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Gleimkiez vor dem Verkehrskollaps
Zahlreiche Bauvorhaben werden in Pankow für Verkehrsprobleme sorgen
Die sechswöchigen Ferien im Sommer werden gewöhnlicher Weise in Berlin dazu genutzt dringend notwendige Baumaßnahmen durchzuführen. Der Sinn dahinter: solange viele Bewohner der Hauptstadt ferne Welten bereisen, treffen die Einschränkungen nur jene Zurückgebliebenen, die sich den Urlaub jenseits der Stadtgrenzen nicht leisten können, oder sich als Touristen zufällig hierher verlaufen haben. Die anderthalb Monate reichen dabei nur selten aus, um die bröckelnden Fassaden der Hauptstadt notdürftig zu übertünchen, aber »besser als nüscht«, wie der Berliner zu sagen pflegt.
Im Prenzlauer Berg sind die Planungen für den Ersatzneubau der Schönhauser-Allee-Brücke so weit fortgeschritten, dass noch in diesem Jahr mit den Vorarbeiten begonnen werden kann. Nicht im Sommer, sondern eher im Herbst sollen dann Leitungsbrücken und eine Abfangkonstruktion für die U-Bahn errichtet werden. Des weiteren wird eine Straßenbahn-Kehranlage an der Kreuzung Schönhauser Allee Ecke Gleim- bzw. Stargarder Straße gebaut. Allein diese Arbeiten sollen sich laut dem Berliner Senat über zwei Jahre hinziehen. Die in vier Bauabschnitten unterteilte komplette Sanierung der 1891 erbauten Brücke ist bis 2032 geplant. Der U-Bahnverkehr soll derweil aufrecht erhalten bleiben, die Ringbahn nur kurzzeitig unterbrochen werden.
Das Problem für die benachbarten Kieze liegt im Detail: Um Platz zu schaffen für die Straßenbahn-Kehranlage wird die Kreuzung für den Autoverkehr komplett gesperrt. Die aus Mitte kommenden Tramlinien müssen die jeweilige Gleisanlage wechseln, was durch Gleise und Weichen unter der Viadukt-Durchfahrt zwischen Gleim- und Stargarder Straße geschehen wird. Die Einfahrt in die Kopenhagener Straße wird voraussichtlich ebenfalls gesperrt sein. Die Tramzüge aus Pankow nutzen die Schleife in der Kleingartenanlage Bornholm, von dort aus verbinden sie dann Busse über die Schivelbeiner Straße mit dem Verkehrsknotenpunkt Schönhauser Allee.
Was genau die Verkehrsplaner sich auch vorgestellt haben: diese Streckenführung endet in einer Katastrophe. Mit der Gleimstraße wird eine Verbindungsstraße zwischen den Bezirken Pankow und Mitte komplett aus dem Verkehr gezogen, während die Schivelbeiner Straße zusätzlich neben dem Umgehungsverkehr auch als Bus-Strecke herhalten muss. Darüber hinaus wurde der Elefant im Raum noch nicht einmal benannt: Der bereits begonnene Umbau des Friedrich-Ludwig-Jahnsportparks.
Dieses Bauvorhaben ist mindestens für die nächsten zwei Jahren eine große Belastung für die Nachbarschaft. Zusätzlich zu den Verkehrseinschränkungen wegen dem Neubau der Schönhauser-Allee-Brücke kommt der Baustellenverkehr für das gigantomanische Bauprojekt im Jahnsportpark hinzu. Im direkt anliegenden Falkplatz sind die derzeit laufenden Bauarbeiten bis mindestens ins kommenden Frühjahr geplant, weshalb sich nun bald unzählige Baustellen-Lkws, BVG-Busse, Anwohner-PKWs und die Transporter der Zulieferer im Schneckentempo durch das Skandinavische Viertel und den Gleimkiez schlängeln werden.
Der Bürgerverein aus dem Stadtteil verweist in einer Stellungnahme auf ein weiteres Problem der bisher geplanten Verkehrsführung. Wenn der Abriss und Neubau der westlichen Brücke stattfindet, wird die Cantianstraße zur Hauptverkehrstrasse. Lastkraftwagen und Busse gelangen dann nur noch über diesen Straßenzug ins Gleimviertel hinein. Sämtliche Liefer- und Entsorgungsfahrzeuge rattern dann über das altehrwürdige Kopfsteinpflaster. Dies gilt auch für die unzähligen Besucher sowie Busse der Mannschaften mit dem Ziel Max-Schmeling-Halle – denn der Veranstaltungsort wird während der unzähligen Baumaßnahmen weiterhin bespielt.
Besucher des Naherholungsgebietes Mauerpark und der daran angeschlossenen gastronomischen Ausflugsziele müssen ebenso mit Einschränkungen rechnen. Der lokale Bürgerverein frohlockt derweil schon, dass ein alter Traum in Erfüllung gehen könnte: Ein autofreies Viertel. Das größte Problem – auch für umweltbewusste Anwohner – liegt aber in der schweren Zugänglichkeit für die Fahrzeuge der Feuerwehr oder den Rettungssanitätern. Die verstopfte Zufahrtswege können dann auch Leben gefährden.
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