Vom Einrücken in die Drecklinie

Kampagnen wie die aktuelle gegen Frauke Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin haben Methode. Ein Erinnerungsbericht

  • Volkmar Schöneburg
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Politische Kampagnen gegen Personen folgen bestimmten Handlungsmustern. Brandenburgs früherer Justizminister Volkmar Schöneburg hat es vor seiner Ernennung erlebt.
Politische Kampagnen gegen Personen folgen bestimmten Handlungsmustern. Brandenburgs früherer Justizminister Volkmar Schöneburg hat es vor seiner Ernennung erlebt.

»Der verlorene Charme des Rechtsstaates. Oder: Was brachten die Mauerschützenprozesse?« lautet der Titel eines Artikels von mir aus dem Jahr 2002. Sieben Jahre nach seiner Veröffentlichung sollte er eine ungeahnte Wirkung entfalten. Es war im Herbst 2009, als mich die Linke-Fraktionsvorsitzende im Brandenburger Landtag, Kerstin Kaiser, fragte, ob ich das Amt des Justizministers in einer Koalitionsregierung aus SPD und Linkspartei in Brandenburg übernehmen könnte. Ich erbat mir Bedenkzeit. Mir war bewusst, dass meine DDR-Biografie so manchen Kritiker auf den Plan rufen würde.

Ich suchte Rat bei Gustav Radbruch, der als erster sozialdemokratischer Reichsjustizminister Anfeindungen ausgesetzt war und dessen Reichstagsreden ich für die Gesamtausgabe seiner Schriften bearbeitet hatte. Kurz nach seinem Amtsantritt 1921 wurde Radbruch gefragt, was er zu den Angriffen sage, die sofort nach seiner Einführung in das Amt gegen seine Person gerichtet wurden. Er antwortete, es sei ihm von Anfang an klar gewesen, dass Beschimpfungen ihm nicht erspart bleiben würden: »Wer ein solches Amt antritt, der rückt damit in die Drecklinie ein.« Ich war also vorbereitet, dachte ich. Zudem forderten mich im Kontext meiner Arbeit als Strafverteidiger mehrere Richter auf, das Angebot doch anzunehmen. Sie erhofften sich mehr Sachkunde in der Spitze des Ministeriums, das vorher von einer Lehrerin mit CDU-Parteibuch geleitet worden war. Ich sagte zu.

Danach besuchte ich mehrere Regionalkonferenzen der Linken, um mich und mein Programm vorzustellen. Inhaltliche Schwerpunkte sollten unter anderem die Reform des Strafvollzugs, ein Gesetz zum Vollzug der Sicherungsverwahrung und der Erhalt der Amtsgerichte in der Fläche des Landes sein. Auf dem Weg zu einer solchen Veranstaltung in Cottbus hörte ich meinen Namen im Autoradio. Zitiert wurde die Passage aus dem Rechtsstaatsartikel, wonach der Begriff Unrechtsstaat eine unwissenschaftliche, moralisierende Verdrängungsvokabel, eine Vulgärapostrophierung sei. Das, so Vertreter der Verbände der Opfer des DDR-Unrechts, disqualifiziere mich hinlänglich für die Funktion eines Justizministers.

Die Heftigkeit der nun einsetzenden diffamierenden Kampagne überraschte mich doch. Aber gerade die CDU, der von der SPD für die neue Legislaturperiode verschmähte Koalitionspartner, hatte die Vergangenheitspolitik als Hauptfeld ihrer Angriffe auf die Bildung einer rot-roten Koalition erkoren.

Den Auftakt gab am nächsten Tag, dem 30. Oktober 2009, die »Märkische Allgemeine Zeitung« (MAZ). Sie war wenigstens so fair, meine telefonische Rückmeldung – »Hätte den Beitrag ein Professor aus München verfasst, würde kein Hahn danach krähen« – abzudrucken. Ansonsten durfte sich der damalige Vorsitzende der Jungen Union Brandenburgs, Jan Redmann, mittlerweile Vorsitzender der Brandenburger CDU und ihrer Landtagsfraktion, als Speerspitze bewähren. Mit einer Ernennung Schöneburgs werde der Bock zum Gärtner gemacht, ließ er in der »MAZ« wissen. Er forderte von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), mich zu verhindern, weil ich das DDR-Unrecht verklären würde.

Mir war klar, dass meine DDR-Biografie Kritiker auf den Plan rufen würde. Die Heftigkeit der diffamierenden Kampagne überraschte mich aber doch.

