Generaldebatte im Bundestag: Merz appelliert an Unions-Abweichler

Der Kanzler lobt eigene Politik, bittet um Geduld und verteidigt Rekordverschuldung

Ressortchef Wadephul kritisierte die Etatkürzungen beim Auswärtigen Amt deutlich.
Ressortchef Wadephul kritisierte die Etatkürzungen beim Auswärtigen Amt deutlich.

Eines lässt sich nicht bestreiten: In den nur sieben Monaten seit ihrem Amtsantritt dürfte die schwarz-rote Bundesregierung unter Friedrich Merz einen Rekord an vorgelegten und bereits verabschiedeten neuen Gesetzen aufgestellt haben. Und auch, dass sich die Koalition anschickt, kurz nach dem Bundeshaushalt 2025 auch den für 2026 noch bis zum Jahresende zu verabschieden, kann sie sich als Leistung zurechnen.

Folgerichtig wurden Kanzler und Abgeordnete der Regierungsparteien am Mittwoch in der Generaldebatte der abschließenden Haushaltswoche nicht müde, ihre Verdienste zu preisen. Das scheint vor allem nötig, da eine Mehrheit für das aktuelle Rentenpaket der Koalition wackelt, weil 18 jüngere Abgeordnete von CDU und CSU ihm ihre Zustimmung versagen wollen.

Dass die Unternehmerverbände glauben, insbesondere beim Thema Rentenpolitik den Regierenden weiter Vorgaben machen zu können, zeigte sich am Dienstagnachmittag auf dem sogenannten Arbeitgebertag, auf dem Kanzler Friedrich Merz (CDU) die »Haltelinie« beim Niveau der gesetzlichen Rente gegen die Damen und Herren aus den Chefetagen der Unternehmen wie auch gegen die dort hofierten »jungen Wilden« in der eigenen Partei verteidigen musste.

Mit Blick auf das reguläre Renteneintrittsalter, das die Unternehmer, aber auch Wirtschaftsministerin Katherina Reiche weiter erhöhen wollen, verwies Merz derweil am Mittwoch im Bundestag auf die »Aktivrente«, die auch Teil des umstrittenen Pakets ist. Damit soll Erwerbstätigkeit im Alter weitgehend steuerfrei gestellt und damit attraktiver werden: »Wir wollen und müssen in diesem Land länger arbeiten, und wir gehen dafür zunächst den Weg der Freiwilligkeit.«

Merz stellte weitere »Leistungen« seiner Regierung heraus und verwies darauf, dass man das »Bürgergeld in eine neue Grundsicherung« überführe, sowie darauf, dass ukrainische Geflüchtete künftig nur noch Bezüge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten und nicht wie bisher das Bürgergeld. Damit beseitige die Regierung »bestehende und gefühlte Ungerechtigkeiten«.

Außerdem habe man sich »in hohem Tempo der Gerechtigkeits- und Sicherheitsprobleme angenommen, die die ungesteuerte Migration hervorgerufen hat«, sagte der Regierungschef. Man habe Grenzkontrollen verlängert, den Familiennachzug für subsidiär schutzberechtigte Kriegsflüchtlinge ausgesetzt, schiebe mehr ab. Zudem arbeite man an der besseren Sicherung der EU-Außengrenzen.

Aber, so Merz: »Wir wissen auch, dass die Reformerwartungen zum Teil größer sind, als wir sie im Moment erfüllen können.« Etliche Maßnahmen wirkten mit Zeitverzug. Daher bitte er die Bevölkerung um Geduld.

Linke-Fraktionschef Sören Pellmann warf der Regierung eine »massive Umverteilung von unten nach oben« vor. Für die Rüstungsindustrie brächen »goldene Zeiten« an, während bei den Sozialausgaben gespart werde.

Der Linken wurde aus den Reihen der Regierungskoalition dagegen vorgeworfen, sich nicht für die »Sicherheit unseres Landes« zu interessieren. Viel wurde über die Ukraine-Politik gesprochen, und neben den Vertretern von Union und SPD forderten auch die Grünen erneut mehr militärische Unterstützung bis hin zur Lieferung weitreichender Taurus-Marschflugkörper. Auch darin, dass russisches Staatsvermögen in der EU eingefroren und der Ukraine zur Verfügung gestellt werden müsse, waren sich die Grünen mit Union und SPD einig.

»Ein Bundeshaushalt, der 180 Milliarden neue Schulden macht, muss auch berücksichtigen, dass im humanitären Bereich größte Aufgaben für uns warten.«

Johann Wadephul Bundesaußenminister

Der Kanzler erklärte mit Blick auf den umstrittenen Ukraine-Friedensplan Trumps, dass die USA und Russland nicht über die Köpfe der Europäer hinweg Vereinbarungen über die Ukraine treffen dürften: »Europa ist kein Spielball, sondern souveräner Akteur für seine eigenen Interessen und Werte.«

Beschlossen wurden am Mittwoch die Einzelpläne 05 und 14, also die Budgets für das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium. Während das Außenministerium erneut Mittelkürzungen insbesondere bei der humanitären Hilfe – Linke und Grüne verwiesen auf Reduzierungen um 50 Prozent seit 2024 – hinzunehmen hat, wächst der Wehretat auf den höchsten Stand seit 1990. 82,69 Milliarden Euro für die Bundeswehr kommen aus dem Kernhaushalt und 25,51 Milliarden aus dem Sondervermögen Bundeswehr.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) rechtfertigte die Ausgaben und die rasante Neuverschuldung dafür einmal mehr mit der »veränderten Bedrohungslage«. Er gab das »klare Ziel« aus, dass die Nato »europäisch werden« müsse, »damit sie transatlantisch bleiben kann«.

Bundesaußenminister Johann Wadephul kritisierte die geplanten Kürzungen im Budget seines Hauses für humanitäre Hilfe ungewöhnlich deutlich als politisch kurzsichtig. Dass die entsprechenden Mittel im kommenden Jahr um rund eine Milliarde Euro reduziert werden, halte er »für einen beklagenswerten Zustand«, sagte der CDU-Politiker. »Ein Bundeshaushalt, der 180 Milliarden neue Schulden macht, muss auch berücksichtigen, dass im humanitären Bereich größte Aufgaben auf uns warten«, betonte der Außenamtschef. Es gehe »um die Verhinderung von Fluchtursachen, die Wahrnehmung auch wirtschaftlicher Interessen«. Gleichwohl bleibe Deutschland trotz der Kürzungen »einer der größten humanitären Geber« weltweit, so Wadephul.

Der haushaltspolitische Sprecher der Linksfraktion, Dietmar Bartsch, argumentierte gegen den Wehretat vor allem fiskalisch. Er verwies darauf, dass andere Staaten wie Großbritannien und Frankreich Aufrüstung mit weitaus geringeren Budgets betrieben. Die deutsche »Whatever-it-takes-Aufrüstung« werde zu einem »Fass ohne Boden«, was auch der Bundesrechnungshof moniert habe.

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