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»Milch ins Feuer«: Unverfälschter Blick auf junges Landleben
In ihrem Debütfilm »Milch ins Feuer« blickt Regisseurin Justine Bauer auf das Leben junger Bäuerinnen
Ihr Debütfilm »Milch ins Feuer« erzählt von jungen Frauen und ihrem Leben als Bäuerinnen. Das Werk ist zwar nicht autobiografisch, aber Sie sind selbst auf einem Hof, einer Straußenfarm, aufgewachsen. Welche Erfahrungen davon konnten Sie einbringen?
Auf jeden Fall den Umgang mit den Tieren. Meine Eltern waren Mitte der 90er die Ersten, die so einen neuen Trend für Straußenfleisch für sich entdeckt hatten. Wir hatten Fleischrinder, die nicht so zeitintensiv wie Milchvieh sind. Aber wir als Geschwister mussten wegen Gewitter in Alarmbereitschaft sein und oft mal helfen, wenn die Kühe nachts oder vor der Schule ausgebrochen sind. Ich habe auch gelernt, wie wichtig Familie ist. Das war auch bei diesem Film so.
Inwiefern?
Wir hatten nur 30 000 Euro zur Verfügung. Also hat sich mein Vater zwei Wochen freigenommen, damit er die Landmaschinen verwalten kann. Meine Mutter hat das Catering gemacht und war Setrunnerin. Mein Bruder hat sich um den Hänger gekümmert, meine Schwester war Tiertrainerin und hat einen Stunt in einer Regentonne gemacht. Und mein Mann, der den Film produziert hat, war mit mir für das Casting und unter anderem den Schnitt verantwortlich. Die Familie der Darstellerinnen war genauso engagiert.
Justine Bauer wurde 1990 in Crailsheim geboren. Sie studierte Spielfilmregie und Drehbuch an der Kunsthochschule für Medien Köln, davor studierte sie Kunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. »Milch ins Feuer« ist ihr Abschlussfilm und gewann 2024 den Förderpreis Neues Deutsches Kino auf dem Filmfest München.
Im Film geht es recht pragmatisch zu. Man merkt gleich, was Sache ist. Katinka (Karolin Nothacker) denkt nicht darüber nach, einen Mann zu heiraten, um den Hof zu retten, und ihre Freundin Anna (Pauline Bullinger), die schwanger ist, reflektiert über Kastration. Wie haben Sie – auch bildlich – den Spagat zwischen »Landleben-Romantik«, harter Arbeit und Coming of Age gefunden?
Wir haben erst nur reale Szenen in dieser wunderschönen Landschaft gedreht, und dann haben wir durch das 4:3-Format versucht, dass man mehr bei den Figuren ist. Es war einfach nicht mein Ziel, zu erzählen, dass auf dem Land alles wunderbar und schön ist. So ist es nicht. Mir ging es vielmehr um die Geschichte der jungen Frauen. Es gibt in Filmen über das Land oft nur zwei Seiten: Grausamkeit und Schönheit. Ich wollte nicht, dass es diesen einen Patriarchen gibt und dass man diese starke, nervige Männerfigur hat, die alles vorschreibt und viel Druck macht. Und alle sind wunderbar religiös.
Also haben Sie fast alle Männer gestrichen …
… und mit den Genderrollen gespielt! Bei einem Filmfestival für Jugendliche hat das ein Junge gleich verstanden, als er nach den Männerrollen gefragt wurde. Ihm war aufgefallen, dass es nicht so viele Männer gab, und davon war einer ein bisschen dumm, der zweite hat sich umgebracht, und der dritte war nackt. Wenn es andersherum gewesen wäre, hätte niemand nach den Frauen gefragt.
Was sagt das über unsere Gesellschaft aus, dass wir darüber reden, dass die Frauen im Vordergrund stehen?
