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»Rock Hard 1977«: Spiel mir das Lied vom Rocker-Leben
Die Runaways waren eine der ersten Frauenrockbands. Ihre Bassistin Jackie Fox hat nun ein Brettspiel über das Popgeschäft entwickelt: »Rock Hard 1977«
Mitte der Siebziger tauchten sie auf, in den Teenager-Blättern, wie aus dem Nichts und über Nacht. The Runaways aus Los Angeles, eine der ersten Frauenrockbands. Wir rieben uns die Augen in der Grundschule. Auf der einen Seite die fünf, die gar nicht aussahen wie eine Band. Viel jünger! Auf der anderen Seite riesige Poster, die verstörten und verblüfften. Überlebensgroß: »Diese 5 Tanten machen Europa verrückt«, titelte die »Bravo« 1976. Anstarren konnte man sie, weil man ja auf Postern auch The Sweet oder Mick Jagger anstarren konnte. Hier halt mit einem anderen Dreh.
Gescheiterte oder nicht mehr gefragte Ex-Rockstars vermieten Oldtimer oder Equipment oder bewerben sich auf Kulturstellen. Oder sie bleiben Grenzüberschreiter und gehen musikalisch weiter, machen konstant Platten. Jacqueline Fuchs entschied sich für einen anderen Weg, sogar für mehr als einen. Bei den Runaways hieß sie Jackie Fox und spielte von 1976 bis 1979 Bass. Danach schrieb sie sich an der Harvard Law School ein. In Seminaren hockte sie neben einem, der später US-Präsident wurde. »Ein Kommilitone meinte mal«, so die Juristin, »wie prätentiös das Gerede mancher Studenten ist, das ließe sich am ›Obamanometer‹ ablesen.« Denn der wusste »eigentlich alles besser – auch besser als die Dozenten.« In ihrem ganzen Leben ist ihr nur eine weitere Person begegnet, die wie Obama entschlossen war, sich eine überlebensgroße Persönlichkeit zu geben: Joan Jett, die als Sängerin und Gitarristin die Runaways mitbegründet hatte.
Um ihre Jugend zu verarbeiten, hat Fuchs nun ein Brettspiel vorgestellt: »Rock Hard 1977«. Es sei inspiriert von ihrer Zeit bei den Runaways, heißt es. Als die Band 1975 knapp vor Punk begann, wurde sie auf den ersten Flyern als »Heavy Metal Schoolgirls« angekündigt. Sie transportierten bereits die Energie und das Tempo des Kommenden und tourten mit den Ramones, The Cramps und Blondie, aber auch mit Van Halen und Tom Petty. Sie waren ein großer Kracher, Teenagerinnen mit krudem Sound. Sie trafen auf Sexismus, wollten aber unabhängig und selbstbewusst sein. Schließlich zerstritten sie sich über die Frage: Sollte ihre Musik eher Punk oder Metal sein? Das alles schlägt sich nieder in dem Spiel »Rock Hard 1977«, dazu gibt es Karten, Aufgaben und Zwischenprüfungen.
Bei den Runaways war Jackie Fox die dritte Bassistin im ersten Jahr. Eigentlich war sie Gitarristin – und Surferin, eine der wenigen Frauen auf dem Brett an den Stränden des Pazifiks, auch mit einem feministischen Bewusstsein dafür. Bei den Runaways wurde eine zweite Gitarristin gesucht, weil Joan Jett sich nicht für Griffbrettakrobatik interessierte. Als Fuchs dann zum Vorspieltermin ging, war der Job an der zweiten Gitarre bereits vergeben – an Lita Ford. Außerdem hatten die Runaways eine Texterin, die mit der Band nie auftrat, und eine Bassistin, die gerade ihre Sachen einpackte – und später bei den Bangles einstieg. So wurde dann Fuchs Bassistin und nebenbei zu Jackie Fox. Mit 15 war sie die Jüngste in der Band, in der alle unter 18 waren.
Die Runaways hatten keinen richtigen Proberaum, kaum Songs, aber bereits eine Art Manager: Kim Fowley, mehr berüchtigt als berühmt. Aufgrund seiner Bizarro-Vorlieben und seines Mitwirkens an oder Verwurstens von ein paar Hits umwehte ihn der Ruf einer Legende. Die Drummerin Sandy West war die beste Musikerin. Doch auf die Moves und auf den ultracoolen Look verstand sich Joan Jett, die schwarzen Haare, markant ins Antlitz gefächert und kunstvoll verstrubbelt.