Von nun an machte der Satz »Die Ernennung Schöneburgs wäre ein Schlag in das Gesicht der Opfer des DDR-Regimes« die Runde. An vorderster Stelle wurde er vom seinerzeit noch amtierenden Innenminister und Ex-General Jörg Schönbohm (CDU) unter der Schlagzeile »DDR-Unrechts-Leugner wird Minister« formuliert (»B.Z.« aus dem Springer-Verlag). Im Übrigen war vier Jahre später das von mir in den Landtag eingebrachte Gesetz zum Strafvollzug, das sich an der Resozialisierung der Gefangenen orientiert, für die CDU erneut »ein Schlag ins Gesicht der Opfer«.

Im Zweifel hatten die Protagonisten dieser politischen Kampagne meinen Artikel gar nicht gelesen, geschweige denn verstanden. Für den Generalsekretär der brandenburgischen CDU, Dieter Dombrowski, hatte ich jedenfalls darin das DDR-Unrechtsregime gerechtfertigt (»Taz«). Gegenüber dem RBB-Fernsehmagazin »Brandenburg aktuell« äußerte Dombrowski, ich sei eine »Zumutung und Schande für das Land«, was die Printmedien aufgriffen (»Tagesspiegel« und »MAZ«). An anderer Stelle unterstellte er mir, ich hätte mich noch nicht von der Ideologie des Instituts für Staats- und Rechtstheorie, an dem ich jahrelang gewirkt hätte, gelöst (»Welt«). Im Gegensatz zu meinem Vater hatte ich nie an diesem Institut gearbeitet.

Die Brandenburger CDU-Chefin Johanna Wanka erhob gar meine Berufung als Minister zur »Vollendung des Tabubruchs« (»Berliner Zeitung«). Es sei unhaltbar, »unseren Juristen und Staatsanwälten so jemanden als obersten Dienstherren zuzumuten« (»Berliner Morgenpost«), zeterte sie. Auch für den Fraktionsvorsitzenden der FDP, Hans-Peter Goetz, war meine Nominierung »unglaublich«. Wer die DDR nicht als Unrechtsstaat sehe und die Mauerschützenprozesse für undemokratisch halte, gehöre nicht in ein Kabinett (»Welt«). Der damalige Leiter der Mahn- und Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, verstieg sich sogar zu der Aussage, ich sei »eine Gefahr für den Rechtsstaat«(»Taz«).

Ein Autor des »Tagesspiegels« resümierte in seinem Kommentar: Da Schöneburg die Anklage gegen Mauerschützen relativiere und leugne, dass die DDR ein Unrechtsstaat sei, mache ihn das ungeeignet für das Amt eines Justizministers (»Tagesspiegel«). Auch Erardo Rautenberg (SPD), seines Zeichens damals Brandenburgs Generalstaatsanwalt, stieg in den Ring. Immerhin attestierte er mir in einem Gastkommentar (»Tagesspiegel«), mich auf hohem wissenschaftlichen Niveau kritisch mit der strafrechtlichen Reaktion auf das »Systemunrecht« der DDR auseinandergesetzt zu haben. Aber letztlich seien die »Mauerschützen« zu Recht strafrechtlich verfolgt worden. Die Katze aus dem Sack ließ in diesem Kontext ebenjener Vertreter der Jungen Union: Es gehe hier nicht um einen rechtswissenschaftlichen Diskurs, sondern um eine politische Position (»Welt«).

Der Autor

Dr. Volkmar Schöneburg, Jahrgang 1958, ist Jurist und Rechtsanwalt. 2006 wurde er auf Vorschlag der Linken Verfassungsrichter in Brandenburg, von 2009 bis 2013 war er Justizminister in einer rot-roten Landesregierung.

Öffentlichen Zuspruch erhielt ich hingegen von dem Rechtshistoriker Uwe Wesel. Der charakterisierte meinen Aufsatz als »sehr intelligent«. Die »Mauerschützenprozesse« hätten sich durchaus als problematisch herausgestellt. Die DDR sei kein Rechtsstaat gewesen. Man könne sie aber auch nicht – in Anlehnung an das NS-Regime – als Unrechtsstaat bezeichnen (»MAZ« und »Taz«). Die Linke-Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak nannte das Vorgehen gegen mich eine »Dreckskampagne«.

Der Druck zeitigte Wirkung. Bei den Sozialdemokraten gärte es. So versuchte der Vizepräsident des Brandenburger Oberlandesgerichts, selbst nach noch Höherem strebend, die SPD-Spitze von meiner Untauglichkeit zu überzeugen. Laut Presseberichten (»Tagesspiegel«, »Spiegel online«) fühlte die SPD bei der Linken vor, ob diese bereit sei, von dem Personalvorschlag abzusehen. Selbst Neuwahlen zum Landtag wurden diskutiert (»MAZ«).

