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Umfrage: Jeder Fünfte erlebt Diskriminierung auf dem Amt

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes schlägt Alarm – Befragung mit 2000 Teilnehmenden wirft Fragen auf

Möglichkeiten, sich gegen Benachteiligung durch Amtspersonen zu wehren, sind bislang nur in Berlin gegeben, wo ein neues Gesetz auch Diskriminierung durch staatliche Stellen erfasst.
Möglichkeiten, sich gegen Benachteiligung durch Amtspersonen zu wehren, sind bislang nur in Berlin gegeben, wo ein neues Gesetz auch Diskriminierung durch staatliche Stellen erfasst.

Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, beklagt einen mangelhaften Schutz vor Diskriminierung durch staatliche Stellen. Wer sich beispielsweise auf dem Bürgeramt oder im Kontakt mit der Polizei unfair behandelt fühle, habe bislang kaum Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, sagte sie am Dienstag in Berlin. Denn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) regelt bislang nur Situationen am Arbeitsplatz sowie bei der Nutzung von Dienstleistungen, aber nicht solche, die im Kontakt mit staatlichen Stellen entstehen.

Dabei erleben Bürger sehr oft eine herabsetzende Behandlung durch Behördenvertreter und Polizisten. Das ist das Ergebnis einer von der Antidiskriminierungsstelle (ADS) in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage mit 2000 Teilnehmenden, die Ataman am Dienstag vorstellte. Die Erhebung fand bereits Ende 2023 statt, nun liegt deren Auswertung vor.

Fast ein Fünftel der Befragten (19 Prozent) berichtete von Ungleichbehandlungen bei Ämtern und Behörden. Überdurchschnittlich stark betroffen sind Personen mit Migrationsgeschichte (33 Prozent), mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten (30 Prozent) sowie mit einem »niedrigen sozioökonomischen Status«, also arme Menschen (42 Prozent). Junge Menschen unter 36 Jahren machten fast doppelt so häufig schlechte Erfahrungen wie über 56-Jährige.

16 Prozent gaben an, bei der Polizei schon unfair behandelt worden zu sein. Auch hier waren Personen mit »familiären Migrationsbezügen« viel häufiger betroffen (28 Prozent) als Menschen ohne solche Bezüge (12 Prozent). Männer (20 Prozent) machten doppelt so häufig negative Erfahrungen wie Frauen (11 Prozent). 51 Prozent aller Befragten waren der Meinung, dass sich nicht alle gleichermaßen auf die Polizei verlassen können.

»Menschen sind beim Bäcker besser vor Diskriminierung geschützt als beim Bürgeramt.«

Ferda Ataman 
Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes

Ataman kritisierte die Befunde deutlich: »Gerade der Staat sollte beim Schutz vor Diskriminierung Vorbild sein.« Das sehen auch 95 Prozent der Umfrageteilnehmer*innen so. 80 Prozent sprachen sich zudem für unabhängige Beschwerdestellen aus, an die Menschen sich wenden können, wenn sie Diskriminierung durch Ämter, Behörden und Polizei erleben.

Bei negativen Erfahrungen mit Vertretern staatlicher Stellen greift aktuell lediglich Artikel 3 des Grundgesetzes, nach dem die Benachteiligung aufgrund von Geschlecht, Abstammung und weiteren Merkmalen verboten ist. Das Grundgesetz biete aber »keine konkrete Möglichkeit, sich gegen eine Diskriminierung zu wehren«, sagte Ataman. »Menschen sind beim Bäcker besser vor Diskriminierung geschützt als beim Bürgeramt.«

Ihren Angaben zufolge betrifft ein Viertel der Beratungsanfragen an die ADS Diskriminierungen durch Mitarbeiter staatlicher Stellen, also von Ämtern und Behörden, Polizei und Justiz sowie im Bildungswesen. Im vergangenen Jahr waren das damit mehr als 2800 Fälle von 11 400.

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Um den Schutz der Bürger*innen zu verbessern, schlägt die Antidiskriminierungsbeauftragte konkrete gesetzliche Maßnahmen vor, auch auf Basis eines in ihrem Auftrag erarbeiteten aktuellen Rechtsgutachtens. So sollten die Länder aus ihrer Sicht eigene Gesetze erlassen. Als Vorbild dafür könne das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) dienen. Es ist das erste seiner Art und beinhaltet ein Benachteiligungsverbot für Verwaltung, Polizei und den Bildungsbereich. Betroffene können sich an eine Ombudsstelle wenden.

Ataman plädiert dafür, solche unabhängigen Beschwerdestellen in allen Ländern zu schaffen. Ergänzt werden sollte dies aus ihrer Sicht auf Bundesebene durch eine Erweiterung des AGG auf staatliches Handeln, damit sich Betroffene auch gegen Diskriminierungen in Bundesbehörden, Arbeitsagenturen, Rentenversicherung oder Bundespolizei wehren können.

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