuerten, wie sehr ihnen das Wohl der »vielen fleißigen Menschen« am Herzen liege.

Die später mit einem Traumergebnis von 95 Prozent gewählte Bas kritisierte scharf Versuche, den Begriff »Sozialstaat« zu einem Schimpfwort zu machen und das Reden von angeblich faulen Arbeiter*innen, während Manager »jedes Jahr Vorstandsgehälter in Millionenhöhe« einstrichen und Aktionäre Milliardenvermögen hätten. Dies sei »schamloses Treten nach unten« und »Klassenkampf von oben«. Das Gegeneinander-Aussspielen von »Jungen gegen Alte, Arbeitnehmer*innen gegen Arbeitslose, Einheimischen gegen Zugewanderte« müsse aufhören. »Unser Problem ist der wachsende Unterschied zwischen Oben und Unten und zwischen Arm und Reich. Da müssen wir ran, das ist unser Auftrag«, erklärte sie.

Bas bekräftigte ihre Forderung, künftig auch Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. CDU und CSU hatten den Vorschlag zurückgewiesen. Auf dem Parteitag sagte die Politikerin, es gehe »um Akzeptanz für ein gerechtes System, in das alle Erwerbstätigen einzahlen«. Klingbeil betonte, die Partei stehe hinter dem Vorstoß von Bas, den er als besonders innovativ pries. Allerdings ist die Bürgerversicherung, in die alle einzahlen sollen, eine Uralt-Forderung der SPD seit Jahrzehnten.

Vizekanzler abgestraft

Klingbeil selbst musste ein Wahlergebnis von gerade mal 64,9 Prozent verdauen. Es war das schlechteste eines Bewerbers ohne Gegenkandidat und das zweitschlechteste für einen SPD-Vorsitzenden überhaupt. Zweifellos war das die Quittung für sein Durchregieren nach der verlorenen Bundestagswahl: erst der Griff nach dem Fraktionsvorsitz und das Ausbooten von Fraktionschef Rolf Mützenich; dann die parteiinterne Demontage der Ko-Vorsitzenden Saskia Esken, wobei er sie im Regen stehen ließ. Esken hatte schließlich auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Auch das Besetzen wichtiger Posten mit engen Vertrauten, was unter anderem zulasten von Ex-Arbeitsminister Hubertus Heil ging, nimmt man Klingbeil übel.

Doch der ist erfahren darin, Widerspruch wegzuargumentieren. »Veränderung beginnt mit uns«, das Parteitagsmotto auf der Bühne im Berliner CityCube, passt zu ihm, aber auch zu den meisten anderen Akteuren auf dem Treffen. Ob es dabei um Inhalte oder Haltungsnoten geht, lässt man offen. Bisher erschöpfen sich die Vorschläge zum Thema in der Forderung nach einfacherer Sprache und »Respekt« vor den Menschen, die »den Laden am Laufen halten«. Letzteren mahnte Olaf Scholz in seiner umjubelten Abschiedsrede noch einmal an. Darin betonte er auch, er wolle ein Altkanzler sein, der der Partei »Freude bereite« – eine Anspielung auf Gerhard Schröder, dessen Moskau-Connections für viel Frust in der SPD sorgen.

Klingbeil jedenfalls erklärte sein schlechtes Abschneiden noch am Freitagabend auf einem Empfang des Clubs des konservativen Seeheimer Kreises der SPD damit, dass er wohl der »Blitzableiter« für den Frust über die Krise der Partei sei. Nach Verkündung des von ihm selbst erwarteten »schwierigen« Wahlergebnisses beklagte er, dass die Delegierten ihn nicht zuvor in der Debatte direkt kritisiert hätten. Zuvor hatte er klargemacht, dass er eigentlich nicht anders gekonnt habe, als »in die Vollen« zu gehen. Schließlich sei es wichtig gewesen, unmittelbar nach dem Wahldebakel »handlungsfähig« zu sein.

Seinen Kurs werde er jedenfalls nicht ändern, betonte Klingbeil. Und Verteidigungsminister Boris Pistorius sagte: »In einem Jahr spätestens, wahrscheinlich schon früher, redet darüber gar keiner mehr, weil wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten so sind.« Derweil betrieb auch der mit 76,7 Prozent der Stimmen in seinem Amt bestätigte Schatzmeister Dietmar Nietan Delegiertenschelte: »In der Anonymität einer geheimen Abstimmung das Mütchen zu kühlen, zeugt für mich nicht von Verantwortungsbewusstsein«, sagte er. Wenn man jemanden abstrafen wolle, solle man das auf offener Bühne sagen. Allerdings hatte die Parteitagsregie die Debatte am Freitag abgekürzt, woraufhin die Redebeiträge von 35 Delegierten wegfielen.

Ein neues Präsidium

Geräuschlos ging unterdessen die Wahl des neuen Präsidiums über die Bühne. Zu stellvertretenden Vorsitzenden wurden Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (91,8 Prozent), die schleswig-holsteinische Fraktionschefin Serpil Midyatli (77,6 Prozent), der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Achim Post (77,1 Prozent), die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (97,2 Prozent) und ihr rheinland-pfälzischer Amtskollege Alexander Schweitzer (95,3 Prozent) bestimmt.