In der Folge erhielt ich wenige Tage vor der Regierungsbildung den Anruf eines einflussreichen Genossen meiner Partei. Er druckste herum, um mir dann vorzuschlagen, von der Kandidatur zurückzutreten. Begründung: Schaden vom Amt abwenden. Eine Alternative stehe schon bereit. Ich antwortete, das komme für mich nicht infrage. Wenn die Partei mich nicht mehr für tragbar halte, müsse sie mich zurückziehen. Kurze Zeit darauf hatten sich diese Planspiele erledigt. Bei einem Treffen der Linken erklärten Helmuth Markov und Anita Tack, die für das Finanz- beziehungsweise Umweltministerium vorgesehen waren, bei einem Rückzug meinerseits nicht für einen Ministerposten zur Verfügung zu stehen.

Gegenüber dem »Tagesspiegel« äußerte ich, dass ich mir nichts vorzuwerfen habe. Zu einem Rechtsstaat gehöre auch die Freiheit der Wissenschaft. »Ich werde es mir nicht nehmen lassen, die Mauerschützenprozesse zu kritisieren – wie andere Strafrechtler auch.« Zudem waren die Äußerungen der CDU an Verlogenheit kaum zu überbieten. Denn vor meiner Wahl 2006 zum Verfassungsrichter des Landes hatte ich mich auch in der CDU-Fraktion vorgestellt. Eingereicht hatte ich dafür eine Publikationsliste inklusive des inkriminierten Aufsatzes. Bei meiner Vorstellung wurde ich von Innenminister Schönbohm explizit nach dem Thema Unrechtsstaat gefragt. Ich antwortete, dass ich solch pauschalisierende Kategorien wie »Unrechtsstaat« oder »Siegerjustiz« ablehne, was aber eine Kritik am Recht nicht ausschließe. Zum Verfassungsrichter wurde ich dann auch mit Stimmen der CDU gewählt.

Inzwischen beauftragte Ministerpräsident Platzeck den damaligen Finanzminister Rainer Speer (SPD), mit mir zu sprechen. Schnell waren alle Bedenken ausgeräumt. Dementsprechend äußerte Speer sich gegenüber der Presse (»B.Z.« und »Lausitzer Rundschau«). Damit war klar, dass die SPD mich doch mittragen würde (»Potsdamer Neueste Nachrichten«).

Zwei Episoden sind noch erwähnenswert. Am 6. November 2009 wurde im Brandenburger Landtag die Landesregierung vereidigt. Als ich an der Reihe war, setzte sich die CDU-Fraktion aus Protest geschlossen hin. Ein einmaliger Akt in der Geschichte des Landes. Drei Tage später, am 9. November, übernahm ich das Ministerium. Mein Rechtsstaatsartikel war im Hause zirkuliert. Meine Vorgängerin von der CDU, die mir seinerzeit noch persönlich zur Wahl zum Verfassungsrichter gratuliert hatte, verweigerte die Übergabe des Ministeriums. Auch ihr Staatssekretär hatte das Weite gesucht.

Es blieb an einer Abteilungsleiterin hängen, mich auf der Mitarbeiterversammlung vor der laufenden Kamera des RBB in das Amt einzuführen. Ihr Widerwille, ja Ekel, war greifbar. Als ich meine Ansprache hielt, stand ich einer reglosen Mitarbeiterschaft gegenüber, deren Führungskräfte fast ausschließlich aus dem Westen der Republik stammten. Nur einer, der Referatsleiter Verfassungsrecht, den ich aus meiner Tätigkeit als Verfassungsrichter kannte, wagte es, mir zu gratulieren. Er sollte es unter seiner antikommunistischen Abteilungsleiterin in der Folgezeit büßen.

Als Reaktion auf diese »Affäre« organisierten das Brandenburger Justizministerium und das »Forum Justizgeschichte« im Juni 2010 eine wissenschaftliche Tagung unter der Überschrift »DDR: Unrechtsstaat – oder was?«. Es referierten ausgewiesene Wissenschaftler wie Ingo Müller, Autor des bahnbrechenden Buches »Furchtbare Juristen«, und der Rechtssoziologe Hubert Rottleuthner. Ein Konferenzbericht titelte »Juristen kennen keinen Unrechtsstaat« (»Neues Deutschland«, berichtet hat auch »Potsdamer Neueste Nachrichten«). Die Protagonisten der Kampagne gegen mich zeigten aber an den dort gewonnenen Erkenntnissen kein Interesse.

Diese von der CDU geführte Kampagne war ein Gemisch aus eiskaltem Machtkalkül, ideologischer Voreingenommenheit, politischer Intrige, aus Unwissenheit, Halbwahrheiten und Verlogenheit. Die Verletzung von Persönlichkeitsrechten war ein für sie hinzunehmender Kollateralschaden.

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