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»Die Gebäude und Infrastruktur sind nicht klimakrisenkompatibel«
Die Überschwemmungen in der spanischen Provinz Valencia kosteten 227 Menschen das Leben. Der Geologe Jorge Olcina über die Lehren aus der Flut
Herr Olcina, beim Hochwasserschutz gibt es zwei Lager: Befürworter technischer Infrastruktur wie Dämme – und die, die auf Renaturierung setzen. Was empfehlen Sie?
Am effektivsten ist eine kluge Kombination. In der Region Valencia werden wir neue Kanäle verlegen, bestehende umleiten und gleichzeitig naturbasierte Lösungen einsetzen. Das sind zum Beispiel überschwemmungsfähige Parks, unversiegelte Flächen, Grünflächen – auch dort, wo heute noch Gebäude stehen. Entscheidend ist, immer das Ziel im Blick zu behalten: den Schutz von Menschenleben.
Valencia ist dicht besiedelt und ein wichtiger Infrastrukturknoten. Wie kann man da überhaupt neu denken?
Ein Wiederaufbau dieser Größenordnung braucht Koordination auf allen Ebenen – national, regional, lokal. Besonders die Pläne der Kommunen müssen überprüft werden, dort hat die dichte Bebauung entscheidend dazu beigetragen, dass die Fluten so verheerende Folgen hatten. Wir müssen auch über die partielle Umleitung oder Kanalisierung von Flüssen nachdenken. Über allem aber sollte die Leitfrage stehen: Welche Nutzung des Landes macht unter den Bedingungen der Klimakrise überhaupt noch Sinn?
Jorge Olcina Cantos, geboren 1966, ist Geografie-Professor an der Universität Alicante. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Klimaentwicklung, Wasserwirtschaft und Risikoadaption. Er ist Teil der UN-Expertenkommission für den Klimawandel und Berater der europäischen Verifizierungsplattform EuroClimateCheck. Die spanische Regierung hat ihn in die 100-köpfige Expertenkommission für den Wiederaufbau der Region Valencia berufen.
Ein großes Problem: Viele Gebäude stehen dort, wo Wasser sich Bahn bricht. Wie konnte das passieren?
In Spanien wurde seit den 1960er Jahren viel auf ehemaligem Flussland gebaut. Da in der Mittelmeerregion viele Flussbetten oft monatelang kein Wasser führen, hat man sogar direkt in oder ganz dicht an den Flussbetten gebaut. Das geschah zunächst aus Unwissenheit, später dann aus Profitgier. Während des Baubooms der 1990er Jahre haben die Genehmigungsverfahren und Grundstücksverkäufe viel Geld in die Kassen der Kommunen gespült. Da guckte man gern mal weg. Erst seit 2015 müssen überschwemmungsgefährdete Gebiete ausgewiesen werden. Aber das hilft nicht bei den Tausenden Gebäuden, die vorher errichtet wurden.
Was bedeutet das für diese Gebäude? Müssen die jetzt abgerissen werden?
Zum Teil wird man das nicht vermeiden können. Zumindest in Hochrisikogebieten mit Lebensgefahr muss mittelfristig über Umsiedlungen nachgedacht werden. Anderswo kann man vielleicht schützende Infrastruktur errichten, Dämme, Umleitungen oder ähnliches. Denn natürlich zieht niemand gerne aus dem eigenen Haus. Dennoch wird es in manchen Fällen unvermeidlich sein, um Leben zu retten.
Liegt das auch an der sich verschärfenden Klimakrise?
Definitiv. Wetterextreme wie Starkregen und sogenannte Kaltlufttropfen treten gerade im Mittelmeerraum häufiger und intensiver auf. Unsere bisherigen hydraulischen Infrastrukturen – Dämme, Wehre, Kanäle – sind nicht mehr ausreichend dimensioniert. Bei der Flut in Valencia fielen 700 Liter Regen pro Quadratmeter – innerhalb weniger Stunden! Solche Mengen überfordern jedes System.
Was müsste sich konkret ändern?
Wir bräuchten ein Gesetz, das Kommunen verpflichtet, ihre Bebauungspläne alle 15 Jahre an die neuen klimatischen Realitäten anzupassen. Aktuell gibt es in Spanien keine Pflicht zur Revision – viele Pläne stammen noch aus den 1980ern. Das ist ein strukturelles Risiko. Leider ist die Umsetzung politisch schwierig.
Warum?
Weil Regierungen häufig aus ideologischen Gründen Projekte der Vorgänger zurückdrehen. Das kenne ich aus eigener Erfahrung. 2019 habe ich den Plan »Vega Renhace« mitentwickelt, der nach der Flut 2019 in Südostspanien entstand. Damals hatten Wassermassen das künstliche Flussbett am unteren Lauf des Segura zerstört, die wirtschaftlichen Schäden waren enorm. Gemeinsam mit der Bevölkerung haben wir Vorschläge gesammelt, den Fluss partiell renaturiert, Versickerungsflächen geschaffen, Grünflächen neu geplant – und dann kam ein Regierungswechsel. Das ganze Programm landete in der Schublade.
Aktuell gibt es zwei Wiederaufbaukommissionen – eine staatliche und eine regionale. Warum gibt es keine Zusammenarbeit?
Das ist leider symptomatisch für Spanien: Die Ebenen arbeiten oft nicht zusammen, sondern gegeneinander. Dabei brauchen wir genau das Gegenteil – gerade bei Themen wie Katastrophenschutz. Auch die Natur wird hier oft nur unter Nutzwert betrachtet: Was kann ich mit dem Land machen, wie kann ich es erschließen? Wir müssen endlich lernen, die Grenzen der Natur zu respektieren.
Was schlagen Sie vor, um das zu ändern?
Mehr Raum für Wissenschaft und Fachleute, etwa beim Risikomanagement. Dass in Valencia eine politische Anordnung nötig war, um Warnhinweise an die Bevölkerung zu senden, ist absurd. Die Politik soll Ziele und Budgets festlegen – aber die Maßnahmen müssen von Experten entwickelt werden. Sonst riskieren wir, dass Ideologie über Sachverstand triumphiert.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Die Debatte über den Klimawandel. Ob er existiert oder nicht – diese Frage stellt sich nicht. Die Daten sind eindeutig. Wir sollten uns lieber fragen: Was tun wir, um Schäden zu minimieren und uns anzupassen?
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