Konsum gleicht Investflaute nicht aus

Schwächeres Wachstum in der EU, doch Unternehmen und Ökonomen werden zuversichtlicher

Es soll wieder mehr investiert und gebaut werden.
Es soll wieder mehr investiert und gebaut werden.

Seit dem Zoll-Deal des US-Präsidenten Donald Trump mit der europäischen Kommissionschefin Ursula von der Leyen herrscht hinter den Kulissen in Brüssel und Berlin Katerstimmung. Offiziell wird die Wirkung auf die europäische Wirtschaft jedoch heruntergespielt. Das Wachstum in Deutschland könne dadurch auf Jahressicht lediglich zwischen 0,13 und 0,3 Prozent verlieren, erwarten Konjunkturforscher. In Frankreich oder Italien, die weniger vom Export anhängig sind, werde das Minus noch geringer ausfallen.

Auf Dauer könnte der Abschied von den (Freihandels-)Regeln der Welthandelsorganisation, den die EU nun akzeptiert, aber folgenreicher werden. Der »regelbasierte Welthandel« habe maßgeblich zum Wohlstand in Europa beigetragen, heißt es beispielsweise aus dem Kieler Institut für Weltwirtschaft. Tatsächlich zeigt der Bruch mit diesen Prinzipien erste kritische Folgen. Katar, derzeit drittgrößter Flüssigerdgas-Lieferant der EU, hat mit einem Lieferstopp gedroht, sollte die EU bestimmte Klimaschutzauflagen aus der Lieferkettenrichtlinie nicht streichen.

Welche Bremsspuren Trumps Zollhammer und die geopolitischen Turbulenzen im Welthandel innerhalb der EU tatsächlich hinterlassen werden, bleibt abzuwarten. Erste kleinere Folgen zeigen sich bereits: Im Vergleich zum Vorquartal ist das saisonbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal im Euroraum nur noch um 0,1 Prozent und in der EU um 0,2 Prozent gestiegen. Dies geht aus einer vorläufigen Schnellschätzung hervor, die von Eurostat, dem Statistikamt der Europäischen Union, am Mittwoch veröffentlicht wurde. Im ersten Quartal war das BIP noch deutlich kräftiger gewachsen – im Euroraum um 0,6 Prozent und in der EU um 0,5 Prozent.

Unter den großen europäischen Volkswirtschaften bleibt Deutschland Schlusslicht.

Im Vergleich zum entsprechenden Quartal des Vorjahres ist das saisonbereinigte BIP im zweiten Quartal im Euroraum immerhin um 1,4 Prozent gestiegen. Zu dem vergleichsweise starken Wachstum haben Vorzieheffekte beigetragen: Angesichts der sich abzeichnenden Zollerhöhungen wurden die Exporte einiger EU-Länder in die Vereinigten Staaten vorgezogen.

Dabei gab und gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Staaten. Unter den großen europäischen Volkswirtschaften bleibt Deutschland jedoch Schlusslicht. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden meldete jetzt sogar ein kleines Minus. Die Wirtschaftsleistung ist im zweiten Quartal gegenüber dem ersten Quartal – preis-, saison- und kalenderbereinigt – um 0,1 Prozent gesunken. Auch die jüngsten Gewinneinbrüche mehrerer Großunternehmen geben einen Fingerzeig.

Auswirkungen des internationalen Zollkonflikts werden nun »sichtbarer«, warnen die Analysten der Landesbank NordLB. Der außenwirtschaftliche Gegenwind schwäche das Wachstum in der Eurozone, und auch von der Binnenkonjunktur kommen eher negative Signale. Zwar konnte die Industrieproduktion trotz des Zollkonflikts im Mai preis- und saisonbereinigt um 1,7 Prozent gegenüber dem Vormonat zulegen. Dabei ging aber der große Teil des Anstiegs auf Irland zurück. Die Ausfuhren aus dem Euroraum fielen im Mai saisonbereinigt erneut. Gleichzeitig bleibt die Binnennachfrage »ohne Schwung«, und die Produktion der Bauwirtschaft ist gesunken.

Für die Zukunft bedenklicher: Auch die Investitionen bleiben nach vorläufigen Erkenntnissen schwach. Dies zeichnet sich auch in einer geringen Kreditnachfrage ab. Nach Berechnungen der Berater von Barkow Consulting schneidet die Bundesrepublik auch hierbei im europäischen Vergleich schlechter ab. Die höheren Konsumausgaben konnten diese Schwäche bei den Investitionen nicht aufwiegen.

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Gerade mit Blick auf den privaten Konsum »als absehbaren Wachstumsmotor« sei daher wichtig, dass der positive Impuls im Inland nicht konterkariert werde, betont das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Dessen Forscher warnen: »Genau in die falsche Richtung führen Forderungen nach Abbau bei der sozialen Sicherung, bei Schutzstandards im Bereich von Arbeitszeiten oder Wünsche, auf spürbare Verbesserungen beim Mindestlohn zu verzichten.«

Trotz allem hat die konjunkturelle Zuversicht unter Ökonomen im Juli weiter zugenommen. Beispielsweise haben vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung befragte Finanzmarktexperten ihre Konjunkturerwartungen zum dritten Mal in Folge nach oben korrigiert. Allerdings ist das angesichts der gestiegenen Börsenkurse wenig verwunderlich.

»Die Einigung im Zollstreit zwischen der EU und den USA sorgt für mehr Planungssicherheit«, gibt sich auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung verhalten optimistisch. Parallel dazu bringen die wirtschaftspolitischen Signale aus Berlin – Stichwort »Wachstumsbooster« und Infrastrukturmilliarden – auch zunehmend eine Stimmungsaufhellung in der Privatwirtschaft mit sich. So verspricht das Bündnis »Made for Germany«, in dem sich mehrere Dutzend Großkonzerne zusammengeschlossen haben, zusätzliche Milliarden-Investitionen, weshalb Kanzler Friedrich Merz bereits von einem Stimmungswandel spricht. Umsonst soll das freilich nicht zu haben sein: Die Konzerne drängen zugleich auf zügige Reformen in ihrem Sinne.

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