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  • »Der Einfluss der Fasane«

Antje Rávik Strubel: Wenn das Besteck entgleitet

Empörungskultur und Machtverhältnisse in der Kulturszene, genüsslich seziert: »Der Einfluss der Fasane« von Antje Rávik Strubel

  • Gabriele Summen
  • Lesedauer: 4 Min.
Fasane gelten als Glücksbringer. Hier aber sind zwei männliche Wesen im Streit miteinander um ihr Revier. Irgendwie menschlich.
Fasane gelten als Glücksbringer. Hier aber sind zwei männliche Wesen im Streit miteinander um ihr Revier. Irgendwie menschlich.

Diese prächtigen Tiere gelten gemeinhin als Glückssymbol: Fasane. In Antje Rávik Strubels Gesellschaftssatire »Der Einfluss der Fasane« flattern sie zwar hier und da geheimnisvoll emblematisch durchs Unterholz, bringen jedoch ihrer Beobachterin insgesamt wenig Glück.

Der unaufhaltsame Sturzflug der Feuilleton-Chefin Hella Karl beginnt mit einer Meldung in der Zeitung, für die sie arbeitet: »Im fernen Australien nimmt sich der Ehemann einer berühmten deutschen Opernsängerin vor der herrlichen Kulisse der Sydney Opera das Leben.« Unglücklicherweise hatte die Berliner Journalistin erst vor Kurzem öffentlich gemacht, dass der für seine Übergriffigkeit bekannte Theaterintendant, der nun so dramatisch aus dem Leben geschieden ist, eine Schauspielerin zur Abtreibung gedrängt hatte. Recht zügig gibt die Öffentlichkeit Hella die Schuld am Selbstmord des Intendanten Kai Hochwerth. In den sozialen Medien wird zum Boykott der »Abendpost« aufgerufen.

Auch Hella selbst, die diesem Theaterfürsten, der die Presse verachtete, insgeheim manches Mal den Tod gewünscht hatte, kann sich von Schuldgefühlen nicht ganz frei machen. Und dann reagiert die Journalistin, die es eigentlich besser wissen müsste, in einem rasch anberaumten TV-Interview sehr ungeschickt: Auf den Vorwurf, dass sie die Erste gewesen sei, die die belastende Schlagzeile über Hochwerth formuliert habe, antwortet Hella, dass sie »das beste Beispiel« dafür sei, »wovor ich in den letzten Monaten in meinen Artikeln immer wieder gewarnt habe«, nämlich für »eine kopflose Presse.« Danach wird sie von ihrer Zeitung zwangsbeurlaubt.

Hella kommt aus einfachen Verhältnissen, hat sich mühsam hochgearbeitet und suchte dies stets zu verbergen. Ihre Ängste, sozial bloßgestellt zu werden, durchziehen diesen vielschichtigen, zuweilen aber auch ein wenig unentschlossen wirkenden Roman. Hella redet stets in der dritten Person von sich, als wollte sie um jeden Preis Distanz wahren. Da sind ihre »überschaubaren Englischkenntnisse oder ihre Wortverdrehungen in Redewendungen«, die sie zu überspielen sucht: »Im Moment der Krise entgleitet ihr das Besteck, das sie sich angeeignet hat. Anders als ihrem Umfeld.«

Dies ist eine interessante Parallele zu dem vulgären Despoten Hochwerth, der ebenfalls aus der Unterschicht stammt. Er provoziert bewusst derb eine Frau auf der Premierenfeier: »Sie sehen aus, als wären Sie mit einer schönen Fotze gesegnet.« Nicht von ungefähr weckt diese Figur Erinnerungen an ehemalige Intendant*innen der Volksbühne, der Berliner Festspiele oder des Maxim-Gorki-Theaters, denen ebenfalls Machtmissbrauch und toxisches Verhalten vorgeworfen wurde.

Wie es aber in unserem medialen Empörungszirkus Tag für Tag so läuft, geht es nicht um den sexistischen Intendanten Hochwerth und seine weiblichen Opfer, sondern von Anfang an darum, Hella Karl gesellschaftlich kaltzustellen. Bei ihren Kollegen, mit denen sie sich gern in dem bei Medienleuten beliebten Nobel-Restaurant »Borchardt« trifft, verliert sie zunehmend an Rückhalt. Zudem geht Hellas kinderlos gebliebene Beziehung mit einem attraktiven Architekten, mit dem sie am Potsdamer Wannseeufer wohnt, den Bach herunter.

Das unterkühlte Verhältnis zwischen Hella und ihrem Gatten, den sie immer nur T. nennt, weil sie sich dann selbst »ein bisschen geheimnisvoll« findet, böte genug Stoff für einen eigenen Roman. Das wohlsituierte Paar benutzt einander, weil sie es nicht besser wissen. T. steht Hella bei der Rufmordkampagne kaum bei, und die egozentrische Hella bekommt nicht mit, dass ihr Mann, der an der brisanten Restaurierung der Potsdamer Garnisonkirche arbeitet, sich in einer Sinnkrise befindet.

Doch auch auf diese seltsam distanziert wirkende Beziehung wird in dem nur 240 Seiten starken Roman lediglich ein Schlaglicht geworfen, sodass man immer wieder ein wenig enttäuscht ist, dass dieses und andere Motive nicht tiefer ausgeleuchtet werden. Welche Geschichte will Strubel, die mit dem sprachgewaltigen #MeToo-Roman »Die blaue Frau« 2021 den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, eigentlich erzählen? Geht es um Machtmissbrauch in der Kulturszene? Die Probleme der Zeitungsbranche, die um Klickzahlen kämpfen muss? Um die Rufmordkampagne an einer Journalistin? Oder doch im Kern eher um Klassismus und Eitelkeiten in der Kulturbranche?

Und die männlichen Fasane? So viel ist sicher: Sie stehen in diesen aufgeregten Zeiten wie aufgescheuchte Hühner zu guter Letzt verhängnisvoll im Weg herum.

Antje Rávik Strubel: Der Einfluss der Fasane. S. Fischer, 240 S. geb., 24 €.

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