Große Bestätigung erfuhr auch der seit sieben Wochen kommissarisch amtierende neue Generalsekretär Tim Klüssendorf mit 90,8 Prozent der Stimmen. Der 33-Jährige wird wie Bas der Parteilinken zugerechnet. In seiner Bewerbungsrede sagte der Lübecker, er wolle dafür sorgen, »dass echte Mitbestimmung in dieser Partei wieder möglich ist«. Zudem wolle er sich für mehr Verteilungsgerechtigkeit einsetzen.

Miersch stimmt auf schwierige Kompromisse ein

Klüssendorf sprach sich auch gegen »floskelhafte« Sprache in der Partei aus. Die konnte man gerade im Vorfeld des Delegiertentreffens auf deren Social-Media-Kanälen bewundern. Da wurde unter anderem die Verlängerung der Mietpreisbremse als Errungenschaft der SPD gefeiert. So hieß es dazu in einem Instagram-Post vom 7. Juni über »5 Dinge, die uns gute Laune machen«: »Gigantische Mieterhöhung? Wie don't know her. Deine Wohnung bleibt bezahlbar!« Die Mietpreisbremse hatte der Chef der Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, als Beleg dafür genannt, dass die SPD ihre »soziale Verantwortung« wahrnehme.

Dass sie genau das nicht tut, monierten Linke, Grüne und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen am Freitag mit Blick auf die Zustimmung der SPD zur zweijährigen Aussetzung der Möglichkeit subsidiär schutzberechtigter Geflüchteter, ihre Familie nach Deutschland zu holen. Auf dem Parteitag erklärte Miersch dazu, die Maßnahme sei nun einmal Teil des Koalitionsvertrags. Dem habe die SPD mit großer Mehrheit zugestimmt, nun müsse sie ihn auch umsetzen. Er bezeichnete es als Verdienst seiner Partei, dass der Familiennachzug nicht auf unbestimmte Zeit, sondern »nur« für zwei Jahre ausgesetzt wurde. Und stimmte die Genoss*innen auf weitere »schmerzhafte Kompromisse« ein.

Die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf nur 14,60 Euro in zwei Schritten bis zum Jahr 2027, wie sie die zuständige Kommission am Freitag beschlossen hatte, akzeptiert die SPD. Zuvor hatte sie wiederholt auf eine Erhöhung auf 15 Euro bereits im kommenden Jahr gepocht. Arbeitsministerin Bas hatte schon vor dem Parteitag angekündigt, dem Votum der Kommission per Verordnung zu folgen. Auf dem Parteitag gab es verhaltene Kritik daran.

Appell an Israels Regierung

Etwas offener ist die Kritik der SPD gegenüber der israelischen Regierung geworden. »Unsere Solidarität gilt auch den Menschen im Gaza-Gebiet, die nun schon so lange in ihrem eigenen Bereich von einer in die andere Ecke vertrieben werden«, sagte der niedersächsische Ex-Ministerpräsident Stephan Weil. Sie müssten inzwischen schon Angst haben, »nicht mehr lebend nach Hause zurückkehren zu können, wenn sie morgens versuchen, Lebensmittel zu ergattern«. Mit großer Mehrheit beschlossen die Delegierten am Sonntag einen Antrag des Vorstands, in dem Israel zur Einhaltung des Völkerrechts aufgerufen wird und »diplomatische Anstrengungen« gefordert werden, »um die fragile Waffenruhe zwischen Israel und Iran zu erhalten«. Auch Israel sei »an das Völkerrecht gebunden und muss die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes wahren. Diese Verhältnismäßigkeit ist nicht mehr gegeben«, heißt es in einem Papier. Darin bekennt sich die SPD zugleich zur Zweistaatenlösung, verurteilt den Terror der Hamas und fordert die Freilassung der israelischen Geiseln. Die Bundestagsabgeordnete Derya Türk-Nachbaur räumte ein, die SPD habe »vielleicht zu lange um Worte gerungen«, was israelische Kriegsverbrechen betrifft.

AfD-Verbotsverfahren gefordert

Weitgehende Einigkeit bestand am Sonntag in der Positionierung zu einem AfD-Verbotsverfahren. Die Delegierten beschlossen einen Antrag, in dem es heißt: »Jetzt ist die Zeit, dass die antragsberechtigten Verfassungsorgane die Voraussetzungen schaffen, um unverzüglich einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der AfD stellen zu können.« Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe solle Material dafür zusammentragen.

Der Thüringer Innenminister Georg Maier zeigte sich zuversichtlich, dass der extrem rechten Partei Verfassungsfeindlichkeit nachzuweisen sei. Natürlich berge ein Verbotsantrag auch Risiken, das zeige das gescheiterte Verfahren um die NPD, räumte er ein. Er sei aber der Auffassung, »dass das Risiko, nichts zu tun, mittlerweile deutlich größer ist als das Risiko, vor Gericht eine Niederlage zu kassieren«.

Mit dem Berliner Parteitag läutete die SPD auch die Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms ein. Für dessen Formulierung und die Debatte darüber will sie sich zwei Jahre Zeit nehmen.

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