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Verurteilter Straftäter muss freigelassen werden
Im Rechtsausschuss des NRW-Landtags sorgte ein gravierender Justizfehler für Empörung
Mit einem schwerwiegenden Fall von Versagen der Justiz in Nordrhein-Westfalen hat sich der Rechtsausschuss im Düsseldorfer Landtag am Mittwoch beschäftigt. Ein zu zehn Jahren verurteilter Drogendealer musste aus der Untersuchungshaft entlassen werden – wegen eines Versäumnisses beim Landgericht Wuppertal. Dort war dem Angeklagten zwar das Urteil fristgerecht zugestellt worden, nicht aber das vorgeschriebene Protokoll der Hauptverhandlung. Der Verteidiger des Mannes legte daraufhin Revision – für die braucht es auch das Protokoll – und Haftbeschwerde ein. Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf gab dem statt, bestätigte den relevanten Formfehler – und hob die Haft am 5. Juni auf. Die Freilassung war für das Gericht auch zwingend, da der Mann bereits rund 20 Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte.
Vom Landgericht hieß es laut Medienbericht, man bedauere den Vorfall. Dort schiebt man die Verzögerungen auf die »erhöhte Arbeitsbelastung durch anhängige Großverfahren«. Das OLG ließ das nicht gelten. Der Staat stehe in der Verantwortung, für eine »auskömmliche und verfassungskonforme Personalausstattung zu sorgen«, heißt es in einem Bericht des »Kölner Stadt-Anzeigers«. In Justizkreisen war von einem »peinlichen Fehler« die Rede.
Im Rechtsausschuss des Landtags äußerte sich Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) am Mittwoch deutlich: Der Fehler sei »schwer zu ertragen«, es handele sich aber nur um einen »richterlichen Sachbehandlungsfehler« – kein strukturelles Problem. Auch der Präsident des OLG Düsseldorf, Werner Richter, sprach von einem »krassen Einzelfehler« des Vorsitzenden Richters am Landgericht. Denn der Entwurf des fehlenden Protokolls sei dem Vorsitzenden Richter von den Schreibkräften fristgerecht vorgelegt worden. Disziplinarrechtliche Schritte seien bereits eingeleitet, erklärte der OLG-Präsident.
Die Opposition hingegen sieht kein Einzelversagen, sondern ein strukturelles Problem. FDP-Justizpolitiker Werner Pfeil warf dem Minister »desaströse Personalpolitik« vor. Seit 2022 seien in NRW mindestens elf Tatverdächtige aus der U-Haft entlassen worden, weil Verfahren zu lange dauerten. Pfeil forderte erneut den Rücktritt Limbachs. Der Fall sei kein Ausrutscher, sondern »ein weiteres systemisches Versagen im Justizministerium«. Die Verantwortung liege beim Minister selbst.
Auch die SPD kritisierte scharf: Die Landtagsabgeordnete Elisabeth Müller-Witt sprach von einer »ignoranten Personalpolitik« des Justizministeriums. Trotz Überlastung, Krankmeldungen und Überlastungsanzeigen sei kein spürbarer Personalaufbau geplant. Im Gegenteil: Im Haushaltsentwurf für 2025 seien Stellenstreichungen vorgesehen. Limbach wies die Vorwürfe zurück: Es gebe keinen generellen Personalmangel an den Gerichten in Nordrhein-Wesfalen.
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Immer wieder gibt es Meldungen, dass die Justiz in NRW neben personellen Engpässen auch an eklatanten technischen Defiziten leide. IT-Systeme stürzen demnach gerne mal ab, die elektronische Aktenführung ist noch unausgereift und die Infrastruktur auch nicht immer stabil. All das verschärfe die Lage in der Justiz zusätzlich, betonte die Opposition.
Die politische Brisanz des aktuell im Rechtsausschuss behandelten Falles liegt auch in seiner möglichen Signalwirkung: Nach dem Urteil des OLG könnten nun auch andere Mitangeklagte – insgesamt fünf weitere Männer – versuchen, ihre Freilassung auf Grundlage desselben Formfehlers zu erwirken. Sollten diese ebenfalls freikommen, stünde nicht nur das Landgericht Wuppertal unter Druck, sondern das gesamte Justizsystem in NRW.
Die SPD forderte im Ausschuss eine unabhängige Überprüfung und personelle Konsequenzen. Die FDP kündigte eine Kleine Anfrage zum Fall an. Die Landesregierung bemüht sich unterdessen, das Geschehen als bedauerlichen Einzelfall einzuordnen. Ob das reicht, um das politische Vertrauen in den eh schon umstrittenen Justizminister Limbach zu sichern, bleibt offen.
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