»Rock Hard 1977« mit seinen umfangreichen Spielregeln profitiert von Fuchs’ Insiderwissen und Abgeklärtheit. Es wird über neun Runden gespielt, April bis Dezember, dazwischen ist Winterpause. In jeder Runde sind mehrere Aufgaben zu beackern, Dollars auszugeben oder einzunehmen – nachmittags in Studios, abends auf Bühnen und nachts in Zusammenhängen, die alles andere ausmachen: Backstage, Partys und Peinliches. Fuchs hat das komplexe Brettspiel im Covid-Lockdown entwickelt, die Grafik hat Mona Shafer Edwards gestaltet, sie ist ihrerseits berühmt als Gerichtszeichnerin – bei Prozessen porträtierte sie unter anderem OJ Simpson, Rodney King und Courtney Love.
Die Spielfiguren sind paritätisch aufgeteilt: divers und weiblich/männlich im Verhältnis 2:4:4. Im Sinne des Minderheitenschutzes werden auch Keyboarder bedacht. Ansonsten folgt der Rahmen den Konventionen von Rock seit 1961: Vocals/Guitar/Guitar/Bass/Drums. Die Figuren unterscheiden sich durch individuelle Zuschreibungen – für den »Showman«, der auch auf ein Feld darf, wenn dort schon jemand spielt, sind sie anders nuanciert als für »Romantic« oder »High-Roller« mit wiederum eigenen Charakterzügen und Schwächen.
So wie in echt ist vieles schlimmer als das Klischee – und auch deshalb zum Schreien. So wie in der Musik geht es nicht darum, wer gewinnt, sondern wer am lautesten lacht am Ende des Tages – oder besser: am Ende der Nacht – und wer die schrägsten Anekdoten und peinlichsten Fehltritte verbucht. So wie das Leben ein Glücksspiel ist, mit viel Geschummel und Betrug.
Im Spiel wird das meiste mit Karten geregelt, die man ziehen muss – und auch mit Dollars, die man erhält oder draufzahlt, und mit anderen Kniffs wie »Candy« (zu lesen als Zucker oder Koks oder Dope). Die beigelegten Dollar-Noten haben es in sich: Spielgeld, das voll echt aussieht.
Wie im Spiel entwickelte sich bei den Runaways alles sehr schnell, von zäh zu rasend. Fowleys Buchführung ließe sich als »eher zu kreativ« bezeichnen. Den Musikerinnen gegenüber beteuerte er, sie zu betreuen, zu begleiten, notfalls zu Abtreibungen. In Wahrheit hätten sie sich auf den Touren wirklich wie »Runaways« (Ausreißerinnen) gefühlt, sagte Fuchs später, niemand kümmerte sich um sie. Von Kim Fowley wurde Fuchs vergewaltigt, wie sie nach dessen Tod 2015 erzählte. Und über die Runaways-Sängerin Cherie Currie sagt Fowley einem Journalisten: »Cherie Curries Ego zu managen ist, wie wenn dir ein Hund ins Gesicht uriniert. Für die Band wäre es jetzt das Beste, wenn Cherie sich an der Duschvorhangstange erhängt und einreiht in die Tradition von Marilyn Monroe und Patty Hearst.«
Weggetreten und wie ausgewrungen wirkend war Currie das auffälligste Opfer, das auf der Strecke blieb. Auf der Strecke zwischen Hollywood und CBGB’s in Manhattan. Mehr als 50 Auftritte, dann weiter in Übersee, noch mal um die 50 Gigs, Fernsehen, Fotoshoots, Saufen, Candy. Kollaps in Japan. Nervenzusammenbruch, auch Endstation für Jackie Fox. Sie hört auf. Kurz danach auch das Aus für Currie, sie ist bankrott und versinkt in Depression. Fox, als Overachiever verflucht oder gesegnet, hatte schon damals in Musikmagazinen auf den Sexismus in der Branche hingewiesen. Sie studierte dann Jura. Als sie damit fertig war, konnte sie Verträge im Showbusiness und in Hollywood aushandeln.
Als sich die Runaways gründeten, gab es Hunderte Bands, von denen viele Rock und Pop bis heute prägen, die teilweise immer noch auf Tour gehen. Das waren und sind praktisch ausnahmslos Männer. Denn 1975 ließen sich Bands mit Musikerinnen am Finger an einer Hand abzählen. Und zwar weltweit.
»Rock Hard 1977« ist ein Strategiespiel, in dem Arbeiter wie Roadies und Manager die Dynamik verändern. Mit Hunderten Karten und entscheidenden Fragen ist das sehr unterhaltsam. Und es ist schwer zu kriegen, am besten direkt aus den USA oder als Import via Spanien. Die Themen und das Design sind durchdacht, in liebevoller Handarbeit entstanden. Es ist cool wie eine Flickenjeans von 1977, jeder Stich sitzt. Wem danach noch die Ohren pfeifen, vor lauter Action und Überraschungen, kann sich auf Youtube Videos von Jackie Fox anschauen und staunen, wie souverän sie mit ihren Katastrophen und Krisen umging und daran wuchs.
»Rock Hard 1977«, Strohmann Games, 50,00 €.
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