Das ist der Punkt, dass es immer so eine Überraschung ist, diese normalen Frauen im Film zu sehen! Ich wollte nicht, dass man sie sexualisiert, obwohl sie fast die ganze Zeit Badeanzüge anhaben. Oft kommt dann die Frage nach dem Dokumentarischen, wenn es kein Make-up gibt und wenn sie so natürlich wirken und sich in ihrem Körper so selbstverständlich fühlen. Ich habe das Gefühl, dass die Entwicklung nach fünf Jahren voller Hoffnung durch den ganzen Rechtsruck wieder zurückgeht. Es herrscht immer noch das von Männern geschriebene Narrativ vor, das den Frauen dann auferlegt, schwächer zu sein als Männer. Das ist ein Märchen. Die »schwache Frau« gibt es nicht.
Sie haben mit Laiendarstellerinnen, die selbst Bäuerinnen sind, gearbeitet. Wie sind Sie da vorgegangen? Selbst Ihre Oma hat eine Rolle übernommen …
Wir haben vor dem Dreh ein bisschen geprobt, damit sie und die anderen Darstellenden sich kennenlernen, aber dann haben wir jeden Take mitgenommen. Sie hatten kein Drehbuch, weil ich nicht wollte, dass sie den Text auf Hochdeutsch einlernen, sondern dass sie ihr eigenes unverstelltes Hohenlohisch verwenden. Ich habe Pauline, Karolin und ihren Schwestern immer vor der Szene gesagt, was passiert, wie die Stimmung ist und was sie ungefähr sagen. Wir haben bei den Frauen auf dem Hof ein bisschen was gedreht, bei mir zu Hause, bei meiner Tante im Melkstand und bei meiner Oma im Gewächshaus, die auch noch nie gespielt hat. Das ging richtig gut mit Karolin und meiner Oma. Irgendwie hat die Sprache alle miteinander verbunden.
Warum haben Sie sich für Mundart entschieden?
Wir sprechen alle Hohenlohisch, weil wir aus der Gegend kommen. Nur Johanna spricht ihren Mutterdialekt Alemannisch. Ich wollte nicht, dass sie einen anderen Dialekt lernt. Gleichzeitig passt das auch zur Geschichte, weil die Mütter immer durch die Heirat mit einem anderen Bauern wegziehen, und dann die Kinder nicht die Sprache der Mutter sprechen. Aber vielen fällt das gar nicht auf.
Johanna Wokalek hat die Rolle der Mutter übernommen. Wie gut hat sie sich beim Dreh eingefügt?
Johanna ist eine großartige Schauspielerin. Sie war natürlich total professionell. Mein Vater hat ihr vorher Traktorfahren beigebracht, das Melken musste sie auch lernen. Sie wollte auf keinen Fall herausstechen und hat beim Melken einfach durchgezogen. Das ist vielleicht so ein klassisches Land-Ding, dass nicht so viel miteinander gesprochen wird und man sich mehr auf die Arbeit konzentriert. Man kann sich nicht vorstellen, wie schnell es geht, bis 150 Kühe gemolken sind. Und dann braucht man noch einen Take und noch einen Take – und dann ist’s vorbei, weil keine Kuh mehr da ist, die man melken kann.
Der Film thematisiert auch das Höfesterben. Als Zeichen dafür werden grüne Kreuze aufgestellt. »Milch ins Feuer« als Titel ist ein weiteres starkes Bild!
Das ist eine Fiktion, aber es gab schon Bauern, die Heuballen angezündet und dann mit Milch gelöscht haben. Es gibt an Flüssigkeit eigentlich nur Scheiße und Milch. Ich glaube, niemand würde das Feuer mit Mist löschen. Es ist auch so ein naheliegender Protest, dass man eben dieses Lebensmittel nutzt, das nicht so viel wert ist. In Spanien oder in der Türkei schütten sie Tomaten auf die Straße, und hier ist es die Milch, die brennt.
»Milch ins Feuer«, Deutschland 2024. Regie und Drehbuch: Justine Bauer. Mit: Johanna Wokalek, Pauline Bullinger, Anne Nothacker, Sara Nothacker, Lore Bauer. 79 Min. Kinostart: 7. August.
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