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80 Jahre Hiroshima: Überlebende als Forschungsobjekte
Nach den Atombombenabwürfen untersuchten US-Wissenschaftler die Folgen radioaktiver Strahlung an den Überlebenden
Harry S. Truman befand sich Ende Juli 1945 in Potsdam. Dort verhandelte der US-Präsident, der nach dem Tod seines Amtsvorgängers Franklin Delano Roosevelt erst drei Monate im Amt war, mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Josef Stalin und dem britischen Premierminister Winston Churchill über die Nachkriegsordnung in Europa. Die sogenannte Dreimächtekonferenz endete am 2. August mit dem Abschluss des Potsdamer Abkommens, das Einflusssphären der Siegermächte festlegte. In Washington fand man, dass die der Sowjetunion zu groß werden könnten.
Hier bedurfte es einer Machtdemonstration. Und für die war die US-Administration offenbar bereit, zehntausende Menschen auf einem anderen Schauplatz des Zweiten Weltkriegs zu opfern: in Japan, dessen faschistisches Regime noch immer nicht kapituliert hatte. Am 17. Juli hatte Truman erfahren, dass der US-Atombombentest in der Wüste von Nevada erfolgreich verlaufen war. Am 25. Juli gab er von Potsdam aus den Befehl, zwei dieser extrem zerstörerischen Waffen gegen Japan einzusetzen. Wo genau, wurde anhand kurzfristiger Erwägungen zu geografischer Lage und Wetter festgelegt.
Der Einsatz war militärisch nicht notwendig und zugleich ein Kriegsverbrechen, das gegen schon damals uralte internationale Konventionen zum Schutz der Zivilbevölkerung in Konflikten verstieß. Und er war ein Experiment, für das Hunderttausende Tote in Kauf genommen wurden.
Ein wesentliches Ziel war es, ein Signal der Abschreckung an Moskau zu senden. Truman notierte später in seinem Tagebuch, er habe am 24. Juli dem sowjetischen Staatschef gegenüber »beiläufig« erwähnt, dass die USA eine »neue Waffe von ungeheuerlicher Zerstörungskraft hätten«. Stalin gab sich unbeeindruckt. Laut Truman sagte er, er freue sich, das zu hören, und hoffe, die USA würden »guten Gebrauch davon gegen die Japaner machen«. Es gibt bis heute keine Hinweise, dass sich Stalin gegen den Einsatz aussprach. Und auch Churchill beschönigte die Verbrechen später als einen Game-Changer, der die schnellere Beendigung des Zweiten Weltkriegs ermöglicht habe.
Was bis heute selten thematisiert wird: Die USA schickten ab September 1946 Wissenschaftler aus Militär und Medizin nach Japan, die die gesundheitlichen Folgen des Atombombeneinsatzes erforschen sollten. Zuvor war auf Anordnung von Truman die Atomic Bomb Casualty Commission (ABCC) gegründet worden, die die Spätfolgen des Einsatzes ionisierender Strahlen untersuchen sollte. Ziel war es eigentlich zu beweisen, dass es die gar nicht gebe.
Die US-Experten konnten sich bereits auf Untersuchungsergebnisse japanischer Kollegen stützen. Die ABCC arbeitete fast 30 Jahre in Japan. Insgesamt 120 000 Menschen wurden untersucht und über lange Zeit beobachtet. Sie erhielten von den US-Wissenschaftlern dabei keinerlei medizinische Behandlung. Ihnen wurde nicht erklärt, was mit ihnen geschah. Sie mussten teils während der Arbeitszeit zu Terminen kommen und wurden nicht einmal für Verdienstausfälle entschädigt. Überlebendenverbände kritisierten, sie seien als »Versuchskaninchen« missbraucht worden. Generell hat bislang niemand eine Entschädigung von den USA erhalten, die ihre Schuld niemals eingestanden haben.
Die ABCC torpedierte zugleich lange die Untersuchungen japanischer Forscher zu Leukämieerkrankungen, Fehlgeburten und Missbildungen bei Neugeborenen über Generationen hinweg infolge der Atombombenabwürfe. Die Erkenntnisse sind trotzdem längst da. Auf Kosten der Opfer.
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